Die Front verlief kurz hinter dem Ortsausgang an der Straße in Richtung Holsthum. Das Vorauskommando der Army sperrte die Straße, kurz danach schallten Schüsse aus dem Wald, der Donner rollte über den Berg. Keine Angst, es ist nicht Opa, der vom Krieg erzählt. Der war da schon ein Jahrzehnt vorbei. Die Schüsse schallten aus den Auspuffrohren dicker V8-Motoren. Wenn die Amis in der nahen Kaserne frei hatten, brieten sie zur Gaudi mit ihren Autos die zehn Kurven und vier Kehren der Kreisstraße 16 hoch. Es war die Geburtsstunde des Wolsfelder Bergrennens.
Letztes Jahr war 50-jähriges Jubiläum, das Wetter schön, die Bit-Kurve voll besetzt, der Bierabsatz bestens. Heute hingegen hat sich allenfalls eine Hundertschaft am Hang oberhalb der Rechtskehre eingefunden. Hopfenkaltschale geht gerade schlecht, aber Bratwurst und Spießbraten finden viele Abnehmer.
Alfred besucht Motorsport-Events
Das Tief Alfred ist gestern Abend aufgezogen. Es hat in Spanien bereits ein Rallycross-Wochenende abstürzen lassen, und es hat das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring sabotiert. Rennleiter Günter Hoor trotzt dem Regen mit sonnigem Gemüt. Und ob der Frage, ob bei dem Mistwetter überhaupt die geplanten drei Durchgänge gefahren werden können, reißt er überrascht die Augen auf: „Da gehe ich doch mal ganz fest von aus.“
Wild gewordene Tourenwagen mit GFK
Es sprotzt und dröhnt, rumort und röhrt im 800-Seelen-Dorf. Jede Minute fährt irgendein wilder Bolide mit Diffusor, Frontsplitter und massigem Heckflügel über die Dorfstraße. Manche Leitwerke sind professionell im Windkanal entstanden, viele sehen aus wie selbst zusammengebastelt. Während Italiener oder Franzosen vorzugsweise in Formel-Rennern oder Sportprototypen die Berge erklimmen, liebt die deutsche Fraktion wild gewordene Tourenwagen à la Polo und Golf, Kadett und Escort. Die äußerlich betagten und mit GFK verbauten Geräte stecken innen voll mit aufwendigster Technik. Der VW Polo von Berg-Cup-Sieger Franz Weißdorn trägt einen Motorrad-Zylinderkopf und dreht weit über 10 000 Touren. 220 PS quetschen Spezialisten aus einem kleinen Vierzylinder. Im Bergsport findet sich mehr Kohlefaser als in mancher Prototypen-Werkstatt großer Autohersteller.
Rüdiger Julius Bernhard starrt angestrengt in den Laptop. Mag sein, dass sein nagelneu aufgebauter BMW 2002 tii im Prinzip Baujahr 1977 ist, in der Praxis läuft der knallblaue Renner ohne Rechner keinen Meter. Das ehemalige Gruppe-5-Auto ist das modernste, das der Wolsfelder Berg je gesehen hat. Mit Traktionskontrolle, ABS und Startautomatik. Der BMW ist ein Gesamtsiegkandidat, aber noch nicht heute. Das Auto ist zuvor noch keinen Meter gelaufen. Julius-Bernhard hasst eigentlich das ganze Elektronik-Zeug - aber wer am Berg mithalten will, muss mitrüsten. Das Auto kostet etwa 30.0000 Euro.
Alle Schläge sind erlaubt
In der Gruppe H ist praktisch alles erlaubt. Und so basteln und tüfteln sie pausenlos. Wer nicht eine eigene Firma hat oder von Oma ordentlich geerbt, kann zu Hause bleiben. Es kommt vor, dass ein Meister eine Saison auslässt, weil die nächste Evolutionsstufe seines Überautos nicht rechtzeitig zum Frühling fertig war.
Man kann derartige Auswüchse gut oder schlecht finden, doch zweifellos bietet der Bergsport die größte Bandbreite, die es im Automobilsport gibt. Im Fahrerlager findet sich alles, vom DTM-Calibra bis zum Talbot Sunbeam Lotus, der aussieht wie ein Rallye-Quattro S1.
Echtes Rallyevolk ist am Berg nicht selten. Dieter Altmann hat früher in der Deutschen Meisterschaft und bei der Dakar gearbeitet. Der Audi-Ingenieur schraubt am Peugeot 205 GTI von Dieter Altmann Junior. „Bergsport ist das Einzige, was ich ihm erlaubt habe. Alles andere ist zu teuer“. Der Papa rechnet vor, dass eine Bergsaison mit dem kleinen Gruppe-A-Peugeot etwa 15.000 Euro kostet, ein Jahr Rallye-DM hingegen würde mit 80.000 Euro zu Buche schlagen.
Zwei Autos hat der Junior am Berg schon verschrottet. Sie waren beide weiß, deshalb ist der neue Peugeot rot. Auch zwei Beziehungen sind schon in die Brüche gegangen: „Das hier ist mein Leben. Wenn du im Auto sitzt, denkst du an nichts anderes mehr.“ Die Bergmänner sind schon ein besonderer Menschenschlag. Sie fahren reisen 500 Kilometer an, um das ganze Wochenende über nicht mehr als 20 Kilometer Gas zu geben. „Die sind aber sehr intensiv“, sagt Altmann Junior.
Unfallbewältigung mit Vollgas
Vom letztjährigen Unfall in Mickhausen versucht sich der Dritte der Junioren-Altersklasse unter 23 freizufahren. Vergangene Woche hat er mit seinem 1,3-Liter in Luxemburg die 1,6-Liter-Klasse gewonnen. „Es gibt hier nicht so viele Junioren, aber wenn du bei denen schnell bist, fährst du auch bei den Großen vorn mit“, sagt Altmann Junior.
Mama Altmann ist immer mit von der Partie und heißt als einziges Familienmitglied nicht Dieter. Sie war heute schon in der Kirche. Schließlich ist Pfingsten. Sie hat nicht zuletzt für besseres Wetter gebetet. Der Renner vom Sohnemann ist mit der Drehstabfederung im Nassen ein bisschen unruhig auf der Hinterachse. „Da bin ich immer am Rudern“, sagt Altmann Junior.
Weil es schon in den Wochen zuvor ständig geregnet hat, ist das eigentliche Fahrerlager auf der großen Wiese am Westrand des Dorfes für größere Transporter nicht zu passieren. Der Ortsbürgermeister hat im Schnellverfahren ein paar Straßen sperren lassen und viele Dorfbewohner haben Garagen und Scheunen ausgeräumt, um dem Rennvolk Obdach zu gewähren. „Wir dürfen sogar eine Dusche benutzen“, sagt Rüdiger Julius Bernhard.
Der Motorsportclub hat mit Feuerwehr, Sportverein und Kirchenchor eine Vereinigung gegründet. Man hilft sich finanziell und mit Manpower, wenn die Rennteams anrücken. Der dritte Lauf zur deutschen Bergmeisterschaft ist im Leben der Gemeinde südlich von Bitburg tief verankert.
145 Teilnehmer sind am Start in 27 unterschiedlichen Gruppen und Klassen. Tommy Rollinger muss mit seinem Lola B 02/50 eigentlich nur ins Ziel kommen, dann ist ihm der Sonderpokal des Kirchenchores Wolsfeld schon sicher. Kunststück: Er ist in der Formel 3000 der einzige Starter.
Chili für Raketen-Bruno
Am Berg zählen eine saubere Linie, ein kurzes Getriebe, wenig Gewicht und viel Leistung. Bruno Ianiello beißt in ein Marmeladenbrot, das gibt Kraft. Seinen Spitznamen „Raketen-Bruno“ hat er aber eher wegen seines Autos. Der Lancia Delta S4 war 1986 die letzte Ausbaustufe des Gruppe-B-Wahnsinns in der Rallye-WM. Kompressor und Turbo sorgten in alle Lebenslagen für richtig Bumms, der Delta hatte damals rund 550 PS. Ianiello hat 670. Das hilft im Regen nur bedingt, aber der Lancia hat Allradantrieb. Im letzten, verregneten Trainingslauf waren er und Teamkollege Jürgen Gerspacher acht Sekunden schneller als der nächste.
Die meisten Gegner sagen, wenn das Wetter so bleibt, bräuchten sie eigentlich nicht anzutreten. „I wo“, sagt der gelernte Kfz-Meister aus der Schweiz. „Mein Auto untersteuert ganz fürchterlich, da musst du so langsam um die Kurven fahren.“ Natürlich könnte man das mit etwas Weiterentwicklung und ausgiebigen Tests möglicherweise abstellen, doch dazu hat er keine Zeit, keine Lust und angeblich auch kein Geld. Immerhin spart er heute das Geld für das Abendessen. Zwei kleine Mädchen nehmen all ihren Mut zusammen und treten unters Vorzelt: „Mein Papa möchte sie heute Abend gern zum Essen einladen. Es gibt Chili“, sagt die achtjährige Blonde.
Ianiello ist in Wolsfeld eine Celebrity, zwei Mal hat er schon gewonnen. Im Weg stünde nur Vorjahressieger Guy Demuth, der im Trockenen mit seinem Osella-Sportprototypen im Trockenen knapp schneller war. Im ersten Lauf kassiert er auf die Lancia knapp zwei Sekunden. Aber dann macht das Tief eine kurze Pause. Es trocknet ab, und der zweite Durchgang geht mit rund zwei Sekunden an Demuth. Nun kommt alles auf den entscheidenden Durchgang an. Ekel Alfred schickt wieder einen Schauer in die nun immerhin mit rund 300 Leuten gefüllte Bit-Kurve.
Dann stoppt der Regen
Die Piste trocknet langsam. Die Lancia sind schon durch, als es wegen eines Ausrutschers eine Unterbrechung gibt. Immer wieder schaut der Luxemburger hoch zum Himmel. Er hat zwar Regenreifen aufgezogen, aber mit seinen Bodenwellen, engen Kehren und einem Topspeed von nur 160 km/h ist der mit 1,6 Kilometern kürzeste Kurs der Meisterschaft eigentlich ein Witz für den aerodynamisch ausgefeilten Prototypen. „Großen Spaß macht der Kurs nicht“, gesteht Demuth. Aber Gewinnen macht Spaß. Auf praktisch trockener Strecke fährt Demuth im letzten Lauf vier Sekunden schneller als Ianiello und Gerspacher. Die hätten Intermediates gebraucht, hatten sie aber nicht. „Oder siehst du hier einen großen Reifentruck?“, grinst Iainello.
Gemeinsam begießt man mit Bier ein spannendes Wochenende, und Ekel Alfred zieht weiter, um Anderen den Tag zu versauen. In Wolsfeld hat es nicht geklappt.
Berg-Cup: Stadt im Staate
Sie sind im Bergsport der Staat im Staate. Der KW-Berg-Cup ist eine unabhängige Rennserie speziell für Gruppe-H-Autos, mit einem eigenen Rennkalender von zwölf Läufen. Zehn davon decken sich mit der deutschen Bergmeisterschaft, wo die Berg-Cupler mit 50 bis 70 Startern nicht selten die Mehrzahl des Teilnehmerfeldes stellen.
Einige Meisterschaftsläufe müssten ohne die Beteiligung der schnellen Polo, C-Kadett oder DTM-Astra die Segel streichen. Entsprechend einflussreich und gefragt ist die Serie. Bei der FIA genießt der von sport auto unterstützte Berg-Cup den Status einer internationalen Meisterschaft mit eigenem Reglement.
Mittlerweile fährt der KW-Berg-Cup schon in seiner 26. Saison. Die heißest umkämpfte Klasse ist die Zweiliter-Fraktion. Neben den Klassentiteln gibt es zusätzlich eine Kategorie für Teilnehmer mit Zweiventil-Motoren, für Junioren und für Neulinge. Mehr Informationen finden sich unter www.berg-cup.de