Ach tut das gut. Als die Fähre nach 17 Stunden die Bugklappe öffnet, rollen die Autos einfach rein nach Schweden. Dank Schengener Abkommen gibt es keinerlei Grenzformalitäten. Keine Beamten mit übergroßen Mützen beäugen misstrauisch unsere Papiere, niemand lässt uns stundenlang warten, bis die Papiere der Autos geprüft sind. Allerdings muss erwähnt werden, dass doch ein halbes Dutzend Polizisten die Ankömmlinge erwarten. Sämtliche Fahrer müssen ins Röhrchen blasen. Die Silja Serenade ist als Partyschiff bekannt. Da zehrt Mancher auch morgens um zehn noch vom Restalkohol der vergangenen Nacht. „Alles in Ordnung“, sagt der freundliche Polizist, na ja, außer den vier Prozent Lachs und sechs Prozent Hering zum Frühstück.
Ankunft im Venedig des Nordens
Stockholm begrüßt die Neuankömmlinge mit strahlendem Sonnenschein. Das passt gut, denn die schwedische Hauptstadt bringt so ihre ganze Schönheit zur Geltung. 1250 am Ausfluss des Malärsees gegründet, liegt die Stadt auf 14 Inseln, die mit 57 Brücken verbunden sind. Wer wie wir per Schiff nach Stockholm reist, durchquert zuvor den Schärengarten mit 24.000 Inseln. Wie St. Petersburg beansprucht Stockholm den Titel: Venedig des Nordens.
Zu viele Kanonen und die Vasa kippt
Das abgasfreie Einrollen unserer Mercedes B-Klasse n in die Stadt ist ein angemessener Auftritt. Stockholm ist zwar die größte Stadt Schwedens und der größte Ballungsraum ganz Skandinaviens, hat aber keine Schwerindustrie und gilt daher als eine der saubersten Metropolen der Welt.
Zum Glück für eine der größten Attraktionen der Stadt galt das lange Zeit nicht für Wasserqualität im Hafen. Weil Abwässer Bakterien und Würmer im Hafenbecken fernhielten, konnten Archäologen im Sommer 1961 das Wrack der Vasa in außergewöhnlich gutem Zustand heben. Im August 1628 war das stolze, neue Flaggschiff der königlich schwedischen Flotte mit vollem Zeug zur Jungfernfahrt aus der Stadt gesegelt. Es sollte ihre letzte Reise werden. Auf Wunsch des Königs mit einem dritten Geschützdeck auf dem Oberdeck versehen, lag der Schwerpunkt zu hoch. Zudem waren protzig die Stückpforten geöffnet, um sämtliche Kanonen beim Auslaufen zu präsentieren.
Die erste schwere Böe drückte die Vasa auf die Seite, das Wasser fand schnell seinen Weg durch die Geschützöffnungen, nach wenigen Minuten war das brandneue Schlachtschiff gesunken. Mit einer Mischung aus Glykol und Chemikalien ist der Rumpf konserviert. Golden glänzt er heute im eigens über dem Schiff gebauten Museum.
König Carl Gustav und die freie Liebe
Etwas abgetakelt präsentiert sich dagegen das Königshaus. Im Gegensatz zu den Finnen leisten sich alle skandinavischen Nachbarn noch eine Monarchie, auch wenn der schwedische König seit einer Verfassungsänderung 1975 keine politische Macht mehr inne hat. Seit mehr als drei Jahrzehnten sitzt der gelernte Staatswissenschaftler und Marineoffizier Carl XVI. Gustaf Folke Hubertus nun auf dem Thron des Königreichs. Er ist der 74. König des Landes, und geht es nach knapp der Hälfte seiner Landsleute auch der letzte.
Seit eine nicht autorisierte Biographie über den Monarchen erschien, fordern viele Schweden seinen Rücktritt. Carl Gustav gilt seit jeher als lockerer Typ, der mit Vorliebe seine Leibwächter abhängt, um sich freier und volksnäher bewegen zu können. Allerdings nutzte er seine Freiheiten auch gern für freie Liebe. Offenbar zog der König in seiner Sturm- und Drangzeit gern durch Nacht- und Stripclubs, die Königin war alles andere als amüsiert.
Wachwechsel der königlichen Garde
Dabei waren sie doch so ein schönes Paar. Und mit der ehemaligen Olympia-Hostess Silvia Sommerlath, die Carl Gustav 1972 in München kennen lernte und heiratete, saß plötzlich eine Deutsche auf dem Thron und ein bisschen royaler Glanz fiel auch für uns weitgehend entadelte Deutschen ab. Aber auch die immer so untadelige Königin geriet jüngst in die Kritik, weil sie nicht klar Stellung zu der Tatsache nahm, dass ihr Vater im Zweiten Weltkrieg in einem ehemals jüdischen Betrieb Güter für die Wehrmacht herstellte.
Aber jetzt wird ja alles gut. Seit Kronprinzessin Victoria ihre Essstörungen besiegt und ihren bürgerlichen Fitnesstrainer Daniel geehelicht hat, weht durch den Königspalast auf der Insel Gamla Stan ein frischer Wind. Den spüren auch die etwa 300 Touristen, die sich heute um zwölf vor dem Palast-Tor zur Altstadt versammelt haben. Es ist zwölf und damit Wachwechsel der königlichen Garde. Mit großem Tamtam, Marschkapelle, zackigen Schritten und Gesten, wehender Fahne und gebrüllten Befehlen zieht sich das Schauspiel locker eine halbe Stunde hin, bis jeder Gardist seinen Kollegen von der Morgenwache ersetzt hat.
Mit 200 km/h über schneebedeckte Waldwege
Die mondänen Stadtpaläste und schicken Herrenhäuser bilden einen enormen Kontrast zu dem Schweden, dass den Mercedes F-Cell World Drive am nächsten Morgen erwartet. Die Fahrt geht nach Westen in Richtung Karlstad. Was tut das gut, nach den Bandscheibenbrechern in Kasachstan und Russland wieder auf einer wunderbar glatten Autobahn zu reisen. Zwar gilt meist Tempolimit von 110 oder 100 km/h, aber das stört kaum. Schließlich gibt es ja in der Provinz Värmland massenhaft schöner Gegend zu sehen.
Värmland heißt übersetzt schlicht „warmes Land“, die Provinz nördlich von Karlstad ist das klassische Revier der Schweden-Rallye, einem der traditionsreichsten Läufe zur Weltmeisterschaft. Nach dem Tankstopp am Mittag führen die Straßen entlang an den Wäldern und Wiesen, in denen im Februar 100.000 Fans im Schnee stehen und zusehen, wenn die besten Autofahrer der Welt in Rämmen, Sagen oder Vargasen mit bis zu 200 km/h auf Spikereifen durch den Forst nageln. Die drei Tage im Winter waren die einzigen, an denen auch der auto-motor-und-sport-Mitarbeiter die Wasserstoff-Weltreise verlassen musste, um aus Schweden zu berichten.
Snoopy brettert über die Ideallinie
Das Scouting-Team aus Frankreich ist gespickt mit Rallye-Leuten, und so hat Jean-Marc Bonnay, Spitzname Snoopy, einige wunderbar kurvige Landsträßchen ausgesucht, die an roten und gelben Holzhäuschen und kleinen blauen Seen vorbeiführen. Auf der Ideallinie fegen wir durch den Wald und hinterlassen neben Wasserdampf auch weiße Staubwölkchen. Für die schon arg malträtierten Unterböden der B-Klassen ist der Ritt keine Herausforderung, die Schotterpisten Schwedens sind nahezu samt und sonders sanfter zu befahren als sämtliche Straßen, die wir in Russland vorfanden.
Erst auf der Landstraße nach Kongsvinger kommen ein paar Bodenwellen unter die Räder. Wir haben schon wieder das Land gewechselt und sind in Norwegen. An einem einsamen Holzhaus an der Straße stand ein einsamer Grenzer, der mal eben die Papiere durchsah. Weil er hofft, dass die wenig befahrene Grenze demnächst zur Europa-Straße ausgebaut wird, wünscht er sich ein paar Fotos mit dem World-Drive-Tross. Damit ist der Formalitäten Genüge getan. Keiner muss seinen Pass vorzeigen.
Auf norwegischer Seite sind die Dörfchen und Gegenden nicht ganz so pittoresk, auch das Wetter kann nicht mithalten. Es hat angefangen zu nieseln und regnet sich langsam ein. Der einzige Lichtblick für den Rest des Tages findet sich mitten auf einem Kreisverkehr kurz vor Oslo. Einige Mercedes-Getreue stehen dort im Regen und wedeln mit norwegischer Flagge, um die Weltreisenden zu begrüßen, darunter auch Projektchef Arwed Niestroj, den wir zuletzt als Konvoichef nach der Australien-Etappe verabschiedet haben. Australien. Mein Gott, dass ist jetzt auch schon anderthalb Monate her.