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Leichtbau bei Audi
Von Natur aus leicht

Im Aluminium- und Leichtbauzentrum bei Audi in Neckarsulm werden Prinzipien aus Tier- und Pflanzenwelt auf den Automobilbau übertragen. Die künftige Sportwagen-Plattform MSS für R8 und Lamborghini Gallardo profitiert davon: Sie zeigt mehr Stabilität bei deutlich weniger Gewicht.

Leichtbau, Chassis, Alurahmen
Foto: Hersteller

Der Audi-Standort Neckarsulm“, verkündete unlängst Werksleiter Fred Schulze, „ist die Wiege des intelligenten Leichtbaus.“ Im dortigen Zentrum für zielstrebiges Weiterentwickeln der seit 1993 verfolgten Spaceframe-Technologie und ihres Umfelds gibt es seit neuestem auch ein Technikum für faserverstärkte Kunststoffe (FVK). Leichtbau- und Stabilitäts-Konzepte aus dem Tier- und Pflanzenreich werden hier auf ihre prinzipielle Verwendbarkeit im Automobilbau geprüft, getestet und bei Eignung bis hin zur Serienfertigung umgesetzt.

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Spektakuläres Resultat dieses Forschungszweiges ist der neue Audi-Spaceframe für die Nachfolger der Supersportwagen R8 und Lamborghini Gallardo. Kaum 200 Kilogramm wiegend, kann er vom Projektchef Marco Ikkler und dem Exterieur-Spezialisten Andreas Winkler ohne weitere Hilfe emporgehoben werden. „Eine ähnlich stabile Konstruktion aus Stahlblech“, so Ikkler, „würde etwa 350 Kilogramm wiegen. Die könnten wir dann nicht mehr so einfach stemmen.“

Natürliche Evolution als Vorbild

Bekanntes Maß für die Stabilität einer Karosserie ist die Kraft, die aufzuwenden ist, um die tragende Zelle um ein Grad zu verdrehen. Bei der neuen Plattform MSS (Modular Sportscar System) sind es nicht weniger als rund 40 000 Newton, die dazu nötig sind. Der Zuwachs an Torsionsfestigkeit gegenüber dem aktuellen R8 beträgt dabei gut 10 000 Newton.

„Wir arbeiten mit einem Mix vieler Strategien“, erläutert Ikkler. „Nur auf eine geänderte Geometrie der tragenden Zelle zu setzen, wäre zu wenig. Wir kombinieren zum Beispiel unterschiedliche Materialstärken mit neuen Fügetechniken, und wir setzen neben dem Aluminium auf Verbund-Werkstoffe wie den kohlefaserverstärkten Kunststoff CFK.“

Die Erkenntnis, dass ein hohler Körper aus einem Verbundwerkstoff mit dünnwandigen Flächen und entsprechenden Versteifungsrippen ein optimales Produkt aus Festigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht ergibt, ist freilich nicht neu. Die Evolution arbeitet seit Jahrmillionen daran, etwa die Knochenskelette der Wirbeltiere entsprechend zu optimieren.

Knochen ist ein Verbundwerkstoff aus Eiweiß-Fibrillen (Kollagen) und eingelagerten Kalziumphosphat-Kristallen. Stabilität gewinnt etwa der Oberschenkelknochen aus seiner relativ dünnwandigen Röhrenform, in deren Mitte leichte Knochenbälkchen entsprechend den etwa bei Biegung auftretenden Kraftlinien der Röhre zusätzliche Stabilität verleihen. Nach diesem Prinzip entwickeln Ikkler und seine Kollegen zum Beispiel die neuen, gegossenen Knotenstücke der MSS-Karosserie, die nur noch eine relativ dünne Trägerschicht umfassen – und die nach dem Knochen-Prinzip platzierten Verstärkungsrippen.
„Zum Fügen der unterschiedlich mächtigen Strangpressprofile“, so Ikkler, „studieren wir zum Beispiel Bäume. Da sprießen mit den Ästen aus einem Stamm heraus ja auch weitere tragende Strukturen. Die Faserverbünde und die Richtungen ihrer Lastlinien geben uns wichtige Hinweise etwa zur Gestaltung eines Knotenpunktes, an dem Profile unterschiedlicher Stärke ineinanderlaufen.“ Besondere Anforderung: Die Knotenpunkte müssen in Maßen duktil, also verformbar sein. Eine harte, unbiegsame Legierung wäre der Grund für den frühen Bruch der in sie mündenden elastischen Aluminiumstreben und -träger.

Leicht und dabei sicher

Herstellungsverfahren der komplizierten Knotenpunkte ist der Aluminium-Vakuum-Druckguss. Zusammen mit der CFK-Schottwand zwischen Cockpit und Maschinenraum sowie dem CFK-Verstärkungskreuz über dem Motor ergibt sich so eine derart stabile Zelle, dass sogar die Cabrio-Versionen von R8 und Gallardo keine grundsätzlich neue Struktur benötigen. Ikkler: „Die verstärkten Biege-Impulse in der Bodengruppe wegen des fehlenden Dachs fangen wir zu einem großen Teil durch zusätzliche Versteifungsrippen in den Türschwellern ab. Vorbilder gibt es genug in der Biologie.“ Die im Crash-Fall ideale, ziehharmonikaförmige Faltung der Alu-Profile nimmt dabei optimal Energie auf.
Ikklers Kollege Michael Wolf, Spezialist für biobasierte Kunststoffe und Naturfasern, trägt mit seinem Forschungsbereich zum Einhalten der von Audi angestrebten CO2-Neutralität über den gesamten Produktionsprozess bei. Umweltfreundlich soll ein R8 nicht nur im Betrieb sein, sondern auch in der Herstellung. Wolf setzt auf einen sich ankündigenden Trend: „Ein aktuelles Auto enthält zwischen 230 und 250 Kilogramm Kunststoff. Ich halte es für realistisch, dass in den nächsten zehn Jahren der Anteil an nachhaltigen, biologischen Kunststoffen auf fünf bis acht Prozent steigt.” Wolf präsentiert zum Beispiel eine Reserveradmulde, die aus Polyamid 10/10 besteht, gewonnen aus der Rhizinus-Pflanze. Dazu kommen kurze Glasfaser-Schnipsel. Dieses thermoplastische Verbundmaterial lässt sich spritzen und ergibt ein Werkstück, das im Temperaturfenster von minus 40 bis plus 80 Grad Celsius keinerlei Schwächen zeigt. Auch nicht darüber hinaus: Die neue Radmulde brät derzeit im Temperaturversuch bei 120 Grad Celsius vor sich hin. Erst bei 200 Grad, wissen die Forscher, wird sie vermutlich aufgeben.

„Polyamid“, so Wolf, „ist in der Autotechnik ideal. Es besitzt ein geringes Gewicht und nimmt kaum Feuchtigkeit auf, ist also zum Beispiel auch für Kraftstoffleitungen bestens geeignet.“ Mit nur 9,3 Kilogramm gibt die Mulde für das Reserverad tatsächlich ein Leichtgewicht ab unter den Karosserie-Bauteilen. Nicht zuletzt die geringeren Kosten sprechen für den Einsatz des neuen Materials.
Ähnlich zukunftsweisend sind die FVK-Forschungen im Bereich der ungefederten Massen. Eine Spiralfeder aus Stahl etwa für den Audi TT wiegt rund 2,8 Kilogramm. Die Spezialisten der Audi-Leichtbau-Technik haben jetzt als überraschende Anwendung eine Kunststoff-Spiralfeder entwickelt, die bei gleicher Leistung im Vergleich zum Stahl-Pendant nur noch 1,6 Kilogramm wiegt. Auf vier Räder gerechnet ergibt sich so eine Reduzierung der ungefederten Massen von fast fünf Kilogramm.

Warum die Kunststoff-Feder, in der bei Belastung zwei Druckvektoren und ein Torsionsvektor wirken, bei Dauereinsatz nicht zerbröselt? „Weil wir das getestet haben“, gibt sich Faserspezialist Wolf selbstbewusst. Die präzise Erklärung ist ein wenig komplizierter. Das erste Ziel von Audi-Entwickler Joachim Schmitt klingt hingegen noch simpel: „Wir wollen den Stahl durch glasfaserverstärkten Kunststoff ersetzen.“

Doch das erfordert Grundlagen-Forschung. Die GFK-Feder, die Schmitt gemeinsam mit dem Patentinhaber Sogefi entwickelt hat, unterscheidet sich deutlich von einer herkömmlichen Stahlfeder. Sie ist nicht nur auffällig hellgrün gefärbt, ihr so genannter Draht ist dicker und ihr Gesamtdurchmesser bei geringerer Windungsanzahl etwas größer.

Eine Helix aus GFK eignet sich exzellent zur Aufnahme von Torsionsspannungen – wenn sie gezielt darauf ausgelegt ist. Als Kern der Feder dienen lange, miteinander verdrillte Glasfasern, die in Epoxidharz getränkt werden. Um diese „Seele“, die wenige Millimeter Durchmesser hat, wickelt eine Maschine weitere Fasern, abwechselnd in einem Winkel von plus 45 und minus 45 Grad zur Längsrichtung; diese Zug- und Drucklagen stützen sich gegenseitig. Die Torsionsspannungen im Querschnitt des Bauteils werden in Zug- und Druckspannungen in der Faser umgewandelt.

Vorbild dafür ist der Faserverlauf im Stamm einer Palme. Hochflexibel biegt sich der hohle Schaft im Sturm um annähernd 90 Grad, nur um bei Windstille wieder gerade dazustehen wie eine Eins. Geheimnis hinter diesem Kraftakt: der Faserverlauf.

Wunder-Werkstoff GFK

Zurück zu Audis Zukunftstechnik. Im nächsten Schritt der Feder-Fertigung wird die noch weiche und nasse GFK-Seele auf eine Negativform aus einer niedrig schmelzenden Metalllegierung gelegt. In einem Ofen härtet das GFK-Material bei über 100 Grad Celsius aus, während die Form schmilzt. Schmitt: „GFK hat sich von Beginn an als sehr gute Wahl erwiesen. Es ist nicht nur absolut frei von Korrosion, auch bei Steinschlag, sondern auch sehr unempfindlich gegenüber Chemikalien wie Felgenreinigern. Darüber hinaus spart die Herstellung Energie.“
Und die seltsame hellgrüne Farbe? „Wenn wir den GFK-Federn einen Anteil Grafit beimischen, werden sie schwarz durchgefärbt“, erklärt Schmitt. Mit den Bionik-Ideen zum Leichtbau öffnet Audi eine weite Pforte in die Zukunft. Wer mit der Natur baut und nicht gegen sie, kann durch die Technik den nötigen Vorsprung gewinnen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten