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Mercedes F-Cell World Drive Tag 49
Heute ist Landschaftstag

Der 49. Tag des F-Cell World Drive führt von Hami nach Turpan durch eine monumentale Wüstenlandschaft bis unter den Meeresspiegel.

05/11 Mercedes F-Cell World Drive, B-Klasse, Brennstoffzelle, 49. Tag
Foto: Walter F. Tillmann

Es wurde spät gestern. Nach der Reifenpanne auf der brutalen Steinpiste nach Hami ist der Anhänger mit der Hebebühne immer wieder liegen geblieben, Wegen eines Hydrauliklecks sackte die rechte Seite immer wieder ab. Der Technik-Trupp hat aus der Not größere Räder montiert, dafür mussten die zu tief gezogenen Schutzbleche weichen. "Für solche Offroad-Einsätze ist so ein Hänger eigentlich nicht gebaut", sagt Techniker Erik Theis. Immerhin haben es alle ins Ziel geschafft. Wegen des Nachteinsatzes hat Konvoi-Chef Bernd Löper den Start erst um 11 Uhr morgens angesetzt. "Irgendwann müssen meine Leute auch mal schlafen", sagt er.

Unsere Highlights

Erste Opfer zu beklagen

Die mobile Hebebühne ist nicht das einzige Opfer der Dauerbeanspruchung. Der GL des einen Kamerateams macht seltsame Geräusche. "Ausgleichswelle", diagnostiziert einer der Techniker. Im Prinzip haben sie in den beiden Service-Trucks alle nötigen Ersatzteile da, aber den Motor aufzumachen würde zu viel Zeit kosten. Das Problem ist vorerst nicht lebensbedrohlich, also wird weitergefahren. Wenn in vier Tagen alle die Grenze nach Kasachstan passiert haben, soll in Almaty ein Ersatzmotor eingebaut werden, den das Team selbstverständlich ebenfalls im Gepäck hat.
 
Auf die Verlustliste wäre noch eine Frontscheibe zu setzen. Den GL des Fotografen hat ein faustgroßer Stein getroffen, den ein Lastwagen hochgewirbelt hat. Ein vierzig Zentimeter langer Riss zieht sich über das Glas. "Ich hatte mich schon weggeduckt", sagt Fahrer Alex. Es ist ein mittleres Wunder, dass bei all den Offroad-Eskapaden noch keine Scheibe in den drei B-Klassen zu Bruch gegangen ist.

Heute ist Landschaftstag

Auch heute geht es wieder über Stock und Stein. Zwar ist die rund 400 Kilometer lange Strecke von Hami nach Turpan weitgehend in überraschend gutem Zustand, aber Fotograf Walter hat eine Bauarbeiter-Piste gefunden, die parallel zum Gebirge führt. Heute scheint nämlich wieder überraschend klar die Sonne, und die Schneegipfel des Karlik-Gebirges kommen prachtvoll zur Geltung.
 
Überhaupt ist heute Landschaftstag. Die wenigsten Wüsten der Welt sind einfach nur ein plattes Nichts. Auf dem Weg nach Turpan biegt die Straße nach links in ein Tal ab, das auf beiden Straßenseiten monumentale Felsreihen bildet. Millionen Jahre sind sie von endlosen Erdbewegungen malträtiert, gefaltet, in die Höhe gehoben und vom Wetter zerfräst, doch sie stehen immer noch da. Vorn im Tal liegt eine hellgelb leuchtende Ebene aus Sand. Der eine erkennt die Anden Nordargentiniens wieder, Janosch eher den Süden Jordaniens: "Das sieht ja aus wie in Lawrence von Arabien." Wie in Jordanien bewegen wir uns vom Hochland langsam bis unter den Meeresspiegel.

Blitzer in der Wüste

Angestrengt halten wir Ausschau auf die schroffen Anhöhen, irgendwo hier lauern keine arabischen Aufständischen, sondern unsere Kamerateams, die in der Hollywood-Kulisse gern ein Gruppenbild hätten. Kurz danach geht es zum Tanken, wo Chef-Scout Marc warnt, dass seine Vorhut 40 Kilometer danach eine Radarfalle gesehen hat. Im Lauf des Nachmittags laufen ständig Anrufe über Polizeikontrollen ein, tatsächlich sehen wir einen einsamen Schutzmann auf einem Holzstühlchen in der prallen Sonne sitzen und das Tempo des Gegenverkehrs messen. Wir werden an einer Mautstelle kurz gestoppt, aber entweder wollte der Wachhabende nur mal sehen, wie ein paar Langnasen aus der Nähe aussehen, oder ob unsere elektrischen Fensterheber ordnungsgemäß funktionieren. In jedem Fall dürfen wir unbehelligt weiterreisen.
 
Schon seit zwei Tagen befinden wir uns in Xinjiang, Chinas größter und westlichster Provinz. Mit 1,77 Millionen Quadratkilometern nimmt Xinjiang ein Sechstel der Gesamtfläche des Reiches der Mitte ein und ein Viertel der gesamten Außengrenze des Landes. Es grenzt an die Mongolei, Afghanistan, Pakistan, Indien, Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tajikistan. So wie die letztgenannten Länder nicht russisch sind, aber dennoch während der kommunistischen Periode in die Sowjetunion zwangseingegliedert wurden, ist auch Xingjiang keine der offiziell 22 Provinzen Chinas, sondern eines von fünf autonomen Gebieten, das die Volksrepublik vereinnahmt hat, so wie die innere Mongolei im Norden und Tibet im Südwesten.

Zwangsanschluss an die Volksrepublik

Wäre Xingjiang wie im Mittelalter unabhängig würde es wohl Uiguristan oder Ost-Turkestan heißen. Die Uiguren gehören zu den Turkvölkern und waren schon in der Antike berühmt berüchtigte Steppenreiter. In der Tang-Dynastie beschimpfte man sie als Barbaren und "wimmelndes Gewürm", als sie sich im Jahr 646 dem chinesischen Kaiser unterstellten, hießen sie plötzlich "kreisende Falken".
 
Seit dem Zwangsanschluss an das chinesische Reich gab es immer wieder Aufstände und Unabhängigkeitsbestrebungen, die blutig endeten und Millionen das Leben kosteten. Wie in Tibet siedelt die Zentralregierung in Peking vorzugsweise Han-Chinesen in diesem autonomen Gebiet an. Der Schnellzug, der in einigen Jahren das entlegene West-China mit dem belebten Osten verbinden soll, bringt nicht nur Fortschritt für eine strukturschwache Region, sondern auch noch mehr Einwanderer.
 
In Xingjiangs Hauptstadt Ürümqi liegt der Anteil an Han-Chinesen bereits bei 75 Prozent, so dass die Uiguren selbst in ihrem eigenen Gebiet zur Minderweit werden. In unserem heutigen Etappenziel Turpan sieht die Lage noch anders aus. Hier stellen die Eingeborenen noch Dreiviertel der Bevölkerung. Turpan ist eine gigantische Oase in einem Wüstental, das über 50 Meter unter dem Meeresspiegel liegt.

Alles so schön bunt hier

In Turpan ist man stolz auf ein historisches Museumsdorf und sein ausgeklügeltes, unterirdisches Bewässerungssystem. In großen Mengen werden Weintrauben angebaut, die in Trockenhäusern aus Ziegelsteinen zu Rosinen getrocknet werden.
 
Anstatt mit zubetonierter Prachtstraße empfängt die mit 250.000 Einwohnern bisher kleinste Stadt, die wir in China besuchen, die Gäste mit einer Allee, auf der im anbrechenden Frühling alles in hellstem Grün erstrahlen lässt. An den Kreisverkehren stehen mit bunten Lämpchen durchsetzte Büsche, Plätze mit Teichen und Parks unterbrechen das Stadtbild.
 
Auch sonst ist alles schön bunt hier. Die Gesichter sind nicht mehr rein chinesisch, auch der genetische Einfluss der frühen Türken ist klar sichtbar. Die Mehrheit der Einheimischen ist muslimisch, die Mode der Frauen reicht vom streng schwarzen Schador, über bunte Stammestrachten bis zu Miniröcken und Highheels.

Rinderschädel trifft Nachtleben

Dass die Uiguren ein Reitervolk sind, zeigt sich im Straßenverkehr. Die Mehrheit bewegt sich mit Motorrollern, die mit Chromleisten und Bommeldecken verziert werden. Gern genommen sind auch Motorräder mit kunstvoll bezogenen Sätteln, die von Leopardenfell bis Badmintonschlägern die ganze Bandbreite zeigen, die ein deutscher Versandhauskatalog an Bettwäschemustern bietet.
 
Turpan wirkt auf unseren Tross so einladend, dass erstmals seit der Ankunft in China ein großer Teil der Mannschaft trotz eines erneut langen Tages nach dem Abendessen im Hotel noch in der City um die Häuser zieht. Konvoi-Chef Löper war schon vorher im Gewimmel und hat für den Tank-Sprinter, der den Spitznamen "Büffel" trägt einen kunstvoll polierten Rinderschädel zur Zierde gekauft. Dass im Team plötzlich soviel Energie frei wird, könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass wir morgen erst um elf Uhr aufbrechen müssen. 

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