Die Karriere war kurz, aber sie hinterließ Spuren. Beim GP Monaco 1967 tauchte der Name Matra zum ersten Mal in den Starterlisten eines Grand Prix auf. Nach dem Saisonfinale 1972 in Watkins-Glen verschwand er wieder. Dazwischen lagen 60 Einsätze, neun Siege, vier Pole Positions, zwölf schnellste Runden, 155 WM-Punkte und ein WM-Titel.
Die Erinnerung heute: Matra, das waren doch die eigenwillig geformten Autos in dem herrlich leuchtenden Blau, mit einem infernalisch kreischenden Zwölfzylinder-Motor im Heck. Den besten Vertreter der Matra-Familie haben heute, 40 Jahre später, die wenigsten vor ihrem geistigen Auge. Vielleicht, weil es ein ganz normales Rennauto mit einem Cosworth-V8 im Heck war.
Der Matra MS80 schlug gewissermaßen aus der Art
Und wahrscheinlich war er deshalb so erfolgreich. Jackie Stewart gewann mit der französischen Antwort auf Lotus, Ferrari, Brabham und McLaren den Fahrertitel. Gleichzeitig ging auch noch der Konstrukteurspokal an die Grande Nation. Stewarts Teamkollege Jean-Pierre Beltoise beendete die Weltmeisterschaft 1969 mit 21 Punkten als Fünfter.
Matra war ein Quereinsteiger. Bekannt wurde die 1942 gegründete Firma wegen ihrer Aktivitäten in der Raumfahrt und der Rüstung. Im Oktober 1964 trug Marcel Chassagny im Pariser Vorort Vélizy die Societé Matra Sports ins Handelsregister ein. Matra wurde Automobilhersteller. Nach schnellen Erfolgen in der Formel 3 und Formel 2 drängte Rennleiter Jean-Luc Lagardère in die Formel 1. Lagardère war ein Ebenbild des heutigen Ferrari-Präsidenten Luca di Montezemolo. Charismatisch, elegant, weltmännisch. Staatschef Charles de Gaulle zählte zu seinem Bekanntenkreis. Auf die Frage des Staatsoberhaupts, warum ein französisches Rennauto ohne französischen Motor fahre, antwortete er: „Weil wir kein Geld für die Entwicklung eines Motors haben.“ De Gaulle spendierte sechs Millionen Francs. Mit der Bedingung: Wenn ihr erfolgreich seid, müsst ihr das Geld zurückzahlen.
Ohne die geringste Erfahrung im Motorenbau ging man bei Matra bei der Konzeptfindung ziemlich pragmatisch vor. Was ist der stärkste Motor im Feld? Ein Ferrari. Wie viele Zylinder hat Ferrari? Zwölf. Also zwölf Zylinder soll das neue Triebwerk haben, und laut muss er sein, der Motor. So laut, dass man sich an ihn erinnert. 1968 gab der Matra V12 im MS11-Chassis seine Premiere. Weil das Triebwerk, das anfangs kaum mehr als 400 PS produzierte, mit Kinderkrankheiten behaftet war, gönnten sich die Ingenieure um Georges Martzin 1969 eine Denkpause und setzten es bei Sportwagenrennen ein. Der Cosworth V8 wurde zu dieser Zeit auf 420 PS taxiert. Ken Tyrrell war schon in Formel 2-Zeiten auf den Matra-Zug aufgesprungen und setzte ab 1968 in privater Mission zwei Autos für Jackie Stewart und Johnny Servoz-Gavin ein. Der Vize-Titel von Stewart 1968 sprach für die Qualitäten des Matra-Chassis.
Perfekte Mischung von Praktikern und Spinnern
Pragmatiker Tyrrell traute dem Matra-Motor nicht über den Weg und bestand auf dem Einsatz der bewährten Cosworth-Achtzylinder-Maschine. Diese Entscheidung war einer der Schlüssel für das Projekt MS80. Jackie Stewart nimmt die Matra-Leute in Schutz: „Sie hatten gute Leute, aber sie brauchten einen wie Ken, der das Geschäft verstand und mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Unser Team bestand aus einer perfekten Mischung von Praktikern und Spinnern.“ Im Prinzip realisierte Tyrrell schon damals das Erfolgsprinzip von Ron Dennis:
Nimm dir von allem das Beste
„Der Cosworth war der beste Motor, Dunlop befand sich auf dem Höhepunkt seiner Reifenentwicklung, Hewland lieferte kugelsichere Getriebe“, fasst Stewart zusammen. Optisch macht das drittel Formel1-Auto im Matra-Stammbaum nicht viel her. Man erkennt seine Qualitäten erst auf den zweiten Blick. Sie liegen unter der blau-weißen Aluminiumhaut. Den MS80 zeichnete seine überragende Verwindungssteifigkeit aus. Stewart erinnert sich: „Der MS80 wurde mit Technologien produziert, wie sie damals nur der Flugzeugbau kannte. Die Zahl der Nieten, die das Monocoque und die Alu-Platten zusammenhielten, waren exakt berechnet worden. Der Typ Nieten, ihr Material passend dazu ausgewählt. Es war deshalb das steifste Chassis, das es damals gab.“
Da man 1969 noch keinen Sicherheitstank verwenden musste, behalf sich Matra-Chefkonstrukteur Bernard Boyer mit einem Trick. Statt das Monocoque mit einem großen Loch zum Einführen der Tankblase zu versehen, wurde der Sprit in integrierten Alu-Kammern rund um den Fahrer verteilt. Der Verzicht auf größere Öffnungen gab der Alu-Röhre zusätzliche Steifigkeit. Dazu kam, dass der Motor nach dem Vorbild des Lotus 49 als tragendes Element verwendet wurde. In einer Zeit, in der die Federwege fast so groß waren wie heute bei einem Geländewagen, war eine steife Zelle das A und O. Die Aufhängungen konnten ohne störende Einflüsse des Chassis ihre Arbeit verrichten. Der Fahrer spürte jede Änderung am Fahrwerk.
„Der MS80 war kinderleicht zu fahren“, bestätigt Stewart. „Ich hatte in meiner Karriere nie ein besseres Rennauto.“ Zum Konzept gehörte auch, dass die Tanks nahe dem Schwerpunkt des Autos installiert wurden. Das erklärt die Ausbuchtungen auf Höhe des Cockpits. Stewart: „Die Tanks lagen teilweise hinter, teilweise rechts und links von mir in Ausbuchtungen. Ich saß also mitten im Benzin. So wurde das Fahrverhalten nicht beeinflusst, wenn die Spritmenge abnahm, weil sich das Gewicht auf das Fahrzeugzentrum konzentrierte. Tyrrell hat diese Idee später bei seinen Eigenkonstruktionen übernommen.“ Die Kühler in der Nase waren auch als Ballast gedacht, um die Gewichtsverteilung so ausgeglichen wie möglich zu gestalten. Damals wurde noch nicht mit Wolframplatten hantiert, um das Gewicht dort zu platzieren, wo es der Konstrukteur wünschte.
535 Kilogramm wog der Matra MS80
Auch an der Hinterachse hatte sich Matra etwas einfallen lassen, um das Fahrverhalten des Autos zu verbessern. Die Bremsen waren innen am Getriebe statt außen in den Radträgern montiert, um die ungefederten Massen zu verringern. Mit 535 Kilogramm zählte der Matra MS80 zu den leichtesten Vertretern im Feld. Was vielleicht auch daran lag, dass die französischen Ingenieure jede Komponente an ihrem Auto berechneten und zeichneten statt wie ihre britischen Kollegen über den Daumen zu peilen. Es gab sogar so etwas wie einen Windkanal, in dem kleine Holzmodelle getestet wurden. Man sieht es an den Details. Zum Beispiel die zum Teil verkleideten Aufhängungselemente der Vorderradaufhängung, die wie ein extra Flügel wirken. Oder der Auslass des Wasserkühlers im Bug, der die Luft gezielt um das Cockpit herum verteilte. Oder die senkrechten Finnen auf der Nase, die die Strömung Richtung Heckflügel ausrichteten. Matra testete im Winter zweigleisig mit und ohne Flügel, was das Maß an Voraussicht dokumentiert.
Die Flügel wuchsen Anfang 1969 in den Himmel. Auch Matra ließ sich davon anstecken - wenn auch nicht ganz so extrem wie die Konkurrenz, jedoch umso ausgefeilter. Die Frontflügel veränderten ihren Anstellwinkel, je nachdem ob das Auto aus- oder einfederte. Die hintere Flosse war auf den Radträgern montiert und wurde mittels Elektromotor in Stellung gebracht. Beim Bremsen vergrößerte sich der Anstellwinkel, auf der Gerade legte sich das Hauptblatt flach. Schwere Unfälle der beiden Lotus 49B von Jochen Rindt und Graham Hill beim GP Spanien stoppten die immer extremeren Auswüchse. Beim darauffolgenden Grand Prix in Monaco mussten die Leitbleche unter Protest der Teams über Nacht abmontiert werden. Erlaubt waren nur noch Flügel, die direkt mit der Karosserie verbunden waren.
Drei Rennen vor Schluss sichert er sich die WM-Krone
Matra war auf diese überstürzte Reglementsänderung am besten vorbereitet. „Wir hatten im Winter immer mal wieder ohne Flügel getestet, um für alle Fälle gerüstet zu sein“, verrät Stewart. „Der Gripverlust war natürlich enorm, aber wir wussten wenigstens, wie wir das Auto auf die neuen Gripverhältnisse abstimmen mussten. Die Autos konnten zum Beispiel mit geringerer Bodenfreiheit gefahren werden, weil nicht mehr so viele Kilogramm Abtrieb auf das Auto drückten.“ Der Matra MS80 führte sich standesgemäß ein. Er gewann bei seinem Debüt in Spanien. Jackie Stewart fuhr mit dem Titel auf und davon. Sein Sieg in Monza sicherte ihm bereits drei Rennen vor Schluss die WM-Krone. Danach war die Luft raus. In den letzten drei Läufen sah der neue Weltmeister nur ein Mal die Zielflagge. Stewart hätte es sich eigentlich leisten können, mit dem Vierradauto anzutreten, doch der Schotte beließ es bei Testfahrten.
Gegen Mitte der 69er Saison begannen fast alle Teams mit dem Allradantrieb zu experimentieren. Auch Matra baute mit dem vom MS80 abgeleiteten MS84 ein eigenes Fahrzeug, das allerdings auf einem Rohrrahmen und nicht einem Monocoque aufbaute. Der Vierradantrieb stammte von Ferguson. Trotz der theoretischen Vorteile blieb Stewart skeptisch, und die Praxis bestätigte den Meister: „Tony Rolt, der verantwortliche Mann bei Ferguson, wollte uns dazu drängen, mehr mit dem MS84 zu testen, aber es gab zu viele Probleme. Wir begannen mit einer Antriebsverteilung 50:50 und legten dann immer mehr Power auf die Hinterachse. Je weiter wir damit nach hinten gingen, desto besser wurde das Fahrverhalten. Da konnten wir gleich bei unserem konventionellen Antrieb bleiben. Es gab die üblichen Probleme: Untersteuern beim Leistungseinsatz, zu hohes Gewicht.“
Einziger WM-Punkt für ein F1-Auto mit Allradantrieb
Tyrrell stellte Johnny Servoz-Gavin für das Vierradprojekt ab. Und dem Franzosen war es dann auch vergönnt, den bis heute einzigen WM-Punkt für ein Formel 1-Auto zu holen, bei dem alle vier Räder angetrieben wurden. Servoz-Gavin erreichte beim GP Kanada den sechsten Rang. Der Titelgewinn hatte Matra-Chef Lagardère im Glauben an die Fähigkeiten seiner Truppe gestärkt. Wer so ein gutes Auto bauen konnte, musste auch beim Motor Erfolg haben. Ein Trugschluss. Das französische Nationalauto konnte keinen einzigen Grand Prix gewinnen. Drei Jahre versuchte man es mit der MS120-Baureihe, ein paar Mal war man ganz knapp dran (Italien 1971, Frankreich 1972), doch letztendlich scheiterte das Projekt an der Unzuverlässigkeit des Motors, am zu weichen Chassis und am großen Durst des Zwölfzylinders, der in 240-Liter-Tanks und hohem Startgewicht resultierte. Ab 1973 konzentrierte sich Matra ganz auf die Sportwagen-WM. Der Motor tauchte später im Ligier wieder auf, und da waren ihm immerhin drei GP-Siege vergönnt.
Ein Muss für Matra-Fans
Das Matra-Museum in Romorantin liegt am Ende der Welt. Zumindest, wenn man aus Deutschland anreist. Grobe Richtung Orléans, und dann noch 100 Kilometer weiter Richtung Süden. Doch die Reise lohnt sich. In Romorantin steht im schmucken Ortszentrum ein kleines Museum, in dem Matra-Fans voll auf ihre Kosten kommen. Warum in Romorantin? Weil der Rüstungskonzern Matra dort einmal eine Fabrik unterhielt. In dem Museum, das täglich von 9 bis 12 und 14 bis 18 Uhr geöffnet ist, stehen mit Ausnahme der Typen MS120B und MS120C alle Formel 1-Matra, alle Sportwagen, die gesamte Motorenpalette, die Formel- und die Formel 2-Fahrzeuge. Dazu natürlich alle Straßenautos und kuriosen Prototypen, die in der französischen Firma gebaut wurden.