Mercedes F-Cell World Drive Tag 51: Da denkst du, du hast alles gesehen

Mercedes F-Cell World Drive Tag 51
Da denkst du, du hast alles gesehen

Veröffentlicht am 07.05.2011

Verlassene Plattenbausiedlungen, dahinter eine große Fabrik, am Horizont ein Dutzend Schlote. Dazu regnet es. Das hatten wir nur kurz hinter Peking. Wenn etwas in den vergangenen zwei Wochen die Sonne verdunkelte, dann war es Smog oder ein Sandsturm, ein schnödes Tiefdruckgebiet, damit müssen wir erst wieder umgehen lernen.

Wie ein deprimierender Tag am Niederrhein

Auch die Strecke ist am Morgen nicht eben reizvoll. Plattes Agrarland mit vereinzelt schlanken Baumreihen. Es sieht ein bisschen aus wie ein deprimierender Tag am Niederrhein. Rechts und links liegen lange Straßendörfer mit heruntergekommenen Autoreparatur- und Reifenwerkstätten. Das einzige Highlight ist ein Schild: "4.000" steht darauf zu lesen. Es ist sozusagen ein Kilometerstein aus Blech und markiert den 4.000sten Kilometer der Autobahn G30, die vom äußersten Nordosten bis in den äußersten Nordwesten Chinas führt. Mit Unterbrechungen folgen wir der G 30 jetzt schon seit etwa 3.000 Kilometern.
 
Und da denkst du, nach so einer langen Strecke durch ein einziges Land weißt du, wie es aussieht. Falsch gedacht. Die Straße führt ziemlich gerade den Berg hinauf. Heute steht noch ein rund zweieinhalbtausend Meter hoher Pass auf dem Programm. So leicht lässt sich das Auge täuschen. Ist die Steigung zwischendurch nicht ganz so steil, glaubt man sich schon auf Bergabkurs, nur der Höhenmesser des Elektronischen Roadbooks Tripy zeigt, dass wir im Schnitt mit einem Meter pro Sekunde steigen. Das ist nicht eben gut für den Verbrauch. Obwohl die Nachmittagsetappe mit 255 Kilometern nicht wirklich lang ist, wähnt uns der Bordcomputer schon 70 Kilometer vor dem Ziel ohne Wasserstoff.

Xinjiang mit verblüffender Bandbreite

Reichlich davon, kombiniert mit Sauerstoff, hängt dagegen in der Luft. Eigentlich hatten uns die Scouts ein grandioses Bergpanorama versprochen. Das Borohoro-Shan südlich der Straße erhebt sich bis zu 5.000 Meter hoch aus dem Boden. Das dahinter liegende Tian Shan, das uns von der Wüste Taklamakan trennt, ist an der Grenze zu Kasachstan sogar 7.400 Meter hoch. Die Provinz Xinjiang ist ohnehin eine Gegend verblüffender Bandbreite. Mit 155 Metern unter dem Meeresspiegel bei Turpan bietet sie einen der tiefsten Punkte der Erde, mit dem K2 den zweithöchsten Berg derselben.

Doch von Gipfelpracht ist außer auf der Eintrittskarte zum Nationalpark auf der Passhöhe nichts zu sehen. Dafür erstreckt sich plötzlich bis zum sichtbaren Horizont der Sayram Hu, ein gewaltiger Bergsee auf über 2.000 Metern Höhe. Mehr oder weniger ziellos fahren wir ein Stück am Ufer lang, es gibt wenig zu sehen als Wasser auf der einen, und grüne Weiden mit Nebelschwaden auf der anderen. Unser chinesischer Begleiter Fong Lei empfiehlt, noch ein Stück weiterzufahren. Schließlich gibt es hier reichlich wilde Tiere, angeblich sogar weiße Bären. Immerhin gibt der Nebel den Blick auf eine Horde Wildpferde frei, aber das war es dann auch.

Ein wenig Schottland, ein wenig Island und ein Prise Alpen

Der etwas längere Abstecher hat sich dennoch enorm gelohnt, denn plötzlich klart es ein wenig auf. Nach und nach werden blaue Konturen von Bergketten sichtbar, weiße Schneestreifen scheinen durch die Wolken. Eine halbe Stunde später bohrt sich der erste Sonnenstrahl durch die Decke.

Plötzlich erstreckt sich vor dem Auge eine endlose Landschaft, für deren Aussehen das Gehirn nach einer passenden Analogie sucht. Ein bisschen Schottland, ein wenig Island, ein Teil Alpen. Wie in unseren Breiten versuchen Heere schwarzgrüner Tannen die steilen Hänge bis zur Baumgrenze zu erstürmen. Darüber liegen die Schneefelder auf den kahlen Felsen wie gefrorene Wasserfälle.

Teddybär als Bestechung

Neben der Straße, die hier mal wieder im Bau und durch den Regen ziemlich verschlammt ist, ragen weiße Rundzelte ins Bild. In diesen Jurten leben die Steppennomaden in dieser Gegend seit Jahrtausenden. Hinter dem Gatter hockt ein Junge auf einem Pferd. Das ist hier nicht allzu bemerkenswert, denn das tun in dieser Weltgegend so ziemlich alle Jungen, bevor sie sich ein Moped oder einen Motorroller leisten können. Das Erstaunliche ist, dass der Knirps erst zwei Jahre alt ist.
 
Zwar hält der Onkel am Boden liegend mit der einen Hand die Zügel, während er in der anderen eine frisch angezündete Kippe balanciert, doch der Kleine sitzt hoch erhobenen Hauptes auf seinem gescheckten Ross, und obwohl ihm diese bleichgesichtigen und langnasigen Fremden äußerst suspekt erscheinen, richtet er sich auf Geheiß des stolzen Vaters im Sattel auf und posiert sogar für ein Foto. Zum Dank bekommt er einen Teddybär. Auch den nimmt er eher verwundert zur Kenntnis, klemmt ihn aber gleich so unter den Arm, dass jede Absicht auf Rückgabe eindeutig ausgeschlossen ist.

Mercedes B-Klasse F-Cell auf Zehenspitzen

Auf der Abfahrt wartet die nächste Überraschung. Plötzlich wirft sich die Straße steil hinunter ins Tal. Erstmals in diesem riesig langgestreckten China müssen unsere B-Klasse n Serpentinen absolvieren. Das ist weiter kein Problem, aber die nagelneue Autobahn-Brücke ist noch im Bau, und die alte Strecke ist völlig runtergeritten. Vor allem die zahlreichen Brückenelemente haben Fugen von bis zu 40 Zentimetern Breite. Die klaffenden Lücken am Fahrbahnrand sind nicht eben Vertrauen erweckend. Aus den Fugen ragen die in die Länge gezogenen Stahlarmierungen des Beton heraus. Wer oder was sie so zugerichtet hat, wird beim nächsten heftigen Poltern klar, als ein Bau-Lkw ungebremst durch die klaffenden Furchen brettert, die unsere Brennstoffzelle trotz Unterbodenschutz nur auf Zehenspitzen überwindet.

Besonders für die Fahrer unserer zwei großen Service-Trucks ist die Piste eine Nerven aufreibende und langwierige Angelegenheit. Aber mit derlei Details hält sich die Erinnerung nicht allzu lange auf. Was bleibt, sind die Bilder eines großartigen Bergpanoramas. Abends am Büffet sagt einer der Brummi-Fahrer: "Mensch, und da denkst du, du hast alles gesehen."