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Interview Wolfgang Reitzle

Der Linde-Chef über die Vorteile und Chancen des Brennstoffzellen-Antriebs, die Konkurrenzsituation zum batteriegetriebenen Elektro-Auto und den Ausstieg aus der Atomenergie.

Wolfgang Reitzle
Foto: Linde

Herr Reitzle, wie wichtig ist Wasserstoff für Linde?
Reitzle: Das Industriegas Wasserstoff, das vor allem in Raffinerien zur Entschwefelung von Kraftstoffen genutzt wird, ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Baustein unseres Geschäfts. Zudem treiben wir den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger für eine emissionsfreie Mobilität weiter voran. Damit machen wir derzeit zwar noch keine großen Gewinne, wir leisten jedoch wertvolle Entwicklungsarbeit. In Schlüsselbereichen, etwa auf dem Gebiet der Wasserstoffspeicherung oder bei der Betankungstechnologie, sind wir weltweit führend.
 
Aber Sie wollen auch Wasserstoff verkaufen - oder?
Reitzle: Selbstverständlich. Wir erschließen hier ein weiteres Geschäftsfeld. Aber man muss realistisch bleiben: In 20 bis 30 Jahren werden die großen Ölkonzerne wahrscheinlich auch die größten Anbieter von Wasserstoff sein. Man darf nicht davon ausgehen, dass sich diese Dinosaurier zum Sterben hinlegen, wenn sie kein Öl mehr haben. Aber bis dahin werden wir eine tragende Rolle als technologischer Wegbereiter spielen.
 
Was ist für Sie das wichtigere Thema: die Wasserstoff-Tankstelle oder die Produktion von Wasserstoff?
Reitzle: Die Tankstelle wird für uns am Ende nicht der entscheidende Faktor sein, sondern der Wasserstoff, unsere Kernkompetenz.
 
Daimler-Chef Zetsche sagte: Die Brennstoffzelle ist bereit. Wann wird die Welt bereit sein für die Brennstoffzelle?
Reitzle: Namhafte Autohersteller wie Toyota, Hyundai, GM und Honda haben angekündigt, dass sie von 2015 an Brennstoffzellen- Fahrzeuge in Großserie produzieren werden. Und Daimler hat nach der erfolgreichen Weltumrundung seiner Brennstoffzellen- B-Klasse den Serienstart um ein Jahr auf 2014 vorgezogen. Gemeinsam mit Daimler haben wir jetzt ein weiteres deutliches Signal gesetzt: Wir werden in den kommenden drei Jahren 20 weitere Wasserstoff- Tankstellen in Deutschland bauen.
 
Wie viele Autos können Sie damit versorgen?
Reitzle: Das reicht für rund 10 000 Autos. Und diese Infrastruktur lässt sich leicht auf 20 000 Autos erweitern.
 
Wie hoch sind die Kosten pro Tankstelle?
Reitzle: Pro Station muss man mit etwa einer bis 1,5 Millionen Euro rechnen. Das ist im Vergleich zu anderen großen Infrastrukturprojekten überschaubar. Und plötzlich erkennen immer mehr Experten, dass die Infrastruktur für batteriebetriebene Autos teurer sein wird als der Aufbau einer Wasserstoff- Infrastruktur.
 
Wo sehen Sie die Nachteile der batteriebetriebenen E-Autos?
Reitzle: Ihr größter Nachteil ist die lange Ladezeit. Das dauert Stunden. Die Betankung mit Wasserstoff hingegen dauert nicht länger als drei Minuten. Dazu kommt die geringe Reichweite der Batteriefahrzeuge. Auf absehbare Zeit sind nicht viel mehr als 200 Kilometer drin. Diese Begrenzung führt dazu, dass man eigentlich überall nachladen muss: zu Hause, im Büro, beim Einkaufen. Um hierfür die entsprechende Infrastruktur aufzubauen, sind Milliarden- Investitionen erforderlich.
 
Sie müssen aber auch Tankstellen aufbauen.
Reitzle: Ja, aber innerhalb eines bereits funktionierenden Systems. Wir rüsten eine bestehende Tankstelle einfach mit einer weiteren Zapfsäule aus. Das war für mich immer der Ansatz: Die Wasserstoff-Betankungstechnik muss kompatibel mit der heutigen Infrastruktur sein.
 
Bis wann rechnen Sie mit dem Durchbruch?
Reitzle: Ich gehe davon aus, dass in fünf bis sechs Jahren rund 20 000 Brennstoffzellen- Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs sein werden. Und im Jahr 2020 sind es vielleicht schon 100 000 bis 200 000.
 
Schadet der Hype um das batteriebetriebene E-Auto der Brennstoffzelle?
Reitzle: Nein, im Gegenteil. Das Batterie-Auto gibt dem wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen- Fahrzeug einen zusätzlichen Schub. Schließlich handelt es sich bei beiden Technologien um Elektromobilität. Einmal kommt der Strom aus der Batterie, einmal aus der Brennstoffzelle. Und auf Sicht wird das Brennstoffzellen-Auto seinen Weg machen. Die Vorteile liegen einfach auf der Hand: Reichweite, Betankungszeit ...
 
Was ist denn das ideale Auto für die Brennstoffzelle?
Reitzle: Die Brennstoffzelle ist auch für größere, schwerere Autos geeignet, die universell einsetzbar sind, also auch für längere Dienstfahrten oder für Urlaubsreisen.

Unsere Highlights

Bleiben beim batterie- oder Brennstoffzellen-betriebenen Auto nicht die Emotionen auf der Strecke?
Reitzle: Überhaupt nicht. Das Fahren mit solchen Autos macht großen Spaß, da geht nichts verloren.
 
Daimler-Entwicklungschef Weber hat gesagt, dass er bis 2020 mit den Kosten auf dem Level eines Diesel-Hybrid sein will.
Reitzle: Das ist eine klare Aussage, die zeigt, dass Daimler von dieser Technologie überzeugt ist. Ich glaube zudem, dass das Thema Wasserstoff von der aktuellen Energiediskussion noch weiter profitieren wird.
 
Was versprechen Sie sich von der Energiewende?
Reitzle: Wir dürfen eines nicht vergessen: Der Ausbau der regenerativen Energien erfordert nicht nur deutlich erweiterte Netzkapazitäten, sondern auch effiziente Speichertechnologien. Neben herkömmlichen Pumpspeicher-Kraftwerken ist dafür auch der Energieträger Wasserstoff geeignet. Setzen wir also regenerativ erzeugten Strom für die Elektrolyse von Wasser ein, erhalten wir - quasi als Nebeneffekt - grünen Wasserstoff.
 
Mit dem dann beispielsweise Brennstoffzellen-Autos angetrieben werden können?
Reitzle: Richtig. Fünf bis sieben Prozent des grün erzeugten Wasserstoffs kann man ins Erdgasnetz einspeisen, und der Rest ließe sich problemlos für Brennstoffzellen nutzen. Denn eines ist auch klar: Die Brennstoffzellen- Technologie ist langfristig nur mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energien sinnvoll.
 
Was halten Sie generell von dem Schwenk von Atomstrom zur erneuerbaren Energie?
Reitzle: Hier ist in kürzester Zeit, geradezu hektisch, eine grundlegende Weichenstellung erfolgt, die weder volkswirtschaftlich noch technisch sauber durchdacht und fundiert berechnet wurde. Man verzichtet hierzulande auf günstige Energie und setzt stattdessen auf eine Stromgewinnung, die fünf bis zehn Mal so teuer ist. Die Konsequenzen müssen die Verbraucher und die Industrie tragen.
 
Es gibt weltweit einige Wasserstoff- Keimzellen - Amerika, Japan und nun Deutschland. Welche Region hat die Nase vorn?
Reitzle: Ich glaube, dass wir in Deutschland alle Möglichkeiten haben, um uns als Vorreiter einer besonders zukunftsträchtigen Technologie zu positionieren. Daimler wird die anderen Autohersteller mitziehen. Jetzt brauchen wir nur noch ein oder zwei Mineralölkonzerne, die noch stärker als bisher auf Wasserstoff setzen wollen.
 
Wie sehen Sie die automobile Zukunft?
Reitzle: Wir werden zunächst ein Nebeneinander verschiedener Antriebstechnologien und Treibstoffe erleben. Und es wird lokale Unterschiede geben. Ich erwarte, dass in den Städten beispielsweise Erdgas für Flotten und Taxis eine Rolle spielen wird. Daneben bleiben Hybride und natürlich weiterhin Verbrennungsmotoren, deren Optimierungs-Potenzial noch lange nicht erschöpft ist. Und parallel reihen sich das Batterieauto und das wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Fahrzeug ein. Für mich steht fest: Auf lange Sicht wird sich die Wasserstoff- und Brennstoffzellen- Technologie durchsetzen.

Zur Person: Wolfgang Reitzle, 1949 in Neu-Ulm geboren, studierte Maschinenbau in München. 1976 startete er seine berufliche Karriere bei BMW als Spezialist für Fertigungsverfahren, seit 1987 war er Entwicklungsvorstand. 1999 ging er als Chef zur Ford-Luxussparte, der Premier Automotive Group. 2002 übernahm er den Chefsessel der Linde AG.

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