Das muss doch jetzt wirklich nicht sein. Schon der zähe Stadtverkehr in Ufa hat uns beträchtlich aufgehalten und die ersten Nerven gekostet. Und jetzt wieder mal die großen Mützen und der rote Leuchtstab. Leider hat er mich schon vor über 100 Metern anvisiert, und er weiß, dass ich ihn gesehen habe. Vorbeifahren wäre also ganz schön dreist. Dafür wird Wagen zwei gaaanz langsam abgebremst, so muss er wenigstens weit laufen. Der Polizist grüßt freundlich aber bestimmt, er wähnt leicht einzuschüchternde Opfer im Wagen.
Sofort palavert er auf Russisch los und erntet den deutschen Standardsatz: "Tut mir leid, wir können kein Russisch." Mercedes-Mechaniker Christian begeht einen Anfängerfehler, als er hilfsbereit anfragt, ob der Staatsdiener des Englischen mächtig wäre. Da muss sofort eingeschritten werden: "Nein, der spricht kein Englisch, und du ab sofort auch nicht."
Da stellen wir uns mal wieder ganz dumm
Der russische Redeschwall geht weiter. Wir zucken gekonnt mit den Schultern und tun etwas, was wir schon in der Schule gelernt und perfektioniert haben: ein dummes Gesicht machen. Nach dem dritten Russisch-Sermon fällt dem mittlerweile leicht genervten Beamten ein international gebräuchliches Wort ein: "Dokumenti." "Ah," bekommt er mit einem auffällig verständnisvollen Blick zur Antwort und die Papiere gereicht, mit denen er nicht wirklich etwas anzufangen weiß.
Er fuchtelt, geht nach vorn, zeigt auf den rechten Frontscheinwerfer. Offensichtlich sind wir angehalten worden, weil wir ohne Licht fuhren. Ein weiteres, freudiges "Ah", und schon ist das Abblendlicht eingeschaltet. Es folgt die vierte russische Ansprache, die erneut mit Schulterzucken und dieses Mal angestrengter Stirnfalte beantwortet wird. Er soll den Eindruck haben, dass wir alles versuchen, ihn zu verstehen. Schließlich beherrscht der Polizist doch ein deutsches Wort: "Strafe", sagt er, und für einen Moment kippt die Stimmung. Legt er jetzt die Karten auf den Tisch? Mitnichten. Mit einem Schnaufen reicht der die Papiere zurück und macht eine abfällige Handbewegung, mit der man Pferdefliegen verscheucht oder deutsche Touristen vom Hof jagt. Schnell wird er im Rückspiegel kleiner.
Tartastan lebt vom Öl
Zunächst dachten wir, er hätte uns vielleicht wegen des seit drei Wochen ungewaschenen Autos angehalten. In Russland ist nämlich das Bewegen von verschmutzten Kraftfahrzeugen laut Roadbook verboten. Unsere schwarzen Begleitfahrzeuge tragen mittlerweile zahlreiche Inschriften und Bildchen zur Schau. Auf einer der B-Klasse n dagegen finden sich Zahlen. Wenn die Polizei mit Reden nicht weiterkommt, malen sie mit Vorliebe ihre Preisvorstellungen für Vergehen aller Art in den Staub der Kotflügel.
Auch in der autonomen Provinz Tartastan wird die Polizei schlecht bezahlt, dabei ist das ehemalige Reich des turkmenischen Reitervolks der Tataren eines der reichsten Teilgebiete des modernen Russlands. Schon Zar Iwan der Schreckliche kassierte bei seinen Expansionsplänen als Erstes das fruchtbare Gebiet ein, wo Wolga und Kama ineinanderfließen. Weil die Mehrheit der Bevölkerung eben tatarisch und nicht russisch ist, erhielt die Region schon bei der Gründung der Sowjetunion einen Sonderstatus, den sie auch heute genießt.
Warum Tartastan so reich ist, wird am Straßenrand leicht erkennbar. Allerorten ragen neue Ölpumpen aus dem Boden. Neben Erdöl verfügt die Provinz auch über Gasvorkommen. Auch beim Durchqueren von Städten und Dörfern ist größerer Wohlstand sichtbar. Im Gegensatz zu Sibirien sind die städtischen Wohnblocks in erheblich besserem Zustand, und in den Dörfern sind viele Holzhäuser nagelneu und von frisch gestrichenen Metallzäunen umgeben.
Anhänger mit Durchhänger
Auch die Landschaft hat reichlich Farbe. Die unvermeidlichen Birken leuchten so grün, als wären sie mit LED illuminiert. Überall an den Straßen stehen in 50 bis 100 Meter Abstand Birken- oder Tannenreihen. Sie sollen die bösen Winterwinde hindern, die Straßen völlig zu verwehen. Doch heute sind es sonnige 20 Grad, Nach dem Mittagstankstopp bei Naberezhnye Chelny klettert das Thermometer sogar auf 23,5.
Einem der Einwohner wird gleich noch wärmer, denn er wirft das Schweißgerät an und legt sich unter den Anhänger, der vor einer Weile noch das Reservestromaggregat für die Wasserstoffpumpe trug. Weil er schon in Australien drohte, auseinanderzubrechen, wanderte der Generator in einen der Service-Trucks. Der Hänger trägt nur noch die Koffer des Teams. Aber selbst das wird ihm auf den russischen Buckelstraßen zu viel. Nach der Tortur in China und Kasachstan ist eine Schweißnaht aufgerissen und wird nun geflickt.
Die Anhänger sind die ärmsten Hunde in unserer Flotte. Mit ihren kleinen Rädern finden sie jedes Schlagloch, und an den Kupplungen wird ständig herumgerissen. Der Hänger mit der mobilen Hebebühne ist schon längst nicht mehr dabei. Nach diversen Problemen mit Hydraulik, Reifen und Bremsen riss am Ende die Deichsel ab und der Prototyp wurde nach Hause verfrachtet.
Beim örtlichen Mercedes-Vertreter wird nicht nur geschweißt, sondern auch feinjustiert. Die Lenkung an B-Klasse Nummer eins steht einen Tick nach rechts, also wird schnell die Spur vermessen und neu eingestellt. Ansonsten gibt es heute keine besonderen Vorkommnisse, denn auch die Straßen sind in erheblich besserem Zustand als in den Tagen zuvor. Zwischendurch führt gar einen vierspurige Schnellstraße durch eine hügelige Wiesenlandschaft die aussieht, als hätte man einfach Wales genommen und ein Stück in die Breite gezogen.
Kazan wartet aauf die Fußball-WM
Angenehm farbig präsentiert sich nach dem deprimierenden Grau der letzten Tage auch unser heutiges Etappenziel. Kazan ist die Hauptstadt Tartastans, hat eine Million Einwohner und liegt beidseits des Flusses Kama, der nebenan in die Wolga fließt. Besonders die Altstadt der Metropole, die 2005 ihr 1.000jähriges Bestehen feierte, erstrahlt in neuem Glanz. Aus der Silhouette ragen zahlreiche Türmchen. Prunkstück ist der strahlend weiße, auf einer Landzunge gebaute Kreml mit dem spitzen, christlich-angehauchten Erlöserturm und einer prächtigen Moschee mit türkisfarbenen Dächern. Der gesamte Komplex gehört längst zum Weltkulturerbe der Unesco.
Weil sich Kazan so schön rausgeputzt hat, wird es 2018 einer der Austragungsorte der Fußball-WM sein. Von eben dieser erhält unser britischer Kollege Phil gerade schlechte Nachrichten aus der Heimat. Ein Abgeordneter des Britischen Unterhauses hat enthüllt, dass offenbar einige Mitglieder des englischen Fußballverbandes Schmiergelder angenommen haben, um bei der Vergabe der WM für Russland zu stimmen. "Dann muss die ganze Verbandsführung zurücktreten", entscheidet Phil aus der Ferne.
Auch bei uns kommen die Einschläge aus der Heimat mit der Rückkehr nach Europa näher. Da ist man mal einmal für vier Monate nicht da, schon geht alles drunter und drüber. Unsere Lena hat beim Eurovision Song Contest nur Rang zehn gemacht. Gewonnen hat Aserbaidjan. Wenn man nicht alles selbst macht ...