Ford-Rückzug aus der Rallye-WM: Rückblick zum Ende der Ford-Ära

Ford-Rückzug aus der Rallye-WM
Rückblick zum Ende der Ford-Ära

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Veröffentlicht am 25.01.2013

Gerard Quinn steht am Geländer der Hospitality-Burg und blickt versonnen auf die zwei Ford Fiesta, die am Service parken. Es sieht aus, als ob er sich das Bild einprägen will, das er möglicherweise nie wieder zu Gesicht bekommen wird. Es wird ab 2013 keine Werks-Ford mehr geben, und der europäische Sportchef hat die Entscheidung zum Rückzug mitgetroffen.

Drinnen sitzt Technik-Chef Christian Loriaux und bewundert die Modellautosammlung eines Mechanikers. Es sind alle Siegerautos der Jahre 2003 und 2004. Markko Märtin kommt, um die Plexiglas-Boxen der Modelle zu signieren. „Das war das beste Auto, das du je gebaut hast“, sagt er zu Loriaux.

Ende der Ford-Epoche in der Rallye-WM

Es ist das letzte Rallye-Wochenende 2012 und zugleich das Ende einer Epoche, die unendlich schien. Eine Nostalgie-Welle schwappt über Salou. Es gab ein Abschiedsessen, wo Teamchef Malcolm Wilson das Mikrofon ergriff und hoffte, dass er nicht gleich in Tränen ausbrechen würde. Er schaffte es, aber nur bis zum Ende der Rallye. Als die Mechaniker mit dem Abbau begannen, waren die Augen feucht.

Ein paar Wochen zuvor stand er mit weichen Knien vor seiner Belegschaft in Dovenby Hall und verkündete die schlechte Nachricht. „Der schwerste Moment meines Geschäftslebens“, sagt er.

Seine Firma M-Sport leitete seit 1997 die Geschicke des Ford Werks-Teams, seit die Europazentrale die hauseigene Sportabteilung in Boreham geschlossen hatte. M-Sport residiert in einem historischen Herrenhaus auf dem Gelände eines ehemaligen Nerven-Sanatoriums im nordenglischen Cockermouth. Das Unternehmen ist etwa doppelt so groß wie die Sportabteilung des Serien-Weltmeisters Citroën.

230 Mitarbeiter standen bei Tee und Keksen und klopften ihrem Chef aufmunternd auf die Schultern, als ob sie die Hiobsbotschaft nichts anginge. „Du wirst das schon richten“, war der Tenor. Wilson warnte: „Es sind keine weißen Kaninchen mehr im Hut“, aber sie glauben ihm nicht so richtig.

Es gab schon viele schwere Jahre, einige drohende Rückzüge, aber es ist wie mit dem Kind, das zum Spaß immer durchs Dorf rennt und „Feuer“ schreit. Irgendwann nimmt niemand mehr die Warnung ernst - und selbst die Feuerwehr winkt nur noch ab, selbst wenn es brennt.

Es brennt in der Ford-Zentrale

Erst vor einer Woche brannten vor der Ford-Zentrale in Köln Reifen, angezündet von erbosten belgischen Mitarbeitern, die ihre Jobs verlieren werden. Allein in Belgien sind über 9.000 Arbeitsplätze bedroht, zwei weitere Werke in England werden geschlossen. Das Europa-Geschäft ist eingebrochen, Ford rechnet mit einem Verlust von 1,2 Milliarden Euro im laufenden Geschäftsjahr. Die Prognose für 2013 sieht nicht viel besser aus.

Angesichts solcher Zahlen wirken die etwa 20 Millionen Euro, die das Unternehmen in die Rallye-WM steckte, wie ein Witz. Doch den Betriebsräten und Gewerkschaften ist nicht nach Lachen, und so fiel das WM-Programm weniger der Wirtschaftslage als viel mehr der Politik zum Opfer. Es geht darum, Angriffsfläche zu verringern.

Sportchef Quinn darf das nicht zugeben. Er führt andere Argumente an, die nicht gelogen sind: „Seit seinem Amtsantritt 2009 hat FIA-Präsident Jean Todt uns blühende Landschaften versprochen. Seitdem ist nichts passiert.“ Tatsächlich liegt die WM in Sachen Vermarktung immer noch brach. Anfang Oktober präsentierte die FIA mit zweimonatiger Verspätung mit Red Bull Media House endlich einen neuen Vermarkter, nur ist nach wie vor kein Vertrag unterschrieben. „Es sind ja noch 70 Tage Zeit bis zur Rallye Monte Carlo“, ätzt Quinn mit triefendem Sarkasmus.

Ford überdenkt Motorsport-Einsatz

Der Ire ist eigentlich ein Rallye-Fan, seine erste Rallye hat er mit vier gesehen, das ist viereinhalb Jahrzehnte her. Ihm fielen am Ende vor dem Vorstand keine Argumente mehr fürs Weitermachen ein. Natürlich werde es weiter Motorsport geben. Er spricht von Nascar, der australischen V8-Supercar-Serie und der Formel Ford. Im schnelllebigen, digitalen Zeitalter erfreut sich die Rallycross-Szene neuerdings wachsender Beliebtheit. Ford hat ein Auge darauf geworfen.

Prompt sagt Malcolm Wilson: „Wundert euch nicht, wenn wir demnächst beim Rallycross auftauchen.“ Aber das wird allenfalls eine Zusatzaktivität sein, ebenso wie die Junioren-WM, für die M-Sport erneut den Zuschlag erhalten hat. Mit dem Aufbau von 20 R2-Fiesta sind immerhin die zwölf Jobs in Polen gesichert. Wilson will seine komplette Mannschaft behalten, er hat sich bei VW um das GT3-Projekt mit Bentley beworben.

Doch der 56-Jährige will auch in der Rallye-WM weiter eine ernsthafte Rolle spielen.
Er ist zum IRC-Finale nach Zypern geflogen, um mit Nasser al Attiyah und Vertretern des Emirats Katar zu verhandeln. Das reiche Erdgas-Emirat ist bei Citroën von den Nachbarn aus Abu Dhabi ausgestochen worden, jetzt suchen die solventen Araber nach Ersatz. Von einem Dreiwagenteam ist die Rede, das dritte Auto bekäme der frühere Dakar-Sieger al Attiyah. Zusätzlich liefert ihm M-Sport auf Basis des Fiesta ein Regional Rally Car für die Meisterschaft des Mittleren Ostens. Der Vertrag soll über ein Jahr mit Option für ein zweites laufen. Die Verhandlungen sind schon weit gediehen. „Wenn es klappt, habe ich zumindest eine finanzielle Basis für 2013 und kann auch das Entwicklungsprogramm weiterführen“, sagt Wilson.

Das hört Technik-Chef Loriaux mit Erleichterung. Er hat vor eineinhalb Jahren kurz mit Neueinsteiger Volkswagen geflirtet und sich trotz des scheinbar krisensicheren Jobs in Hannover entschieden, im Lake District zu bleiben. „Es gibt keine besseren Arbeitsbedingungen“, sagt der Belgier. Der wallonische Tausendsassa liebt es, der Undergdog zu sein. Insofern ist er am richtigen Platz. Schon bei seinem Amtsantritt bei Ford im Jahr 2002 musste er eine schwere Budgetkürzung verkraften, es folgten drei weitere Sparrunden im Laufe des Jahrzehnts. Aber damals waren noch Kaninchen im Hut, und Loriaux betont: „Es hat nie an Geld gefehlt, um ein schnelles Auto zu bauen.“

Alle seine Autos waren schnell genug für Titel, doch die lange Rallye-Historie von Ford ist auch eine Chronik der verpassten Möglichkeiten. Mit fast tödlicher Präzision bremste der Vorstand die Rallye-Aktivitäten immer dann aus, wenn die Chancen bestens waren. Bereits 1980 und 1981 überließ man das Feld kampflos Fiat und Talbot, obwohl der Escort BDA nach wie vor ein Top-Auto war.

Ende 2002 musste Malcolm Wilson aus Geldmangel die Superstars Carlos Sainz und Colin McRae an Citroën abgeben. Ende 2004 wanderten die hoffnungsvollen Talente Markko Märtin und François Duval zur besser zahlenden Konkurrenz ab. Einen großen Coup hätte Ford 2011 landen können, als ein frustrierter Sébastien Ogier von Citroën flüchtete und nichts lieber wollte, als Erzrivale Loeb zu schlagen. Aber der Ford-Vorstand mochte das lukrative Angebot von VW nicht überbieten, das größte Talent seit Loeb wechselte nach Wolfsburg. Dort hatte Ingenieur Loriaux die Gespräche abgebrochen, im festen Glauben, Ogier käme zu M-Sport.

Ende einer Ära in der Rallye-WM

Ford ist nicht irgendeine Marke in der Rallye-Weltmeisterschaft, Ford ist im Rallye-Sport eine Institution. Kein Hersteller hat der WM so sehr die Treue gehalten. In vier Jahrzehnten fehlte die Marke nur sechs Jahre. Bei 308 WM-Starts holten Ford-Fahrer 82 Siege. 315 Fahrer standen mit einer Ford-Kappe auf dem Podium. Allein 52 Siege entfallen auf die 17 Jahre mit M-Sport. Dass Ford seit der Rallye Monte Carlo 2002 bis Spanien 2012 in 158 Rallyes jedes Mal in die Punkte fuhr, liegt allerdings auch am Superrally-System, das ausgefallenen Fahrern unter Verhängung von Strafzeiten einen Neustart erlaubt.

Erfolgreichstes Ford-Modell war der Focus WRC, der von 1999 bis 2010 in zwei Modellreihen 44 Siege einsammelte, auf Rang zwei folgen die zwei Escort-Generationen von 1973 bis 1981 mit 31 Siegen. Das aktuelle Modell Fiesta WRC kommt auf sechs Siege. Erfolgreichster Ford-Fahrer ist Mikko Hirvonen mit 14 Siegen vor Marcus Grönholm (zwölf) und Colin McRae (neun).

Es wäre unfair, all die verlorenen Titel im Ford-Lager nur Geldmangel oder Unvermögen anzulasten. Man hatte schlicht das Pech, in die Ära Loeb geraten zu sein. 2007 scheiterte Marcus Grönholm mit einem Unfall beim vorletzten Lauf in Irland knapp, 2010 fehlte Mikko Hirvonen trotz grandioser Saison ein einziger Punkt auf den überragenden Elsässer, der auf Schotter extrem stark und auf Asphalt schier unbesiegbar ist.

Aktueller Renner ist der beste aller Zeiten

„Wir sind eigentlich nie von Citroën geschlagen worden, sondern immer nur von Sébastien Loeb“, klagt Christian Loriaux. Der Chefdesigner wird auch nach dem Ford-Rückzug bei M-Sport bleiben. Der aktuelle Fiesta ist vielleicht der beste Ford aller Zeiten. Seine Entwicklung fand in den letzten Jahren abgesehen vom Motor ohne allzu große Ford-Hilfe statt. Der Hersteller wird trotz Rückzug bei der Berechnung von Teilen und bei Homologationen von Neuentwicklungen geradestehen, Gerard Quinn würde sich freuen, wenn Wilson auch in den kommenden Jahren die blaue Farbe des Hauses vertreten würde. Geld indes fließt laut Aussage aller Beteiligten nicht mehr. Zwar hat M-Sport einen Vertrag für 2013, aber der enthielt eine Ausstiegsklausel.

M-Sport hat 2011 eine zweistöckige Hospitality gebaut, um alle Kundenteams und deren Gäste zu beherbergen. In Finnland trugen von den zwei Werks-WRC bis zu den Junioren-Fiesta R2 37 Autos die blaue Pflaume im Kühlergrill. Mit dem Segen von Ford baut M-Sport einen Fiesta nach dem neuen R5-Reglement, das 2013 die aussterbenden Gruppe-N-Allradler à la Subaru Impreza, aber auch die überteuerten Super-2000-Autos ersetzen soll. Zwei Autos will Wilson in der reformierten Rallye-Europameisterschaft einsetzen. Wie schon seit Jahren soll das bestens laufende Kundengeschäft helfen, das Budget der Topautos aufzustocken.

Doch Malcolm Wilson kann nicht nur die zahlenden Kunden glücklich machen, er muss in der Rallye-WM 2013 und darüber hinaus zur Not auch ohne einen Topfahrer gegen die Werksteams von VW und Citroën glänzen, um sich mit seinem Unternehmen für neue Hersteller zu empfehlen - oder einen altbekannten. „Wer weiß, vielleicht kehren wir ja eines Tages zurück“, orakelt Ford-Sportchef Quinn. Wenn auch kein schneeweißes hätte Malcolm Wilson dann doch wieder einmal ein Kaninchen im Hut.