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Hintergründe Dakar 2010
Der VW-Triumph in Südamerika

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Nachdem alle Gegner geschlagen waren, machte das Werksteam von Volkswagen die Dakar-Rallye einfach selber spannend: Das Duell der beiden Werkspiloten Carlos Sainz und Nasser Al-Attiyah wurde mit voller Härte und ohne Stallregie ausgetragen. Der Spanier behielt die Oberhand.

Dakar 2010 Etappe 9
Foto: VW

Highnoon in der Pampa: Die Sonne steht senkrecht, die Heizung ist voll aufgedreht. 37 Grad im Schatten - wenn es denn einen gäbe. Von Bäumen weit und breit keine Spur. Nur ein paar verkrüppelte Büsche verdorren in Kniehöhe. Die mageren Hunde verkriechen sich unter die parkenden Autos. Ab und zu wirbelt ein Mini-Tornado den Staub auf. Eine Szene wie aus einem Roadmovie von Quentin Tarantino. Oder aus einem Western: Sheriff Wyatt Earp jagt Billy the Kid, den Schurken. Die öde Pampa de la Varita ist eine prachtvolle Kulisse für den größten und spannendsten Showdown, den die Dakar jemals erlebt hat. Carlos Sainz und Nasser Al-Attiyah tragen das VW-Bruderduell mit geradezu unerbittlicher Härte aus.
 
Kurz nach zwölf knattert der TV-Hubschrauber über die kleine Kuppe am hitzeflimmernden Horizont. Dann sind Staubwolken zu sehen, von zwei blauen Autos. Al-Attiyah liegt vorn, in seiner Staubwolke ist der VW Race-Touareg von Sainz kaum zu sehen. Beide halten an der obligatorischen Stoppkontrolle. Der Katari steigt aus, kippt sich eine Flasche Wasser über den Kopf und schaut sich mit durchgedrücktem Kreuz um. So als wolle er fragen: Na, wie war ich? Al-Attiyah, der am Morgen zwei Minuten hinter Sainz gestartet war, hatte allen Grund, stolz zu sein. Denn schließlich hatte er seinem in der Gesamtwertung seit dem fünften Tag führenden Kontrahenten aus Spanien fast drei Minuten abgeknöpft und so seinen Rückstand vor der Schlussetappe auf nur noch 2.48 Minuten verkürzt.

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Wenn das so weiter läuft, höre ich auf!
 
Doch nun naht Ungemach für Al-Attiyah. Sainz stürmt von hinten heran, außer sich vor Wut. Der Adrenalinpegel des Spaniers steht auf Oberkante Unterlippe. Er reißt sich den Helm vom Kopf und fängt an, den Katari wüst zu beschimpfen und mit dem Zeigefinger zu drohen. Fehlt nur noch, dass er ihn am Kragen packt und schüttelt. Die Schreierei dauert vielleicht eine Minute, dann dreht Sainz ab. Mit Riesenschritten sprintet er zurück zu seinem Auto. Widerwillig gibt er Auskunft. „Nasser ist mir hinten draufgefahren. Und danach fuhr er Zickzack. Der spinnt! So geht es nicht! Wenn das so weiter läuft, höre ich auf!“ Dann knallt er die Tür zu und spielt beleidigte Leberwurst. Er braust mit Vollgas davon, ohne dem verdutzten Eurosport-Kameramann das obligatorische Interview zu geben.
 
Nasser Al-Attiyah sieht die strittige Szene natürlich völlig anders: „Carlos soll erst mal lernen, wie das Sentinel funktioniert.“ Das Sentinel ist ein bei der Dakar-Rallye obligatorisches Warnsystem, das den Fahrer des vorausfahrenden Autos mit nervtötendem Tröten alarmiert, sobald ein Schnellerer von hinten drängelt. Dann muss der Vordermann Platz machen. So steht es im Reglement. Al-Attiyahs Beifahrer Timo Gottschalk kocht vor Wut: „Wir sind sage und schreibe 250 Kilometer im Staub hinter Sainz hergezuckelt.“ Bei dieser Faktenlage müsste man eigentlich meinen, Al-Attiyah hätte allen Grund gehabt, sich bei Sainz zu beschweren - und nicht umgekehrt.
 
Von dem Vorwurf, er sei Zickzack gefahren, will Al-Attiyah nichts wissen. „So ein Blödsinn. Ich muss ja den Steinen ausweichen, die überall herumliegen. Soll ich da etwa voll drüberrumpeln?“ Im Camp von Santa Rosa de la Pampa dreht Al-Attiyah den Spieß um: Er fordert eine Zeitstrafe von 20 Minuten für seinen Teamkollegen - wegen unsportlichen Verhaltens. Dieser Konter verlief allerdings im Sande - von dem es bei der Dakar-Rallye ja nun wirklich genug gibt. Teamchef Kris Nissen versuchte die Wogen zu glätten: „Das war halt ein kleines Missverständnis.“
 
Die Konkurrenz amüsierte sich prächtig
 
Die Konkurrenz amüsierte sich prächtig über den Krach zwischen den VW-Kollegen. Wobei Kollege in diesem Zusammenhang vielleicht der falsche Ausdruck ist. Eigentlich müsste es heißen: Mein Kollege, mein Erzfeind. BMW-Neuzugang Stéphane Peterhansel: „Gut so, dass es bei VW keine Stallregie gibt. Sonst wäre es ja langweilig.“ Vor der letzten Wertungsprüfung, einer 202 Kilometer langen Vollgasbolzerei mit Ziel in der Pampa-Metropole San Carlos de Bolivar, hatten einige Fahrer - und vor allem auch die Beifahrer - eine unruhige Nacht.
 
Die Prüfung war zwar fahrerisch nicht besonders anspruchsvoll, weil bolzengerade. Andererseits war sie gefährlich, weil sehr schnell. Die Preisfrage hieß: Kann Al-Attiyah hier knapp drei Minuten gutmachen? Al-Attiyah tat das Menschenmögliche und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Sainz wehrte sich nach Kräften. Mit der gewaltigen Durchschnittsgeschwindigkeit von 152 km/h fuhr der Mann aus Katar zwar Tagesbestzeit, aber er schaffte es nicht, Sainz im letzten Moment noch vom Thron zu stoßen. Mit 2.12 Minuten Rückstand reichte es für Al-Attiyah/Gottschalk nur zur Silbermedaille. „Ich kann mich nicht erinnern“, staunte Dakar-Chef Etienne Lavigne, „dass es bei der Dakar beim Kampf um den Sieg jemals so eng zugegangen ist.“
 
Wir haben gepusht, gepusht und nochmals gepusht
 
Die letztendlich entscheidenden Minuten verlor Al-Attiyah kurz vor Halbzeit der Rallye, auf der Etappe ins nordchilenische Iquique. „Da war die Navigation teilweise sehr kniffelig“, sagte er. „Wir haben arg lange gebraucht, um den ersten Waypoint zu finden. Das hat uns vielleicht zwölf Minuten gekostet. Danach haben wir gepusht, gepusht und nochmals gepusht.“ Al-Attiyah ließ sogar die Klimaanlage ausbauen, um so zehn Kilo an Gewicht zu sparen. „Eingeschaltet haben wir sie ohnehin nie, weil sie ja Leistung kostet“, verriet Copilot Gottschalk. Für Sainz hingegen war die Aircondition lebensnotwendig. Mit großer Hitze kommt der Spanier nämlich nicht besonders gut zurecht. Auch bei der diesjährigen Dakar musste sich Sainz nach einer Hitzeetappe in die Obhut der Sanitäter begeben. Die Rotkreuzler verpassten ihm eine Infusion - und weiter ging‘s.
 
Nichts mit der Entscheidung zu tun hatten schon bald die Vorjahressieger Giniel de Villiers und Co Dirk von Zitzewitz. Am dritten Tag übersah der Südafrikaner ein Loch, der VW plumpste hinein und machte auf der Frontstoßstange Männchen. „Nichts Spektakuläres“, klagte von Zitzewitz. „Wir waren vielleicht um nullkommafünf Stundenkilometer zu schnell.“ Nach ein paar Minuten kam Orlando Terranova zur Hilfe. Mit seinem Bergegurt leistete der Mitsubishi-Fahrer Samariterdienste, befreite das Auto aus seiner misslichen Lage - de Villiers konnte weiterfahren. Aber nicht lange. Denn nun bremste ein Feuerchen das rasche Fortkommen. Auslaufendes Hydrauliköl hatte sich am glühend heißen Turbolader entzündet. Der Brand war zwar rasch unter Kontrolle, der Kabelbaum hatte jedoch Schaden genommen. Deswegen stellte sich der Motor tot und de Villiers musste auf den Abschleppdienst in Gestalt des Renntrucks warten, der ihn ans Seil nahm und ins Camp schleppte.
 
Während der Amerikaner Mark Miller erneut eine solide Performance zeigte und als Dritter den VW-Triumph komplettierte, bekleckerte sich Mauricio Neves nicht mit Ruhm: Nach einem Viertel der Distanz baute der Brasilianer einen heftigen Unfall und brach sich dabei vier Rippen - das Aus für den Teamneuling. Eindeutig unter Wert wurde BMW geschlagen. Auf sechs der 14 Tagesetappen verbuchten die Fahrer der X3 CC den Tagessieg (viermal Stéphane Peterhansel, einmal Guerlain Chicherit und einmal Nani Roma). Dies zeigt, dass die Autos von Teambesitzer Sven Quandt auf Ballhöhe waren. Allerdings nur, was den Speed angeht. Zuverlässigkeitsprobleme verhinderten, dass die BMW beim Kampf um den Sieg wirklich voll mitmischen konnten. Am Ende des vierten Tages führte der neunmalige Dakar-Sieger Peterhansel das Feld an, doch dann versagte die Kardanwelle. „Sie wurde richtig verzwirbelt“, staunte Quandt. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“
 
Peterhansel musste mit Frontantrieb aus der Prüfung humpeln. Zeitverlust: zwei Stunden und 14 Minuten. Im Ziel lag der viertplatzierte Peterhansel 2:17.21 Stunden hinter Sainz. Sven Quandt ärgerte sich: „Schade, ohne das Problem hätte es einen Dreikampf um den Sieg gegeben. Es ist schon frustrierend, dass die VW nicht das allerkleinste technische Problem hatten. Man muss aber auch anerkennen, dass sie einen tollen Job gemacht haben.“
 
Verdruss im BMW-Camp
 
Nani Roma sorgte für Verdruss im BMW-Camp: Am zweiten und am dritten Tag vollführte der Spanier je einen Salto mit seinem X3. Teamchef Quandt versuchte sich in Hobby-Psychologie: „Ich weiß genau, was da passiert ist“, sagte er und tippte sich an den Kopf. „Am ersten Tag gewann Nani die Etappe, am zweiten Tag hatte er einen harmlosen Überschlag. Den steckte er weg, nach dem Motto: War zu glatt, war nicht meine Schuld. Und am dritten Tag fuhr er los mit dem Vorsatz: Heute hole ich die verlorene Zeit wieder auf. Das hat leider nicht geklappt.“
 
Die zweite Dakar in Südamerika war so hart wie die schlimmsten Afrika-Rallyes: Von 136 gestarteten Autoteams kamen nur 57 ins Ziel, darunter die Deutschen Matthias Kahle/Thomas Schünemann mit ihrem Buggy als 18. und Stephan Schott/Holm Schmidt im Mitsubishi- Prototyp auf Platz 26.
 
Während die Überlebenden der Rallye in Buenos Aires ihre Wunden leckten und dann kräftig Party machten, saß ein anderer Dakar-Promi schon wieder im Flugzeug in Richtung USA. Robby Gordon, der mit seinem Hummer-Buggy nach allerlei Technikproblemen - unter anderem mit der Luftfüllanlage - nur auf Platz acht gekommen war, flog am Samstagabend direkt nach Las Vegas: Er kam gerade noch rechtzeitig, um am Sonntagvormittag mit seinem 850 PS starken Hummer Trophy-Truck bei dem Wüstenrennen Primm‘s 300 zu starten. Der Express-Trip per Linienmaschine von Buenos Aires nach Miami und dann sofort weiter mit dem Privatjet nach Las Vegas lohnte sich nicht für den amtierenden SCORE-Offroad-Champion: Nach zwei Reifenschäden schaffte Gordon auch in Nevada nur Platz acht. „Damit kann ich nicht zufrieden sein“, klagte er. „Aber nächstes Jahr komme ich wieder - mit meinem Hummer.“

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Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

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