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Bugatti Typ 57 Ventoux Report
Scheunenfund

Inhalt von

Der Bugatti Typ 57 Ventoux mit Fahrgestellnummer 57286 hat Automobil-Liebhabern in den Achtzigerjahren schlaflose Nächte beschert: Als „Schlafende Schönheit“ zierte er den Titel des gleichnamigen Bildbandes von 1986. Das niederländische Autorenteam Ard und Arnoud op de Weegh hat die Spur des Bugatti aufgenommen.

Bugatti Typ 57 Ventoux, Frontansicht
Foto: Ard und Arnoud op de Weegh

Die Geschichte begann 1983, als der Fotograf Herbert Hesselmann die Oldtimer-Welt mit Fotos der Autosammlung von Michel Dovaz erschreckte, der seine Klassiker anscheinend auf einem französischen Bauernhof vergammeln ließ. Viele Autoliebhaber sahen diese Bilder mit Grausen, andere entdeckten darin eine morbide Schönheit – nicht zuletzt durch die besondere Art der Fotografie von Hesselmann, der zeigte, wie die Natur wieder Besitz von ihren Rohstoffen nahm.

Weil die meisten Fahrzeuge von Michel Dovaz in feuchten Scheunen standen, war diese Kollektion der ultimative Scheunenfund. Hesselmann veröffentlichte 1986 zusammen mit Autor Halwart Schrader ein Buch über die Sammlung mit dem Titel „Schlafende Schönheiten“. Die Titelseite zeigte einen mit Moos bedeckten Bugatti 57 Ventoux in reichlich zerfallenem Zustand, und bis auf den heutigen Tag haben viele Oldtimerfreunde genau dieses Bild vor Augen, wenn von einem klassischen Scheunenfund die Rede ist.

Bugatti-Fahrer Michel Dovaz

Der Bugatti 57 vom Buchtitel mit der Chassisnummer 57286 wurde einst im Februar 1935 an einen Herrn Boisson geliefert. Dieser fuhr das Auto immerhin zwölf Jahre lang und verkaufte es 1947 an Francis Leclercq, der das Auto am 6. April 1950 an den 21-jährigen Michel Dovaz weiterreichte. Der Bugatti 57 muss damals noch in guter Verfassung gewesen sein, denn Michel Dovaz ist mit dem Wagen viel gefahren.

Irgendwann Mitte der 50er-Jahre tauschte Dovaz den Orginalmotor (Nummer 205) gegen den Motor mit der Nummer 49 aus einem anderen Bugatti 57 Ventoux, den er besaß (Chassisnummer 57166). Der Tauschmotor, ebenfalls der bewährte 3,3-Liter-dohc-Reihenachtzylinder, hatte laut Dovaz deutlich mehr Leistung. Dovaz wohnte damals im Pariser Stadtteil Montmartre, der Ventoux war eines der Autos, die er dort auf der Straße geparkt hatte.

Dovaz nutzte den Bugatti regelmäßig, um damit von Paris an seinen Geburtsort Genf zu fahren, wo seine Familie wohnte. Dazu tobte er gern mit dem 57 und verschiedenen Freunden samt deren Autos auf den Landstraßen rund um Paris herum – damals gab es noch nicht so viel Verkehr.

20 Klassiker unter der Steilkurve von Monthléry

Seine Nachbarn in Montmartre aber begannen sich über die vielen alten Autos zu beklagen, die auf den Straßen in der Nähe seiner Wohnung parkten und von denen einige nicht mehr fahrbereit waren. Zum Glück arbeitete ein Freund von Dovaz an der Rennstrecke von Monthléry und ermöglichte, dass Dovaz unter der Steilkurve der Rennstrecke seine Autos abstellen durfte. Er brachte 20 Autos unter, dabei war auch der Bugatti 57 Ventoux.

1964 – sein Freund arbeitete nicht mehr in Monthléry – musste Dovaz seine Autos von dort wieder fortschaffen. Er hatte mittlerweile in Villemaréchal südlich von Paris einen Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert mit mehreren Scheunen erworben. In eine dieser Scheunen stellte er den Bugatti 57 Ventoux mit der Nummer 57286 – zwischen einen Cord 812 und einen Bugatti Typ 55 Faux Cabriolet, gegenüber ruhten ein Cord L29, ein Bugatti Typ 50 Landaulet und ein Alfa Romeo 6C 2300 MM. In der Mitte der Scheune stand ein Lancia Flaminia.
Zwischen 1964 und 1983 scheint Dovaz nichts mit den Autos gemacht zu haben. Als Herbert Hesselmann also seine Aufnahmen machte, waren die Autos seit 19 Jahren nicht mehr berührt worden.

Nach der Veröffentlichung der Fotos kamen viele Leute auf die Idee, die Autos zu suchen. Hesselmann hatte zwar Dovaz versprochen, nie seinen Namen und den Ort zu nennen, doch durch die kaum verschlüsselten Anspielungen im „Stern“-Artikel vom September 1983 war es nicht schwierig, den Ort zu finden – und das Leben von Michel Dovaz auf den Kopf zu stellen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als entweder die Sammlung zu verkaufen oder alle Autos an einem anderen Ort zu verstecken.

Heimlicher Umzug

Dovaz entschloss sich, alle Autos auf Nebel-Aktion verfrachtete er im Frühjahr 1984 alle 57 Autos auf acht Lastwagen und schaffte alles 650 Kilometer Richtung Süden. Bei Château de Folmont kam der Bugatti 57 Ventoux zusammen mit einigen anderen wertvolleren Stücken in einen im Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht gebauten Bunker.

1988 entstand die Idee, 25 Autos der Sammlung in ihrem Scheunenfund-Zustand in einem Museum in Sarlat auszustellen. Das Museum eröffnete seine Pforten im Mai 1989 und war ein voller Erfolg. Allerdings war die Dovaz-Sammlung nun durch die Publikation von Hesselmann und das Museum sehr bekannt geworden, weshalb schließlich auch das Finanzamt aufmerksam wurde. Michel Dovaz musste daher etwas tun, das er nie gewollt hatte – einen großen Teil seiner Kollektion veräußern.

Ironie des Schicksals: Dank eines gewieften Rechtsanwalts brauchte er die Steuer am Ende doch nicht bezahlen. Sieben der neun Bugatti verkaufte Dovaz für 1,2 Millionen britische Pfund an Jean Michel Bonabosch aus Lyon. Wegen finanzieller Probleme musste dieser drei Bugatti rasch weiterverkaufen, dazu fand am 16. März 1993 im Hotel des Ventes in Lyon-Brotteaux eine Auktion statt mit den weiteren vier Bugatti, darunter auch Nummer 57286.

Erste Restaurierung nur vom halben Auto

Der bekannte Bugatti-Restaurierer André Lecocq kaufte den 57 Ventoux und restaurierte eine Seite des Bugatti von vorn bis hinten. Diesen zur Hälfte restaurierten 57 Ventoux zeigt er dann im Frühjahr 1994 auf der Rétromobile in Paris. Anschließend nahm Lecoq sich auch die andere Hälfte vor und verkaufte das Auto schließlich an den französischen Chirurgen André Dufilho, ein Neffe des französischen Schauspielers und Bugatti-Enthusiasten Jacques Dufilho. André Dufilho behielt das Auto bis August 2010, dann veräußerte er den Bugatti an einen österreichischen Sammler. Seit Herbst 2013 befindet sich Nummer 57286 in den USA.

Eine jahrelange Suche

Seit 2003 hatten wir nach den wie vom Erdboden verschwundenen Autos aus der Dovaz- Kollektion gesucht, seit Weihnachten 2006 zusammen mit dem Deutschen Kay Hottendorff aus Tostedt. Wir fanden ein Auto nach dem anderen – aber eben nicht den Bugatti 57 vom „Schlafende Schönheiten“-Titel. Zufällig stießen wir auf einen Artikel in der französischen Zeitschrift „Rétroviseur“ über die Rétromobile, das vereinfachte die Suche: Nach einem Telefonat mit André Lecocq wussten wir, dass André Dufilho in Nordfrankreich der aktuelle Besitzer war.

Dufilho war sofort bereit, uns an einem Samstag im Jahr 2007 zu empfangen, um mit dem Ventoux zu fahren. Leider wollte der Bugatti trotz aller Anstrengungen nicht starten, doch zumindest konnten wir das Auto in allen Details betrachten. Im November 2007 gelang es uns schließlich auch, mit Michel Dovaz zu sprechen und endlich unser Buch fertigzustellen.

Das Unglaubliche geschieht

In November 2008 präsentierten wir in Holland unser Buch „Het lot van de slapende schoonheden“ („Das Schicksal der schlafenden Schönheiten“) im Holländischen Nationalen Automuseum. Das Buch ist später auch in Englisch und Französisch erschienen. Zur Präsentation hatten wir zwei fast unerfüllbare Wünsche: Dass Michel Dovaz anwesend sein könnte, um das erste Buch entgegenzunehmen, und dass der Bugatti 57 vom ursprünglichen Buchtitel da sein würde.

Beide Wünsche gingen in Erfüllung: Dovaz sagte zu, und am frühen Morgen der Präsentation stieg er in Paris in den Zug nach Rotterdam, wo wir ihn vom Bahnhof abholten. Auch André Dufilho war gleich bereit, uns seinen Bugatti zu leihen. Am Sonntag vor der Präsentation brachte er das Auto auf einem Hänger nach Holland.

Nun geschah das Unglaubliche: Bei Breda hatte der Anhänger eine Reifenpanne, also haben wir den Bugatti abgeladen, gestartet – diesmal sprang er anstandslos an – und auf eigener Achse in eine sichere Garage nach Arnheim gefahren. Diese Fahrt wird uns wohl immer im Gedächtnis bleiben – der Gesang des Achtzylinders, die beeindruckende Beschleunigung, die ausgezeichneten Fahreigenschaften. Und das bei einem Auto, von dem man vor rund 30 Jahren dachte, es sei nicht mehr zu retten.

Der Bugatti Typ 57 Ventoux mit der Chassisnummer 57286 ist wohl nicht das wertvollste, sicher aber das bekannteste Auto aus der Sammlung von Michel Dovaz und dem Buch „Schlafende Schönheiten“. Kein Wunder, dass es auch von seinem jetzigen Besitzer regelmäßig bewegt wird.

Wieder neu aufgelegt: Sleeping Beauties

Lange Zeit war das Buch „Sleeping Beauties – schöafende Schönheiten“ von Herbert W. Hesselmann nur antiquarisch erhältlich. Nun hat das Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat aus Münster das Buch wieder aufgelegt: 212 Seiten, 35 Euro, Deutsch/Engl., ISBN 978-3-942153-16-4

Technische Daten
Bugatti 57 Ventoux
Hubraum / Motor3259 cm³ / 8-Zylinder
Die aktuelle Ausgabe
Motor Klassik 10 / 2024

Erscheinungsdatum 05.09.2024

148 Seiten