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ALMS-Meister 2012
Zwei deutsche Meister in Amerika

Inhalt von

Zwei deutsche Waffenbrüder haben den Amis in der ALMS 2012 gezeigt, was eine Harke ist: Klaus Graf und Lucas Luhr krönten sich beim Finale in Road Atlanta als LMP1-Meister.

ALMS, Klaus Graf, Lucas Luhr
Foto: Lister

Lucas Luhr und Klaus Graf wären fast an einem Schwergewicht gescheitert. Peter LeSaffre ist Präsident und CEO einer großen Computer-Firma. Umsatz pro Jahr: 275 Millionen Dollar. Auf der Firmen-Website gibt er keck seinen Wahlspruch preis: „Wir sind schneller als jeder andere Wettbewerber da draußen.“

Nun, fürs Geschäft mag das durchaus zutreffen. Doch leider fährt Peter LeSaffre auch noch Autorennen, und zwar nicht in irgendeiner Gratler-Serie, sondern im pickepackevollen Profi-Starterfeld der American Le Mans Series. Und das sollte beim Finale der ALMS in Road Atlanta Folgen haben. LeSaffre fiel schon im freien Training auf, als er den kuriosen Delta-Wing-Rennwagen in einen noch viel kurioseren Überschlag beförderte.

Unsere Highlights

Kollision mit 120 km/h Überschuss

Im Rennen doppelte LeSaffre nach: In Runde 43 wollte Lucas Luhr in seinem LMP1-HPD-ARX-03a zwei GTC-Porsche auf einen Streich ausgangs Turn One überholen. Speed-Differenz zwischen LMP1-Profi Luhr und GTC-Amateuer LeSaffre: über 120 km/h.
Und nein, es ging nicht gut: LeSaffre übersah Luhr, drängte ihn erst aufs Gras und traf ihn schließlich hinten links. Mit einem 200-km/h-Dreher kreiselte der Koblenzer von der Bahn und schlug breitseits in die Mauer. Es sah aus, als wäre die Meisterschaft verloren, im letzten Rennen, fast auf der Zielgeraden.
Glücklicherweise ist der Funkverkehr nicht überliefert. Lucas Luhr ist nämlich ein emotionaler Typ mit lebendiger Aussprache. Selbst wenn der TV-Sender den Funkverkehr live aufgeschaltet hätte, so wäre uns seine Wortwahl durch die schnelle Abfolge von Piep-Tönen entgangen, die obszöne Flüche von prüden US-Ohren fernhalten sollen.
Und glücklicherweise fährt Lucas Luhr für ein überaus professionelles Team, das den achtbaren Schaden in einer Stunde reparierte. So schafften Graf, Luhr und Romain Dumas die Mindestdistanz, um die fehlenden Punkte doch noch einzusacken.
Ein paar Wochen nach dem Rennen sind das alles nur noch Anekdoten. Lucas Luhr hat seinen fünften (!) Pokal als ALMS-Meister auf dem Fenstersims geparkt und kann jetzt sogar über die direkten Folgen des Unfalls schmunzeln: Denn Luhr hatte den Fahrer des Abschleppwagens dringend gebeten, bei der Rückfahrt zur Box bitte auf die Tube zu drücken. Gesagt, getan – woraufhin Luhr prompt speiübel wurde, weil der Truckie mit Höllenspeed über jeden Curb nagelte. „Der ist gefahren wie ein Irrer“, lacht Luhr.
Ende gut, alles gut: Luhr und Graf hätten eigentlich schon vor dem Finale als Meister feststehen können, denn der einzige Gegner, die Mannschaft von Chris Dyson, war weder beim Einsatzauto noch bei der Fahrerpaarung auf dem Niveau der Muscle-Milk-Mannschaft von Greg Pickett, für die Luhr und Graf 2012 an den Start gingen.
Aber den sechs Siegen standen eben auch Patzer gegenüber: Beim Saisonstart in Sebring ging eine halbe Stunde vor Rennende der innere Ring des Tankeinfüllstutzens flöten, was Luhr und Graf neben Punkten auch noch einen sicheren zweiten Platz hinter dem Werks-Audi raubte.
In Lime Rock übersahen die Honda-Ingenieure einen Warnhinweis, der wenig später zum elektronisch bedingten Ausfall der Schaltaktivierung führte. Das Rennen in Lime Rock dokumentierte aber auch die Überlegenheit der „Muskel-Milch-Männer“: Mit kühner Taktik und krassem Speed fuhren Graf und Luhr die vier Runden Rückstand wieder weg – und siegten am Ende sogar mit 12 Sekunden Vorsprung.

WM-Teilnahme gegen Geld möglich

Natürlich wurmt Luhr nach wie vor das Fast-Debakel von Road Atlanta, und wie immer formuliert der 32-Jährige seine Meinung mit offenem Visier: „In keinem anderen Sport auf der Welt kann man sich den Zugang zu einer WM oder zu einem Top-Event erkaufen – außer im Motorsport. Die wohlhabenden Fahrer sind das Rückgrat des Langstreckensports, und damit habe ich kein Problem. Aber wenn sie zu langsam sind oder zu viele Unfälle verursachen, dann müssen sie ausgesiebt werden. Sonst tut sich irgendwann jemand mal richtig weh.“
Mike Rockenfeller und Anthony Davidson würden im Rückblick auf ihre Erfahrungen beim 24h-Rennen in Le Mans vermutlich vorbehaltlos zustimmen. Die Frage lautet nur: Hört irgendwann mal einer von den Verantwortlichen auch zu?
Die Kritik von Luhr sollte Gewicht haben, schließlich zählt er zu den erfolgreichsten Langstrecken-Piloten der Welt: Seine fünf ALMS-Titel hat er in allen wichtigen Fahrzeugklassen (GT, LMP2 und LMP1) gewonnen, dazu holte er 2011 den WM-Titel im GT-Sport. Bei jemand, der in zwei Jahren 57 Rennen bestritt, davon 18 gewinnt und in 49% aller Rennen auf dem Podium landet, stellt man sich eh die Frage, warum er nicht als Werkspilot bei einem Hersteller unter Vertrag ist.
Solche Gedanken muss sich Teamkollege Klaus Graf nicht mehr machen. Der 42-Jährige befindet sich laut eigener Diktion im Spätherbst seiner Karriere. Dennoch hat der Dornhaner 2012 wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er zu den am meisten unterschätzten Sportwagen-Piloten zählt. Er selbst nimmt es lakonisch: „Ich war in der Vergangenheit halt nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
Das kann man in der Gegenwart nicht behaupten: Denn mit Teamchef Greg Pickett verbindet ihn menschlich und geschäftlich ein enges Verhältnis. „Einerseits ist Greg ein Fan, andererseits steckt er echt tief in der Materie drin“, so Graf. „Und weil er selbst bis zu seinem 65. Lebensjahr aktiv Rennen fuhr, lacht er nur über mein Alter und sagt: Du kannst doch noch ewig fahren!“

Motorsport als Marketing für Energie-Getränke

Das Muscle-Milk-Team ist schon länger im Renngeschäft, und die Zukunftspläne laufen eindeutig auf eine Expansion hinaus. „Greg nutzt den Motorsport ganz gezielt zur Promotion der Energie-Getränke aus eigener Produktion“, so Graf, der unter anderem auch für die Europa-Expansion der Muscle-Milk-Produkte zuständig ist. Vom extrem durchtrainierten Lucas Luhr hat Pickett sogar 4000 Aufsteller in Körpergröße anfertigen lassen, um den Energie-Drink Amerika-weit zu promoten.
Weil Pickett den Motorsport aus dem Effeff kennt, hat er sein Team systematisch verstärkt, auch in diesem Jahr: „Der Schritt vom Porsche-LMP2 auf den Honda-LMP1 in nur zwei Jahren war schon taff“, weiß Klaus Graf. „Daher haben wir die Infrastruktur ausgebaut, zusätzliche Datenund Assistenz-Ingenieure eingestellt, um unseren Chef-Techniker Brandon Fry zu entlasten.“ Den Ex-IndyCar-Mann hält Lucas Luhr übrigens für einen der besten Ingenieure, mit denen er in seiner Karriere je zusammengearbeitet hat.
Fry hat auch maßgeblichen Anteil daran, dass der HPD-ARX-03a schon in Sebring auf Anhieb gut funktionierte, obwohl das brandneue Auto erst wenige Wochen vor dem Saisonstart beim Team eintraf. Der zweite Erfolgsfaktor war Reifenpartner Michelin: Zu Saisonbeginn haderte das Muscle-Milk-Team mit den Reifentemperaturen an der Vorderachse, denn der HPD-LMP1 rollt auf den mittlerweile aus der Mode gekommenen schmalen LMP1-Pneus. Michelin steuerte mit einer Street-Soft-Mischung dagegen, die eigentlich nur für den Einsatz auf Straßenkursen vorgesehen war. „Später in der Saison haben wir auch noch einen optimierten Hinterreifen bekommen, der wirklich sehr gut funktionierte“, erklärt Luhr.
Im nächsten Jahr könnte das eingespielte Duo auf dem neuen LMP1-HPD den Titel in der ALMS verteidigen. „Never change a winning team“, sagt Lucas Luhr. Der emotionale Speed-Vogel Luhr und der introvertierte Technik-Spezialist Graf harmonieren nicht nur auf der Rennstrecke, sondern auch privat. „Weil wir so verschiedene Typen mit unterschiedlichen Stärken sind, gleichen wir uns irgendwie gegenseitig aus“, so Luhr. „Wir sind einfach das perfekte Team.“

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Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten