Hyundai-Einstieg in Rallye-WM: Rückkehr der gebrannten Kinder

Hyundai-Einstieg in Rallye-WM
Rückkehr der gebrannten Kinder

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Veröffentlicht am 03.04.2013

Am Boden liegt Schnee, in der Luft ein Hauch von Verschwörung. Die Einladung kam kurzfristig, der Kreis der Anwesenden ist überschaubar. Auf dem Verkehrsübungsgelände im hessischen Gründau hat sich in aller Verschwiegenheit ein Grüppchen Ingenieure versammelt. Die stehen fröstelnd auf dem nassen Asphalt und schauen zu, wie der Testfahrer heftig am Handbremshebel zieht, um forsch eine Pylone zu umrunden.

Sieht schon wie ein Rallyeauto aus

Der Name des Fahrers tut nichts zur Sache - „einer von etwa 50 Testfahrern im Konzern“, hieß es lapidar. Fest steht, der Mann ist kein Rallyefahrer. Einer seiner Driftversuche endet in einem Dreher. Der Motor ist aus. „Sorry, mein Fehler“, sagt er freundlich, und drückt den Starterknopf. Das Cockpit ist vielleicht ein wenig konventionell, sieht aber schon wie ein Rallyeauto aus. Bitte keine Fotos, lautet die Order. Man schämt sich ein bisschen, noch nicht den letzten Schrei der aktuellen WRC-Technik bieten zu können.

Auch der Motor ist tabu. Unter der Haube steckt angeblich noch ein aufgeladener Serien-Vierzylinder. Ein Antilag-System, das knatternd im Schiebebetrieb den Ladedruck aufrechterhält, ist nicht vernehmbar. Man habe eines, aber aus Gründen der Zuverlässigkeit sei es nicht aktiviert, sagt einer der Ingenieure.

Es ist symptomatisch für die Rückkehr von Hyundai in den Rallyesport. Auf der einen Seite prescht der siebtgrößte Autohersteller der Welt mit Enthusiasmus zurück auf die Motorsport-Weltbühne, auf der anderen Seite steht die Zentrale bei der Informationspolitik auf der Bremse und gibt sich geheimniskrämerisch. Das auf dem Hyundai i20 basierende Auto wurde auf dem Autosalon in Paris mit großem Tamtam präsentiert, Informationen gab es keine. Nach fünf Minuten rollte das Auto von der Bühne - man hätte es für einen Spuk halten können, hätte das Showcar nicht mit verdunkelten Scheiben für den Rest der Zeit auf der Messe gestanden. Bei Hyundai ist man stolz, man weiß nur noch nicht worauf.

Hyundai geht es um die Rallye-Ehre

Es geht nicht nur um Sport. Es geht um Politik, um Geld, und, was vielleicht noch schwerer wiegt, um die Ehre. Es ist ein knappes Jahrzehnt her, als Hyundai in der Rallye-WM scheiterte. Nach dem mäßigen Aufgalopp mit dem schwachbrüstigen Hyundai-Coupé folgten eine ebenfalls mäßig erfolgreiche Phase mit einem Accent World Rally Car. Auch diesem fehlte es an Leistung und vor allem an Budget. Mangels eigener Erfahrung hatte man für Entwicklung und Einsätze das britische Unternehmen Motorsport Developments beauftragt.
 
Die Firma von David Whitehead wurstelte sich drei Jahre durch die höchste Schotter-Spielklasse. Als im Frühjahr 2003 bereits das gesamte Budget für die komplette Saison aufgebraucht war, kamen Bitten um Geld aus Milton Keynes. In Korea fühlte man sich über den Tisch gezogen, noch vor Saisonende verkündete der Konzern das Aus - obwohl sich Hyundai für das komplette Jahr verpflichtet hatte. Die FIA verhängte eine Strafe von 250.000 Dollar, lange Jahre warteten Fahrer und Zulieferer auf die Bezahlung ausstehender Rechnungen. So sieht ein Gesichtsverlust aus.
 
Das soll nicht noch einmal passieren. In Seoul hat sich der Wind gedreht, Chung Euisun ist ein Rallyefan. Der Sohn des Firmenchefs Chung Mong-Koo ist auch der Vizepräsident der Hyundai Motor Company, die in einem Verbund diverser Unternehmen mit gigantischen Reedereien und Werften in der Weltwirtschaft ein ganz großes Rad dreht.

Rallye-Angriff auf Volkswagen

Durch Korruptionsskandale und die Finanzkrise ist Hyundai ziemlich gut durchgekommen. Der Absatz stimmt und wächst, das Design ist in europäischen Augen deutlich gefälliger geworden, die Technik zuverlässig. Der Konzern gibt sieben Jahre Garantie, so sieht Selbstbewusstsein aus. Entsprechend sucht man nach neuen Herausforderungen, und eine davon lautet unverblümt: Angriff auf Volkswagen. Und weil VW 2011 entschieden hat, 2013 Rallye-WM zu fahren, kommt auch Hyundai. Das immerhin ist kein Geheimnis.

Die Koreaner stehen exakt da, wo sie schon einmal waren: keine Sportabteilung, keine Sporterfahrung. Es hätte nahe gelegen, sich einen Partner zu suchen. Nachdem sich Ford zurückgezogen hat, wäre das englische M-Sport-Team mit seiner riesigen Infrastruktur zu haben gewesen. „Bei uns hätte Hyundai in zwei Jahren zur Weltspitze aufschließen können“, sagt der dortige Technik-Chef Christian Loriaux.
 
Doch als Ford den Stecker zog, waren bei Hyundai zum einen die Weichen schon gestellt, zum anderen scheuen die Koreaner nach den Erfahrungen zur Jahrtausendwende die Zusammenarbeit mit einem freien Subunternehmer. Dass sich das als langjähriger Subaru-Partner durchaus namhafte Prodrive-Team schon zu Beginn des Mini-Projekts mit BMW entzweite, weil aus Banbury ständig Geldforderungen kamen, weckte unschöne Erinnerungen. „Das sitzt hier noch ganz tief“, gesteht ein Hyundai-Mitarbeiter.

Hyundai Motorsport sitzt in Deutschland

Dann macht man es lieber selbst, auch auf die Gefahr hin, dabei reichlich Lehrgeld zahlen zu müssen. Eine neu gegründete Firma wird unter dem Namen Hyundai Motorsport firmieren und nahe dem europäischen Entwicklungszentrum im hessischen Alzenau residieren, wo man in die großen Hallen eines ehemaligen Solarunternehmens einzieht. Die benötigten Maschinen und Werkzeuge müssten in den nächsten Wochen eintreffen.
 
„Die meinen das schon ernst“, sagt Andreas Ruths mit Anerkennung. Das mit Bruder Norbert geführte Unternehmen MTEC betreut das weiße Auto in der Übergangsphase. Das kleine Unternehmen hat in der Frühzeit der WRC-Ära mit einem Escort Cosworth Rallye-Erfahrung gesammelt. Nach jeder der kurzen Probefahrten mit dem Grüppchen geladener Gäste beugt sich zudem der frühere Toyota-Ingenieur Freddy Nowak in den Motorraum. Laut Hyundai brauchte man auf die Schnelle Reifen, Rennbenzin und einen Servicewagen, ansonsten spiele das Unternehmen der Brüder aus Waldsolms keine Rolle in der weiteren Planung. Am besten gleich wieder vergessen.

Rallye-Prototyp mit Spezialtechnik

Verraten darf man einige Details: Das sequenzielle Sechsganggetriebe stammt wie bei allen aktuellen WRC vom englischen Spezialisten X-Trac. Die Bremse kommt von AP, die Dämpfer wie bei VW von Sachs, die Elektronik von Bosch, Antriebswellen von GKN - die namhaften Zulieferer, die man eben anruft.
 
Die Rallyewelt ist klein. Die Liste der Entwicklungspartner macht aber klar, dass man sich keineswegs blind mit technischen Alleingängen ins Getümmel werfen will. „Wir holen uns Rat“, sagt Ingenieur Kim, der sich als Motorenchef vorstellt und einräumt: Wir sind erst bei der Basisabstimmung.“
 
Genau darin sehen erfahrene Beobachter das Problem. 2014 soll das Auto seine erste volle Saison bestreiten. Nur gibt es noch kein Team. Die Motorsport-Abteilung wird unter Leitung des Koreaners Gyoo Heon Choi stehen, unter dem ein Teamchef operiert, um dessen Person sich Monate lang Gerüchte rankten. Es wird Michel Nandan werden, der als Favorit für den Posten des Technikchefs galt. Der gebürtige Monegasse hat zur Jahrtausendwende als verantwortlicher Konstrukteur bei Peugeot drei WM-Titel geholt, mit asiatischen Unternehmen hat er aber eher schlechte Erfahrungen gemacht.
 
2006 holte ihn Suzuki als Technischen Direktor zurück in die WM. Auch Nandan ist ein gebranntes Kind. Er fand ein in Japan bereits fertig entwickeltes Auto vor, an dem er eineinhalb Jahre herumdokterte. Das Chassis war nicht steif genug, der Motor hatte keine Leistung, die Hydraulik war eine Dauerbaustelle, das Budget ein Witz. Frustriert warf Nandan 2007 das Handtuch.

Hyundai i20 WRC-Auto ist ein Auslaufmodell

Auch Hyundai hat den i20 in Eigenregie in Korea entwickelt. Das zum Proberitt in Gründau präsentierte Auto ist Prototyp Nummer drei. Bis zu acht sollen es im Laufe des Jahres werden, um einzelne Komponenten wie Fahrwerk und Motor zu testen. „Wir benutzen ein Interims-Chassis, um unsere Hausaufgaben zu machen“, sagt Nandan. Aber auch das fertige Auto wird nur eine Zwischenlösung, denn der Hyundai i20 ist ein Auslaufmodell, der Nachfolger kommt 2015. Hyundai scheint dennoch wild entschlossen, ein WRC-Auto für nur ein Jahr zu bauen.
 
Immerhin wird man den 1,6-Liter-Vierzylinder weiter verwenden können. Hyundai entwickelt einen reinen Rennmotor. Wie beim erklärten Rivalen VW will man Nägel mit Köpfen machen und zieht diese Variante einem aus der Serie abgeleiteten Antrieb vor.
 
Es wäre alles kein Problem, wenn da nicht der Faktor Zeit wäre. „Um so ein Projekt ordentlich anzugehen, sind zwei Jahre schon knapp“, rechnet Yves Matton, Sportchef bei der WM-Mannschaft Citroën vor. Geht es nach Wunsch der Koreaner, soll der Hyundai im Herbst 2013 seinen ersten Probelauf absolvieren. Dafür bräuchte es eigentlich drei Nandans. Der neue Teamchef muss Ingenieure, Mechaniker und Fahrer rekrutieren, den Aufbau der Fabrik und das Design des Autos im Auge behalten.
 
Immerhin hat sich der Testfahrer in der Zwischenlösung jetzt eingeschossen. Haarscharf dreht er unter wütendem Motorgeheul mit durchdrehenden Rädern im Zentimeterabstand Kringel um eine Pylone. Die Ingenieure nehmen die Hände aus den Jackentaschen und applaudieren. Korea ist für den Rallyesport noch Entwicklungsland - aber Driftmeisterschaften sind schon heute extrem populär.