Geld ist die Lebensquelle des Motorsports. Ohne sprudelnde Euros verstummen die Motoren. Die Teams brauchen Sponsoren, um Rennen zu fahren und die Fahrzeugkonstrukteure benötigen Kunden, um die Entwicklungskosten einzuspielen. Weil das Schmiermittel Geld nur begrenzt zur Verfügung steht, kämpft im Raubtierkäfig des Motorsports jeder gegen jeden. Der Verteilungskampf wird mit harten Bandagen geführt. Wie am 10. Juni 2010, als die hohen Herren des Le Mans-Veranstalters ACO ihre Ratschlüsse über die Zukunft des GT-Sports bekanntgaben. Die gedeckten blauen Anzüge konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ACO-Bosse zum Bodycheck in den Ring traten: Die von den Automobilherstellern bevorzugten GT2-Rennwagen werden in Le Mans zur Einheitsklasse aufsteigen - und die GT1-Klasse wird entsorgt. Dieser Schachzug hat direkte Rückwirkungen auf das Geschäftsmodell der GT1-WM. Manche behaupten, die ACO-Entscheidung ziele ausschließlich gegen die GT1-WM. Denn wer als unabhängiger Konstrukteur oder als Hersteller ein GT1-Auto auf Kiel gelegt hatte, muss auf die Refinanzierung des Projektes achten. Wie viele Autos und wie viele Ersatzteile kann man über welchen Zeitraum auf dem Markt absetzen?
Ratel hat zwei Hüte auf dem Kopf
Alle ursprünglichen Kalkulationen beruhten darauf, dass die GT1-Wagen auch im Geltungsbereich des ACO zum Einsatz kommen würden. Diese Weiterverwertung entfällt nun. So kann zum Beispiel Matech-Teamboss Martin Bartek jetzt gerade mal vier Ford GT1 aufbauen. Zwei kann er verkaufen und zwei kann er selber einsetzen, denn in der GT1-WM sind maximal vier Wagen pro Hersteller erlaubt. Das ist wirtschaftlich betrachtet kein Geschäftsmodell mehr- sondern ein Desaster. Diese veränderten Rahmenbedingungen waren das Gesprächsthema im WM-Fahrerlager beim vierten WM-Lauf in Paul Ricard. GT-Chef Ratel wertete die jüngsten ACO-Entscheidungen als "Witz", doch er vermied es, das Tischtuch mit seinen französischen Landsleuten zu zerschneiden. Schließlich ist Ratel Anteilseigner der europäischen Le Mans Serie - und hat somit zwei Hüte auf dem Kopf. Ratel schluckte die Kröte, obwohl er nicht einmal über die Hinrichtung der GT1-Klasse vorab informiert gewesen war. "Der ACO hat seine Meinung ohne Vorwarnung geändert. Ich habe keine Ahnung, warum", so Ratel.
Nach klassischer Politikermanier drehte der Franzose die schlechte Nachricht in eine gute: "Letztlich stärkt die Entscheidung das Alleinstellungsmerkmal der GT1-WM, denn nun haben wir unsere eigene Fahrzeugklasse, die nicht als Unterkategorie in anderen Rennserien verwendet wird." Postwendend streute Ratel das Gerücht, dass der Schweizer Milliardär Frédéric Dor in Verhandlungen mit Prodrive stünde, um für 2012 einen neuen GT1-Aston Martin bauen zu lassen. Die Kosten für die Entwicklung der GT1-Rennwagen sind durch die Reglementsänderungen für 2010 deutlich gesunken, von schätzungsweise 10 Millionen Euro auf unter ein Drittel dieser Summe - allerdings nur dann, wenn man ein GT1-Auto aus einem bestehenden GT3-Rennwagen ableitet. Das gesunkene Kostenniveau verbessert die Chancen für Neueinsteiger. Und die braucht die WM spätestens 2012, wenn die Homolagtion der alten GT1-Autos erlischt.
Wer keine Sponsoren hat, der hat auch keinen Drive
"Bevor Ratel zu enthusiastisch wird, sollte man festhalten, dass in der WM drei betagte, aufgepeppelte GT1-Wagen und ein modifiziertes GT3-Auto am Start stehen", so Prodrive-Technikchef George Howard-Chappell. "Nur Nissan hat ein neues Auto gebaut. Natürlich könnten wir auf Basis des GT2- Vantage ein Auto für 2012 aufbauen. Aber das macht nur Sinn, wenn wir dafür auch Kunden hätten." Die Teams drücken noch ganz andere Sorgen: Die Einsatzkosten bleiben hoch, die Refinanzierung über Sponsoren ist schwierig. Nur wenige Rennfahrer werden in der GT1-WM für ihre Arbeit bezahlt. Wer keine Sponsoren hat, der hat auch keinen Drive. Der Hype, den die Einführung der GT-WM auslösen sollte, ist weitgehend ausgeblieben. Die Kassen sind leer, während Ratel für 2011 von der Aufstockung von 10 auf 12 Rennen träumt: Mit Zuhai und Laguna Seca sollen zwei teure Fly-Away-Rennen in den Kalender aufgenommen werden. Die meisten Teams kalkulieren mit Saisonkosten von 700.000 bis 800.000 Euro pro Auto. Natürlich ist das günstiger als in der Vergangenheit, weil das 24h-Rennen in Spa nicht mehr gefahren wird, die serienahen Motoren ebenso Geld sparen wie die Einheitsreifen oder der Wegfall der Tankstopps.
"Es war schwierig, Geld für die Saison 2010 aufzutreiben", gesteht Teamchef und Fahrer Altfrid Heger. "Letztlich gelang es nur mit Hilfe vieler Freunde, 60 Prozent der Finanzierung sicherzustellen." Heger verweist darauf, dass die Serie zwar professionell organisiert sei, "aber beim Marketing fehlt noch einiges: Wir haben zu wenig TV, zu wenig Coverage in den Medien und zu wenig Zuschauer." Bei den bisherigen Saisonrennen kamen im Schnitt 5000 Zuschauer. Um das TV-Paket zu verbessern, benötigt Ratel einen Hauptsponsor - aber den hat er bisher nicht gefunden. Jetzt hat der ACO auch noch die Weiterverwertungskette der GT1-Konstrukteure unterbrochen. Hans Reiter, der die GT1-Lamborghini Murciélago konstruiert hat und selber zwei Wagen einsetzt, hat erst 40 Prozent des Budgets für 2010 zusammen. Er hofft, dass er im nächsten Jahr bis zu 70 Prozent des Budgets auf dem freien Markt finden wird. Damit klingt er wie ein Broker an der Wall Street, der auf steigende Kurse wettet. "Die Entscheidung des ACO wird die GT1-WM stärken", glaubt Reiter. Die neue Gegen-WM des ACO, der Intercontinental Le Mans Cup (ILMC), bei dem die sieben besten Sportwagenrennen der Welt in eine gemeinsame Wertung zusammengefasst werden, sieht Reiter nicht als Gefahr für die GTWM: "Das ist der schnellste Weg, um ein Championat zu killen, denn die Kosten der ILMC sind viel zu hoch. Die Zukunft des GT-Sports wird nicht durch die Hersteller entschieden, sondern durch das, was die Kunden wollen - also die Teams und Fahrer."
Wenig rosig ist die Lage jener Teams, die bisher ihre upgegradeten Altwagen weiterverwenden und 2012 auf neue Autos umsatteln müssen. Die Corvette-Teams müssten ein GT2-Auto vom Werk (Kostenpunkt 800.000 Dollar) sowie den Umrüst-Kit von Werkstuner Pratt & Miller kaufen. Pilot Mike Hezemans und Vater Toine haben 2010 in den ersten beiden Rennen schon 400.000 Euro verballert, allerdings beungünstigt durch Motorprobleme sowie einen Brandschaden. "Die Einschreibegebühr lag bei 60.000 Euro, die Änderungen am Auto kosteten 80.000 Euro", rechnet Toine Hezemans vor. "Dazu kamen die Anlaufkosten von 100.000 Euro. Der Brandschaden und die Motorprobleme kosteten nochmal 150.000 Euro." Am ärgsten sind jene gekniffen, die die Autos selber entwickeln und denen nach den ACO-Entscheidungen der Markt weggebrochen ist. "Im ersten Moment war ich über die ACO-Ankündigung stocksauer", gesteht Matech-Besitzer Martin Bartek. "Doch auf den zweiten Blick geht es darum, ein vernünftiges Verhältnis zum ACO aufzubauen, denn sie organisieren das wichtigste Langstreckenrennen der Welt." Bartek überlegt daher, dass GT3-Programm zurückzufahren und einen Ford GT nach GT2-Reglement für 2011 zu entwickeln, um mit seinem Team nach Le Mans zurückkehren zu können. So könnte Bartek Autos in die Le Mans Serien und in die GT Open verkaufen. "Ich hoffe, dass der ACO unser LM GT-Projekt positiv bewerten wird", sagt Bartek, der auf eine multifunktionale GT-Plattform setzt, wo man im Bedarfsfall aus einem GT3-Auto ein GT1- oder ein GT2-Rennauto ableiten kann. Nur so können die Konstrukteure überleben - und mit ihnen die GT1-WM. Sogar Promoter Ratel gibt zu: "Keines meiner 12 Teams wird die Weltmeisterschaft aus anderen Gründen verlassen, außer aus finanziellen."