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Mercedes F-Cell World Drive Tag 41
Die verbotene Stadt

Der 41. Tag des Mercedes F-Cell World Drive in die chinesische Hauptstadt verläuft für die drei Brennstoffzellen-Autos ohne besondere Vorkommnisse, was man für den Rest des Trosses nicht behaupten kann.

04/11 Mercedes F-Cell World Drive, Mercedes B-Klasse,  41. Etappe
Foto: Markus Stier

Mitfahrer Andreas hat Geburtstag. Der Gewinner des SWR-3-Gewinnspiels bekommt ein Ständchen, später eine Torte und Sonnenschein für seinen dritten und letzten Fahrtag bei unserer Brennstoffzellen-Rundreise. Wir fahren auf dem Schlussspurt nach Peking ein bisschen raus aufs Land. Plantagen und Felder säumen die Straße im Norden der Provinz Shandong. Winzige Ziegelhäuschen stehen in Grüppchen zusammengeschlossen am Wegesrand.
 
Der Fortschritt macht auch hier nicht halt: In einem Gehöft thront bereits mitten im Hof der Betonpfeiler für eine neue Autobahntrasse. Selbst die Landstraße ist vierspurig und gut frequentiert. Auf Straßenmärkten werden Schuhe oder Leckereien angeboten. Außerhalb der Ortschaften verkehren zahllose Traktoren mit Anhängern voller Lehmziegeln. Wir halten zum Foto an einem idyllischen Kanal mit alter Steinbrücke. Glücklicherweise übertragen Fotos noch keine Gerüche. Das Gewässer ist eine dutzende Meter weit stinkende Kloake. Schwer zu glauben, dass wir nur einen Steinwurf von der Hauptstadt entfernt sind.

Unsere Highlights

New York mal zehn

Peking, oder Beijing bedeutet "nördliche Hauptstadt".  Es ist die politische, kulturelle und historische Metropole und zusätzlich Landeszentrum für Fälscherware von Louis-Vuitton-Taschen bis Rolex-Uhren, die auf zig Märkten angeboten werden. Die Stadt ist eine Mega-City der Superlative mit unfassbaren Ausmaßen. Zur Veranschaulichung nehme man einfach New York City und dehne es auf die zehnfache Breite auseinander. Das heißt nicht, dass am Boden mehr Platz ist. Peking ist berühmt für seinen 24stündigen Feierabendverkehr an sieben Tagen in der Woche. Ende 2010 waren fünf Millionen Autos in der Stadt registriert.
 
Wie in Shanghai limitiert die Regierung die Zahl der Neuzulassungen, um des Verkehrs Herr zu werden und die Luftqualität zu verbessern. Zudem wurden schon für die olympischen Spiele 2008 zahlreiche Fabriken in den Außenbezirken geschlossen. Peking, mit seinen acht Ringstraßen hat als erste chinesische Stadt eine Umweltzone eingerichtet. Es gilt Euro-4-Standard. Wer nur eine gelbe Plakette hat, darf nicht mehr ins Zentrum fahren.

Hängepartie mit Hänger

Meine Mitfahrer Andreas und Michael sind schwer beeindruckt von der Breite der Einfallstraßen, die allerdings für einen Teil des Trosses zum Nadelöhr werden. An der vorletzten Mautstation steht Wolfram Fleck auf der Straße und zuckt mit den Schultern. "Die lassen uns nicht durch, weil wir Anhänger haben."  Und so parken die Autos, die die fahrbare Hebebühne und den Generator ziehen, reglos auf der rechten Spur. Man wartet auf jemand Verantwortlichen. Angeblich reichen die Fahrzeugpapiere nicht aus. Einer der Mercedes-Mannen macht sich spaßeshalber an der Schranke zu schaffen, der nächste packt einen Campingstuhl aus und macht es sich bequem. Es stellt sich heraus, dass auch Anhänger nur zu bestimmten Tageszeiten Zugang zur Stadtmitte haben. Die Hänger müssen über Nacht an der Mautstelle bleiben und am nächsten Morgen abgeholt werden.
 
Das Zentrum Pekings ist der Platz des himmlischen Friedens, durchzogen von der Straße des langen Friedens, ein Aufmarschareal für kommunistische Feierlichkeiten. Er gilt als größter Platz der Welt. Begriffe wie Frieden, Glück, Heiterkeit und Harmonie verwendeten schon die Ming-Kaiser gern zur Namensgebung. Wie bei der aktuellen Administration sind aber dabei vor allem Glück und Heiterkeit der Herrschenden gemeint. 1949 rief Mao Tse Tung am Nordende des Tian’ an Men die Volksrepublik China aus, 40 Jahre später ließen seine Nachfolger hier das Feuer auf demonstrierende Studenten eröffnen.

Faszination verbotene Stadt

Wer Peking besucht, darf natürlich den Besuch der verbotenen Stadt nicht versäumen. Der Name Stadt ist nicht untertrieben. Hinter einem Wassergraben und einer hohen Außenmauer verbirgt sich die frühere Residenz der Kaiser, erbaut in der Ming-Dynastie im frühen 15. Jahrhundert. Bis zu 1.500 Menschen lebten früher im abgeriegelten Bezirk des Palastareals, das etwa die Ausmaße der Stuttgarter Innenstadt hat. Darin befinden sich allein 20 Paläste und 14 Hallen, in denen bis zum Abdanken des letzten Kaisers Pu Yi 1911 regelmäßig Empfänge und Feiern stattfanden.
 
Die verbotene Stadt ist wie eine Zwiebel aufgebaut. Zwischen der Außenmauer und dem Herzstück, der Taihe Halle verlaufen zahlreiche Mauergänge mit verschließbaren Toren. Wer eine Ahnung bekommen will, wie es früher in der verbotenen Stadt zuging, muss nur bis gegen fünf Uhr warten, wenn geschlossen wird. Nahezu alle Tore sind verriegelt, zwischen langen Mauergängen strebt alles den Ausgängen zu. 

Rikscha statt Taxi

Nun heißt es, nach einem Taxi Ausschau halten. Doch schon steht da der freundlich, hagere Herr mit den schiefen Zähnen. "Willst du meine Rikscha mieten?" "Nein danke, ich nehme ein Taxi." "Bist du verrückt? Jetzt ist Rush Hour. Da ist die Rikscha viel schneller." "Aber das ist doch für eine Rikscha viel zu weit." "Überhaupt nicht. Für 50 bringe ich dich hin." "Was 50, da ist ja ein Taxi viel billiger." "Vergiss nicht, es ist Rush Hour. Da kann ein Taxi locker 100 kosten." "Also meinetwegen. Nehmen wir deine Rikscha."
 
Nach fünf Minuten Fußmarsch und Geplauder über seinen Bruder in Hamburg schwant dem Passagier, dass er beim Transport einen beträchtlichen Teil Eigenleistung bringen muss. "Deine Rikscha steht aber ganz schön weit weg." "Nein gar nicht. Direkt dahinten hinter der Ecke." Tatsächlich wartet da eine Rikscha, aber nicht seine, sondern die eines Onkels, Vaters, Großvaters oder Geschäftspartners. In jedem Fall bringt uns der betagte Herr in seiner Elektro-Rikscha erst einmal einen halben Kilometer zu unserer Rikscha.
 
Nach dem Entfernen eines baumsägengroßen Bügelschlosses geht es auch schon los. "Kennst du schon die Altstadt. Ist gleich hier vorne. Ich zeig dir die besten Ecken." "Nein danke, ich möchte möglichst schnell in mein Hotel." "Kein Problem,", sagt er und biegt in die erstbeste, winzige Gasse ein. "Das ist doch nicht der schnellste Weg zu meinem Hotel." "Doch, doch", versichert er und fuchtelt mit dem Stadtplan. "Wir nehmen diesen Weg, weil hier viel weniger los ist. Schon vergessen? Es ist Rush Hour."
 
So rumpeln wir also durch den Stadtteil der Mongolen, in dem winzige Häuschen sich so aneinanderschmiegen, dass kein Auto durch die Gassen passen würde. Alle Nase lang verlangsamt der Rikscha-Mann, um mir die beidseitigen Sehenswürdigkeiten angedeihen zu lassen. Schließlich erreichen wir doch eine achtspurige Straße und fahren nach Osten. Selbstverständlich sind sämtliche Verkehrsteilnehmer außer den Fußgängern schneller als wir, darunter natürlich auch die Taxis, die sich zugegeben zähflüssig fortbewegen.

Der Rikscha-Mann muss kurz anhalten, weil das Handy klingelt. "Was, zum Flughafen?" blökt er. "Das kostet 100, äh 150." Der Gegenüber ist wohl nicht einverstanden, das Gespräch zieht sich. Derweil fängt es an zu nieseln. "Können wir dann jetzt weiter?" "Natürlich. Das war bloß für meinen Sohn. Der fährt nämlich Auto", sagt er stolz und stemmt sich wieder in die Pedale. "Und? Gut?" fragt er alle 60 Sekunden nach hinten. "Ja, prima, aber der Regen wird stärker." "Dein Hotel ist gleich dahinten, wo die Hochhäuser sind", sagt er. Das sind locker noch drei Kilometer. "Puh, mir wird warm", bekennt er kurze Zeit später und öffnet die Trainingsjacke. "Wie schwer bist du? 100 Kilo?" Das tut doch hier jetzt überhaupt nichts zur Sache. Er weist auf seinen dürren Oberschenkel. "Siehst du, nur Muskeln. Keine Batterie."

Schenkel in Flammen

Etwa einen halben Kilometer, bevor die besagten Häuser erreicht sind, hält er und meint: "Ab hier musst du zu Fuß gehen. Ich kann nicht mehr." "Aber hier ist nicht mein Hotel." "Du musst nur bis da vorn zu den gelben Hochhäusern. Da ist dein Hotel." "Da kannst du mich doch auch eben hinbringen." "Nein. Ich kann nicht mehr. Außerdem habe ich nichts zu Mittag gegessen." Bei der Übergabe der verabredeten 50 Yuan (etwas mehr als fünf Euro) hätte er gern noch ein Trinkgeld. "Ich gebe dir fünf." "Das ist etwas dürftig. Gib mir Zehn." "Also gut, hier." "Das sind aber jetzt nur acht." Nach dem Herauskramen zweier weiterer Mini-Scheine lächelt er fröhlich und winkt zum Abschied. "Gleich da bei den gelben Häusern. Ich muss jetzt erst mal was essen."
 
Überflüssig zu erwähnen, dass die Gegend bei den gelben Häusern nicht annähernd der meines Hotels ähnelte. Wer nicht einmal die Straßenschilder lesen kann, setzt sich am Ende doch besser in ein Taxi. Es stellt sich heraus, dass die Fahrt trotz Rush Hour ganz zügig verläuft, zudem kostet das Taxi nur elf Yuan, und mangels Kleingeld, über dass nun samt und sonders der Rikschafahrer verfügt, erlässt der Taxilenker sogar einen Yuan. Ach ja: Es war dann von den gelben Häusern noch etwa drei Kilometer weit bis zum Hotel. Mögen dem Rikschafahrer noch nächste Woche die Schenkel in Flammen stehen. Nun ja, immerhin hätte man ja sonst nie erfahren, wo Ex-Staatschef Deng Xiao Ping in den frühen Siebzigern mal gewohnt hat, und in welche Kung-Fu-Schule Action Star Jet Li früher gegangen ist. Und zu guter Letzt war die Rikscha-Fahrt wie mit unseren B-Klasse n völlig emissionsfrei.

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