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Bundesumweltministerin im Interview
Die Hersteller reagieren leider nur auf Druck

Interview

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) im Interview über die blaue Plakette und mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die E-Auto-Förderung und die Folgen des Diesel-Skandals.

Bundesumweltministerin, Barbara Hendricks, Interview 2025
Foto: BMUB/Harald Franzen
Um die Stickstoffdioxid-Grenzwerte in den deutschen Großstädten künftig einhalten zu können, müssen die zu hohen NOX-Emissionen gesenkt werden. Ihr Vorschlag, deshalb eine neue Plakette einzuführen, die nur Euro-6-Fahrzeuge bekommen sollen, ist auf große öffentliche Kritik gestoßen. Gibt es keine Alternative?

Hendricks: Dass Stickstoffdioxid zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, ist unbestritten. Es reizt die Atemwege und kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Wir haben bereits seit dem vergangenen Sommer ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, weil an 60 Prozent der verkehrsnahen Messstellen in den Innenstädten in Deutschland die Grenzwerte überschritten werden. Da können wir nicht einfach so weitermachen wie bisher. Mit den technischen Maßnahmen, selbst mit einer schnellen Einführung von neuen, sauberen Dieselfahrzeugen erreichen wir erst 2030 in ganz Deutschland eine akzeptable Luftqualität. Die Europäische Union schlägt zwei mögliche Maßnahmen vor: den Abbau des Dieselsteuerprivilegs oder eine Beschränkung des Autoverkehrs, wie sie mit einer neuen Plakette möglich wäre. Für die Abschaffung des Dieselsteuerprivilegs finden Sie in Deutschland keine politischen Mehrheiten. Es gibt nicht einmal eine Zustimmung der grün geführten Landesregierung aus Baden-Württemberg.

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Bleibt also nur eine neue Plakette?

Hendricks: Ob sie wirklich blau wird oder eine andere Farbe bekommt, werden wir sehen. Auf der Umweltministerkonferenz im April haben mich jedenfalls alle 16 Landesumweltminister aufgefordert, die Rahmenbedingungen für die Einführung einer solchen Plakette zu schaffen. Ich kann verstehen, dass der eine oder andere Verkehrspolitiker - auch aus meiner eigenen Partei - das anders sieht. Aber es kann auch niemand erwarten, dass mir als Bundesumweltministerin die Luftbelastung egal ist.

Muss man wirklich alle Autos der Abgasnormen Euro 5 und schlechter aus den Innenstädten verbannen, um die Grenzwerte einzuhalten?

Hendricks: Nein, darum geht es auch gar nicht. Es geht doch gar nicht um alle Innenstädte. Zunächst sorgt die neue Plakette dafür, dass die Städte ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem sie Maßnahmen gegen zu hohe Stickstoffdioxidwerte ergreifen können. Ob und wie sie dieses Mittel einsetzen, hängt von ihnen selbst ab. Sie können beispielsweise nur einige wenige, hoch belastete Gebiete sperren statt ganze Innenstädte, wie sie es bislang mit den Umweltzonen tun. Und sie werden bestimmt erst dann zu diesem Mittel greifen, wenn keine Alternative mehr bleibt.

Bundesumweltministerin, Barbara Hendricks, Interview 2017
Achim Hartmann
Lokal emissonsfrei: Elektroautos.
Wer sich 2015 noch einen Euro-5-Diesel gekauft hat, fühlt sich angesichts solcher Szenarien betrogen. Hätte man Euro 6 - vor allem beim Diesel - nicht viel früher einführen müssen?

Hendricks: Euro 6 gilt formal für alle Neuzulassungen seit September letzten Jahres. Überrascht hat der Gesetzgeber damit aber niemanden, denn diese Norm und ihr Einführungsdatum sind seit langer Zeit bekannt. Einige Hersteller haben ja auch frühzeitig Euro-6-Fahrzeuge auf den Markt gebracht. Ich finde: Die Autohersteller hätten schon viel früher handeln können. Leider reagieren sie immer nur auf Druck und in letzter Minute.

Wie auch immer: Nur wer sich ein teures neues Auto leisten kann, darf künftig in die Städte fahren. Das trifft vor allem Pendler, die ja sehr oft sparsame Diesel fahren. Günstige, gebrauchte Euro-6-Diesel gibt es praktisch noch nicht am Markt. Ist die neue Plakette nicht unsozial?

Hendricks: Es wird keinesfalls alle Städte betreffen. Und ich gehe davon aus, dass die Städte mit Augenmaß vorgehen. Keine Kommune muss ihr ganzes Stadtgebiet sperren, auch kleinere Teilbereiche sind möglich. Und natürlich muss es Ausnahmeregelungen geben, um soziale Härten zu vermeiden, etwa für Handwerkerfahrzeuge.

Sie gehen also trotz des politischen Gegenwindes davon aus, dass die neue Plakette eingeführt wird? Bundesverkehrsminister Dobrindt hat Ihnen öffentlich widersprochen.

Hendricks: Weder der Kollege Dobrindt noch die anderen Kritiker des Ländervorschlags haben allerdings eine Idee geäußert, wie die Bundesregierung das Problem der Luftbelastung denn anders lösen und dem Vertragsverletzungsverfahren der EU anders begegnen sollte. Ich bin offen für wirksame Alter­nativen! Wenn die neue Plakette kommt, wird das nicht sofort sein. Vor 2019 plant zurzeit keine Stadt, die Plakette einzusetzen. Die rechtlichen Voraussetzungen aber jetzt auf den Weg zu bringen schafft Planungssicherheit für alle.

Bundesumweltministerin, Barbara Hendricks, Interview 2023
Hans-Dieter Seufert
Bundesumweltministerin Barbara Hendriks legt Wert auf Realverbräuche. auto motor und sport misst die Realverbräuche in Kooperation mit dem unabhängigen englischen Institut Emissions Analytics.
Die E-Auto-Förderung ist nun endlich beschlossen. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Hendricks: Ja. Ich habe ja schon früh für die Kaufprämie geworben. Daher bin ich froh, dass sie jetzt endlich kommt. Denn sie ist ein wichtiges Signal, dass wir es ernst meinen mit dem umweltfreundlichen Umbau des Verkehrssektors. Es geht ja nicht darum, der Autoindustrie einen Gefallen zu tun, sondern um Umwelt, Gesundheit und die Zukunft unseres Industriestandorts. Die Automobilin­dustrie wird sich zur Hälfte an dieser Förderung beteiligen. Um Mitnahmeeffekte und unnötige Subventionierung zu verhindern, werden die Fördersummen auf unterschiedliche Weise begrenzt. Wichtig ist mir auch, dass die Förderung im Massensegment der Pkw ansetzt und nicht bei Luxusfahrzeugen, deren Käufer gewiss nicht auf Kaufprämien angewiesen sind.

Eine ausreichende Schnelllade-Infrastruktur fehlt ebenfalls noch. Was tun Sie dafür?

Hendricks: Bis 2017 werden wir 1.000 öffentlich zugängliche Schnellladestationen in Deutschland errichten. Dazu kommen die normalen Ladestationen, deren Aufbau wir auch fördern.

Es gibt 1.000 Erdgastankstellen in Deutschland und trotzdem fährt kaum einer mit Erdgas. 1000 Schnellladestationen werden nicht reichen.

Hendricks: Man kann die Tankstellensituation bei Erdgas­autos nur schwer mit den Lademöglichkeiten bei Elektroautos vergleichen. Denn ein Elektroauto kann man quasi an jeder Steckdose nachladen. Die meisten Pkw parken nachts auf privaten Grundstücken. Viele können ihre E-Autos zu Hause wieder aufladen. Die Schnellladestationen sind vor allem dann relevant, wenn man längere Strecken mit dem Elektroauto zurücklegen will. Und hierfür bieten 1.000 Schnellladestationen bis 2017 schon eine gute Grundausstattung. Aber natürlich brauchen wir für mehr Elektroautos perspektivisch auch mehr öffentliche Lademöglichkeiten. Deshalb haben wir auch den weiteren Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur beschlossen und planen bis 2020 weitere 5.000 Schnellladestatio­nen. Hinzu kommen zusätzlich 10.000 Normal­lade­stationen, um auch den Autobesitzern eine Möglichkeit zum Laden zu bieten, die über keinen eigenen Stellplatz verfügen.

blaue Plakette
Barbara Hendriks möchte eine neue Plakette. Welche Farbe diese haben würde, ist offen.
Wer heute allerdings als Mieter oder Eigentumswohnungsbesitzer eine Lademöglichkeit in ­einer Tiefgarage einbauen will, muss die Hausgemeinschaft um Genehmigung bitten. Ist das nicht von gestern?

Hendricks: Ich setze mich dafür ein, dass wir klare Regelungen bekommen, unter welchen Voraussetzungen Mieter und Wohnungseigentümer einen Anspruch auf die Installation einer Lademöglichkeit haben. Eines haben wir übrigens schon geklärt: Wer beim Arbeitgeber umsonst Strom tankt, muss das in Zukunft nicht mehr als geldwerten Vorteil versteuern.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der NOX-Messungen des KBA nach dem Diesel-Skandal?

Nach einer ersten, vorläufigen Analyse der Ergebnisse können wir sehen, dass die Automobilbranche die Abgasreinigung auch dann ausgesetzt hat, wenn es sich nach allgemeinem Verständnis um normale Betriebssituationen handelt. Das hat weit verbreitet stattgefunden, entgegen den EU-Abgasvorschriften. Hier hat die Automobilbranche klar zu ihrem Vorteil gehandelt, klar zum Nachteil der Autobesitzer und zum Nachteil der Umwelt und damit der Allgemeinheit.

Wann wird der sogenannte Bauteileschutz gesetzlich neu geregelt?

Die Abgasreinigung muss funktionieren und darf nur in absoluten Ausnahmefällen abgeschaltet werden. Die EU-Abgasvorschriften dienen doch nicht dem Motorschutz einzelner Fahrzeugtypen. Sie sind dazu da, die Atemluft sauber zu halten und die Gesundheit der Menschen zu schützen. Ob hier die EU-Regelungen bisher zu ungenau sind oder ob sie von den Herstellern entgegen ihrem Sinn und Zweck zum eigenen Vorteil ausgelegt wurden oder ob die Behörden nicht genug kontrolliert haben, ist schwierig zu beantworten. Klar ist aber: In Zukunft muss sich etwas ändern. Mit den gerade verabschiedeten EU-Regelungen zu Real Driving Emissions (RDE) sollten Abschaltungen der Abgasreinigung bei normalen Außentemperaturen nicht mehr möglich sein. Das RDE-Regelwerk soll die Minderung der Emissionen im realen Betrieb und nicht nur im Labor sicherstellen. Insgesamt muss die EU-Typgenehmigung für Fahrzeuge deutlich überarbeitet werden. Dabei muss die Überwachung der Abgasvorschriften sichergestellt sein; wir müssen nachmessen. Und bei Verstößen müssen zusätzliche Sanktionsmöglichkeiten greifen. Auch kann es nicht sein, dass die Hersteller ihre Fahrzeuge in EU-Ländern typgenehmigen lassen, in denen die Behörden und technischen Dienste "am kooperativsten" sind. Dafür werde ich mich in Brüssel einsetzen, wo gerade ein Vorschlag für eine neue Rahmenverordnung zur Typgenehmigung verhandelt wird.

Die weiteren Themen aus auto motor und sport - Ausgabe 11 - ab dem 11.5. im Handel:

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