Haben wir vor zwei Tagen nach der Rückkehr nach Deutschland noch über zwölf Grad geklagt, stöhnt nun mancher über die große Hitze. 32 Grad zeigt das Bordthermometer an. Auch wenn die Route nach Abfahrt von der Autobahn Richtung Süden über die Alleenstraße führt, deren Bäume angenehmen Schatten spenden, muss die Klimaanlage ordentlich ackern.
Wie ernst die Gefahr akuter Überhitzung ist, zeigt spätestens der Umstand, dass der Autor heute zum ersten und einzigen Mal die kurze Jeans aus der Reisetasche gezerrt hat. Beim Anblick der kalkweißen Waden registriert das sensible Auge des Fotografen akute Überbelichtung. Walter schreit eilig nach seiner Sonnenbrille.
Weiße Waden blenden den Fotografen
Stier hat bereits Lichtschutzfaktor 30 aufgetragen und sucht derweil den Sonnenhut, denn am späten Vormittag steht in Wörlitz eine lustige Kahnfahrt an. Der Teich gehört zum Dessau-Wörtlitzer Gartenreich, das wiederum zum Weltkulturerbe der Unesco zählt. Fürst Leopold III Friedrich-Franz von Anhalt-Dessau war wie wir ein begeisterter Reisender. Weil es im späten 18. Jahrhundert noch keine Digitalkameras gab, mit deren Fotos man vor Nachbars protzen konnte, ließ der Fürst auf einem 142 Quadratkilometer großen Gebiet einfach seine Lieblingsecken nachbauen.
Hier und dort ein Schlösschen, dann der ein oder andere griechische Tempel, dort noch ein Ruinchen und als Höhepunkt das Prunkstück des von ihm so heiß geliebten Golfs von Neapel. Wörlitz nennt den einzigen künstlichen Vulkan Europas sein eigen. Um das Schauspiel nicht allzu beliebig werden zu lassen, und weil die Parkstiftung sich das über 10.000 Euro teure Schauspiel nicht allzu oft leisten kann, toben sich die Pyrotechniker nur alle drei Jahre mal im nachgebauten Krater aus.
Wir haben nur wenig Zeit, und die Rudertour über den See dauert nur 20 Minuten, ausreichend für einige, ihre Zukunft zu überdenken. Unser rudernder Reiseführer weiß zu berichten, dass sich der Fürst jenseits des Teiches mit seinen Mätressen vergnügt haben soll. Angeblich hat er 13 mehr oder weniger offizielle Kinder gezeugt.
Wir wollen Fürsten sein!
Das überzeugt auch die Mercedes-Kollegen Thomas und Ralf. Letzterer sagt: "Ich kündige." Thomas meint: "Fürst müsste man sein." Den Zahn zieht ihm Jürgen ganz schnell: "Hör auf. Du wärst in dieser Zeit auch nur Gondoliere gewesen." Leicht überhitzt und schwer ernüchtert treten wir die Weiterreise an.
Die Mittagsrast ist heute in Leuna. Die Kleinstadt im Saale-Kreis ist jetzt nicht unbedingt ein Ort, an dem Busse täglich Horden von amerikanischen und asiatischen Touristen ausspucken. Eindrucksvoll ist es trotzdem wegen seiner Chemiewerke. Schon 1916 ließ die IG Farben in Sachsen-Anhalt ein gigantisches Chemiewerk bauen, um in großem Stil Ammoniak für die Sprengstoff- und Düngerherstellung zu produzieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte Leuna das größte Chemiewerk der DDR, und auch heute noch ist das sieben mal zwei Kilometer große Gelände einer der größten Chemie-Standorte in Deutschland. Er beherrbergt unter anderem eine Ölraffinerie, eine Papierfabrik und ein Werk der Linde AG, die dort große Mengen Wasserstoff zur Entschwefelung von Benzin herstellt. Linde ist in all diesen Tagen des World Drives unser Brennstoff-Zulieferer gewesen. Der Wasserstoff, den wir in den Steppen Kasachstans getankt haben, kam direkt aus Leuna.
Unerklärlicher Rekordverbrauch der asiatischen Teilnehmer
Allerdings scheint der Wasserstoff, den wir nun in Leuna an Bord genommen haben ein sehr flüchtiges Gas zu sein. Möglicherweise lag es auch mal wieder an der Falle Autobahn, in die die asiatischen Kollegen getappt sind. Mit 280 Kilometern ist die Nachmittagsstrecke eigentlich keine allzu große Herausforderung, aber die Kombination aus aufgehobenem Tempolimit und einer ziemlich hügeligen Streckenführung lässt Team China ins Minus laufen.
Als die Route von der Autobahn längst in die fränkische Schweiz abgebogen ist, sind noch 0,46 Kilo Wasserstoff für die restlichen 50 Kilometer an Bord. Das ist noch nicht besorgniserregend, der Verbrauch aber schon. Projektleiter Arwed Niestroj, der mit einer weiteren B-Klasse mit Brennstoffzelle den Tross begleitet, schüttelt den Kopf. Er hat ausgerechnet, dass das chinesische Auto selbst auf einem kurzen, eher langsamen Landstraßenabschnitt 20 Prozent mehr verbraucht hat als er. Die asiatischen Kollegen kassieren die Höchststrafe. Sie müssen für den Rest des Tages das Lenkrad an Konvoichef Jürgen Banken abgeben, der ihr Auto mit 60 Gramm Restwasserstoff ins Ziel bringt.
Treibstofftrick der Japaner
Fünf Minuten danach kommen auch die Japaner an, aber das nur mit einem Taschenspielertrick. Nach hemmungsloser Autobahnfahrt und dem ein oder anderen Abstecher ins Grüne, ist Bob Japan Eins schon 120 Kilometer vor dem Ziel der Sprit ausgegangen. Das hat noch keiner geschafft. Die Besatzung hat Glück, dass der Service-Truck noch hinter ihnen liegt. Der stoppt kurzerhand, nimmt die gestrandete B-Klasse an Bord und setzt das Ersatzauto ab.
Was uns betrifft: Wir rollten mit Tempo120 über die A7, genossen die Landschaft der Fränkischen Schweiz. Wir schlängelten uns an einem hübschen Flusstal entlang, bestaunten die aus den bewaldeten Hängen ragenden Felsen, fotografierten die ein oder andere antike Burg oder Brücke und wunderten uns über Hinweisschilder zum Fränkischen Wunderland. Ist das der Ort, wo all die jungen Brünetten aufwachsen, die dann auf Lothar Matthäus reinfallen?
Als der Konvoichef 50 Kilometer vor dem Ziel fragte, wieviel Stoff wir noch dabei hätten, lautete die lässige Antwort: "Keine Ahnung. Das ist nichts, um dass wir uns kümmern müssten." Tatsächlich liefen wir mit ein bisschen Obacht mit 160 Gramm Restwasserstoff in Nürnberg ein.
Waghalsiges Überholmanöver einer Honda
Eine Schrecksekunde gibt es aber auch für Wagen Drei, denn Obacht hätte besser auch der Motorradfahrer gegeben, der uns kurz nach dem Kletterfelsen überholen will. Er sieht in der langgezogenen Rechtskurve wohl den verlangsamenden GL des Fotografen, übersieht aber unser Auto, dass mit ordnungsgemäß gesetztem Blinker gerade links in einen Feldweg abiegt. Beim Versuch, den sich vor ihm aufbauenden GL mal eben zu überholen, bietet ihm plötzlich unsere waidwunde B-Klasse die verbeulte Flanke dar. Anders als mit einem Sturz bringt er seine Honda nicht zum Halten.
Die rechte Verkleidung hat ein Plastikteil verloren, der hintere Koffer trägt nun eine tiefschwarze Schramme im Goldmetallic. Am ärgsten ist der Schalthebel in Mitleidenschaft gezogen, den der Aufschlag auf die linke Seite komplett umgebogen hat. Der Fahrer ist Mitte 50 und hat sich glücklicherweise nicht verletzt. "Geht schon", sagt er und macht sich auf ins nächste Dorf, wo eine Werkstatt sein soll.
Ab nach Nürnberg
Wir machen uns auf nach Nürnberg. Die Hauptstadt Frankens kam im Dritten Reich als Lieblingsaufmarschplatz der Nazis in Verruf und wurde weltweit berühmt durch die anschließenden Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Dabei ist Nürnberg doch in Wahrheit die Hauptstadt des Lebkuchens, des Rostbratwürstchens und des Christkindlmarkts. Schon in der Antike war Nürnberg zeitweilig so etwas wie die heimliche Hauptstadt des weströmischen Reiches. Definitiv ist sie die Hauptstadt Frankens, das nach der Gründung der Bundesrepublik an Bayern angegliedert wurde, was die Franken heute noch nicht verwunden haben.
Wir halten uns aus dem innerbajuwarischen Konflikt am Abend im Bierkeller tunlichst raus. Unser Tross überquert ohnehin morgen zügig die Grenze nach Baden-Württemberg. Nur noch einmal schlafen ...