War es der Stress, weil das Internet im Hotel ausgerechnet dann zusammenklappte, als der Text verschickt werden musste? In jedem Fall braut sich heute Morgen ein Gewitter über der Großhirnrinde zusammen. Es kann doch wohl nicht an den zwei kleinen Guinness beim Abendessen gelegen haben? Oder war es vielleicht Michelles Socken?
Der drallen Rothaarigen gehört das Bogey’s in Defuniak Springs. Sie lebt mit ihrer 82jährigen Mutter zusammen, die auch zwei Mal in der Woche in besagter Lokalität Dienst schiebt, um sich den Rotwein für die Woche leisten zu können. Michelle hat sich spontan ins Nasenpiercing von Mercedes-Mitarbeiterin Madeleine verliebt, aber Mama hat ihr verboten, sich auch eins stechen zu lassen. Michelle ist übrigens 42.
Nackter Fuß bringt Nemo zum Vorschein
Wie auch immer, als die Mutter mit gewünschtem Rebsaft-Pegel die Heimreise angetreten hat, gesteht Michelle, dass sie sich an gut zu verbergenden Stellen bereits heimlich sechs Tattoos hat machen lassen. "Wollt Ihr mein Neuestes sehen?" Selbstredend, fordern wir mit niederen Instinkten. Solch intime Gegenden lassen sich in öffentlichen Restaurants ja sonst wohl kaum entdecken, noch dazu im prüden Amerika.
"Oh je, das stinkt bestimmt", warnt Michelle und zieht blitzschnell Schuh und Socken aus. Dann hievt sie in Windeseile ihren entblößten linken Fuß auf die Tischkante. Der blaue Nagellack auf den Zehen ist ihr jetzt doch ein bisschen peinlich, aber dafür ist sie furchtbar stolz auf ihren linken Spann, über den sich nun ein orangefarbener Clownfisch in einem bunten Korallenensemble zieht. Na endlich, Nemo ist gefunden.
Riech an meinen Socken, Baby!
"Uh, ich glaube, das müffelt jetzt doch ein bisschen, ich kann es bis hier riechen. Was meinst du?" fragt sie, und schon hast du einen schwarzen Socken unter der Nase und nimmst auch noch einen reflexartigen tiefen Zug mit dem Riechkolben. Ist gar nicht so schlimm, beruhigen wir sie, was dazu führt, dass sie uns nun sehr ins Herz geschlossen hat. Deshalb darf keiner gehen, ohne sie umarmt zu haben. "Ohne feste drücken kommt hier keiner raus", sagt sie, presst dir kurz die Luft zwischen den Rippen durch und ruft hinterher: "Kommt bald wieder."
Ach, lustig war’s, aber nun ist es nicht mehr so spaßig. Die zwei Aspirin haben sich ohne getane Arbeit verdünnisiert. Vielleicht liegt es doch an dieser unglaublichen Waschküche, in die sich West-Florida verwandelt hat. Dicker Dunst hängt in der Luft, und die Klamotten hängen dir bald wie gebrauchte Lappen um den Körper.
Sonniges Alabama empfängt den F-Cell World Drive
Welche Ironie, dass heute gleich am Morgen eine "Scenic Road" für den F-Cell World Drive auf dem Programm steht, also eine Strecke mit Aussicht. Tatsächlich erreichen wir in Fort Walton das Meer. Vorgelagert ist noch ein langer, schmaler Küstenstreifen mit angeblich tollem Strand. Wie sie sehen, sehen sie nichts, heißt das Motto des Tages. Die Watte ist so dick, dass wir aufs Tomtom schauen müssen, um das Meer zu sehen.
Erst beim Verlassen des Sunshine-State kommt die Sonne raus. Wie recht hatten dagegen die Jungs von Lynyrd Skynyrd schon 1974: "Sweet home Alabama, where the sky’s always blue". In der Tat schiebt sich die Sonne raus, und nach dem Reinschieben von zwei weiteren Kopfschmerztabletten verzieht sich auch das Brummen unter der Schädeldecke.
Amerikaner begeistern sich für die Brennstoffzelle
Immerhin mussten wir uns nicht zusätzlich den Kopf zerbrechen, was das Erreichen des nächsten Tankstopps betrifft. Dank unserer Routine und dem Cruisen über die Küstenstraße vor Pensacola haben wir es locker bis Grand Bay geschafft. Der Fire Marshal muss heute gar nicht rauskommen, weil wir zu ihm gekommen sind. Der Einfachheit halber hat uns die örtliche Feuerwache eingeladen, alles gleich bei ihnen auf der Wiese zu erledigen. Es gibt gute Laune, Sonne und Burger mit Fritten von Sam’s Burgerbruzzelei ein paar hundert Meter weiter, kurz: Die Welt ist wieder in Ordnung.
Das soll sie künftig auch für die Amerikaner werden. Immer wieder rollen dicke Ami-Schlitten an unseren B-Klasse n vorbei und bekunden mit hoch gereckten Daumen ihre Begeisterung für unsere Brennstoffzelle.
2.000 PS und 40 Kilometer Sandstrand
Steve parkt seinen außergewöhnlichen Sattelzug vor dem Truckstop hinter West-Pensacola lugt ebenso neugierig zu unserem Auto rüber, wie wir zu seinem. Er fährt eine Peterbilt-Zugmaschine, die noch drei weitere Peterbilts hinter sich herzieht. Das monströse Gespann hat alles in allem knapp 2.000 PS. Steve kontrolliert den Ölstand, verbittet sich aber Fotos vom Motor, weil der so neu ist, dass er noch gar nicht offiziell vorgestellt wurde. Es soll wohl auch nicht sofort rauskommen, dass das Aggregat aus Schweden kommt und keineswegs Made in USA ist.
Dennoch ist er stolz: "Ich fahre auch praktisch emissionsfrei." Steve zeigt auf den dicken Tank links hinter der Kabine, in dem reichlich Harnstoff gluckert, um die Diesel-Abgase zu reinigen. Er klappt die Motorhaube zu und sagt: "So, jetzt will ich euer Auto sehen."
Wir wollten dann doch noch das Meer sehen, wozu sich hinter Mobile reichlich Gelegenheit bietet. Nicht umsonst heißt der Ort hinter Biloxi Long Beach. Über 40 Kilometer zieht sich der Sandstrand am Golf von Mexiko entlang.
Katrina hat Spuren hinterlassen
Greg hat etwas Großes und Schweres an der Angel. Immer wieder zieht er, die Rute krümmt sich bedrohlich. Das kennen wir doch schon von Hemingway. Es lohnt sich wohl zu bleiben und dem epischen Kampf zwischen Mensch und Riesenschwertfisch beizuwohnen. "Ach was," sagt Greg. "Ich wollte einen Wels oder eine Meeräsche fangen, dass hier ist nur irgend ein stück Holz oder rostiges Eisen. Einen Moby Dick kriegt man hier nicht an die Angel."
Holzreste und Schrott schwimmen reichlich in der Gegend herum, nicht zuletzt, weil die alljährlichen Wirbelstürme die Küste immer wieder heftig durchmischen. Jenseits der Straße stehen mondäne Strandvillen – auf hohen Stelzen. Manche Stelzen stehen auch ohne Haus da. Hurrikan Katrina hat 2005 vieles mitgenommen.
"Schaut mal, sie haben die Autobahn höher gelegt", sagt der Taxifahrer auf der Brücke, die viele Meilen weit den Sund überquert. In der Ferne blinken die Lichter von New Orleans, die Brücke über den Mississippi. Der Chauffeur zeigt auf all die Gegenden links der Straße, die früher bewohnt waren und nun für immer verschwunden sind. Aber er hat auch eine gute Nachricht. Trotz der Katastrophe mit der explodierten Bohrplattform im Vorjahr, scheint die Meeresfauna nicht allzu sehr mitgenommen. "Den Shrimps und den Austern geht es gut", sagt er. Mensch, jetzt ein paar gegrillte Garnelen mit Knoblauch und Zitrone. Und vielleicht haben die in der Stadt ja auch ein kühles Guinness.