Wenn ich es recht bedenke, habe ich jedes Album von Bruce Springsteen – von "Greetings from Asbury Park, N.J." bis "High Hopes". Ich würde mir sogar seine Anrufbeantworter-Ansage auf den MP3-Spieler laden, wenn es sie denn bei … (Name eines beliebigen Download-Portals) gäbe. Letztens fuhr ich mit unserem eigenen, zehn Jahre alten Renault Espace zum Supermarkt und zum Altglascontainer. Dabei sang ich Bruces Lied vom hungrigen Herzen mit, demzufolge ich eine Familie und Kinder draußen im Vorort habe, eines Tages aber kurz eine Runde drehen will, um nie nach Hause zurückzukehren, wie ein Fluss, der sein Ziel nicht kennt, einen falschen Abzweig nimmt und einfach weiterfließt.
Erste Generation Espace ab 1984
Wollte ich natürlich nicht, aber Sie kennen diese Szene aus Filmen: Einer singt mit dem Wischmopp als Mikrofonständer in der Hand, tanzt dabei durch die Waschküche – dann dieser Moment, in dem er bemerkt, dass ihn die Schwiegerleute seit Minuten beobachten. Bei mir war es der Blick in den Rückspiegel, der die irritierten Gesichter meiner drei kleinen Kinder zeigte.
Was das mit dem Renault Espace zu tun hat? Alles. Denn "Hungry Heart" ist ein Song für Limousinenfahrer auf einem Egotrip und passt nicht in einen Espace. Dessen Idee liegt darin, Freiheit mit anderen zu teilen.
Kein anderes Land als Frankreich hätte den Espace hervorbringen können, und dort kein anderer als Renault. Für Peugeot wäre er in den 80er-Jahren nicht schick, für Citroën nicht kompliziert genug gewesen. Blieb nur Renault, wo man ihn 1984 präsentierte. Aber eigentlich schon seit 1961 baute.
Grundkonzept basiert auf dem R4
Damals, am 21. September 1961 auf der IAA, debütierte der R4. Eine Art Doppelkiste auf Rädern. Unter die vordere, kleine Kiste packten die Techniker den längs stehenden Motor, dahinter stülpten sie eine große Kiste mit vier Seitentüren und einer Heckklappe, planen Scheiben und knautschigen Sitzen. Der R4 ist ein einfaches, pragmatisches Auto mit ebener Ladefläche und vorklappbarer Rückbank. Für Renault ist es die Jahrhundertidee – bis heute übernimmt jedes wirklich erfolgreiche Renault-Modell dieses Grundkonzept; mal mit flacheren Boxen, mal mit dem Motor quer statt längs. Nur seltsam, dass man nicht allein darauf kam, aus zwei Kisten eine zu machen und damit die Oberklasse aufzumischen.
Ideen zu einem Van gibt es bei Renault seit 1978, doch richtig los geht es erst, als Matra mitmacht. Dort zimmern sie länger schon an einem Nachfolger für den Talbot Rancho, der dann wegen des Endes der Marke Talbot gar nicht mehr benötigt wird. Einige Jahre werkeln Matra und Renault gemeinsam an dem Van, der auf einem verzinkten Stahlrahmen aufbaut, den Karosserieteile aus Polyester verkleiden. Sommer 1984 ist der Espace fertig und begeistert im ersten Monat neun Käufer.
Das Genie des Renault Espace zeigt sich nicht nur in dem Maße, in dem es verkannt wird, sondern auch in den Jahren, die es seiner Zeit voraus ist. Es sind die 80er, als Mercedes seine Kunden mit einem Auto wie dem 190 (W201) ernsthaft schockieren kann. Da wirkt ein Auto wie der Espace im One-Box-Design, so teuer wie der 190, mit sieben umgruppierbaren Sitzen und dem maximierten, brüderlich statt patriarchalisch aufgeteilten Platzangebot wie ein Affront. Womöglich auch, weil dieses Auto den Fahrer nicht wichtiger nimmt als die anderen Passagiere.
Der Boom der frühen Jahre
Der Erfolg des Renault Espace wächst langsam, die meisten Modelle der ersten Serie (47.441 Exemplare) baut Renault 1990, im letzten vollen Modelljahr. Vor allem aber löst er einen Van-Boom aus, und eigentlich ist das ja der geselligste aller Booms gewesen. Erst jetzt, da alle allein im Hochparterre ihres SUV hocken, merken wir, wie nett es war, mit fünf, sechs anderen herumzufahren.
Im Espace gibt es bequeme Sitze und beste Aussicht – selbst für die beiden, die hinten im Kofferraum mitfahren. Auch elf Jahre nach dem Debüt des aktuellen Espace IV gibt es kaum Autos, die gründlicher von vorn bis ganz hinten durchdacht wirken – alle Rücksitze haben Isofix, alle Sitzreihen Klimabelüftung, überall gibt es Ablagen und Fächer, so groß, dass sich in ihnen ganze Drogenhunde schmuggeln ließen. Dazu schaut selbst ein zehn Jahre alter gebrauchter, bis zur Fensterkante vollgekrümelter, farblich unbestimmbarer 5.400-Euro-Espace unterm Carport würdevoller aus als der frisch geleaste SUV daneben. Lässiger eh.
Neu war der Renault Espace nie ein billiges Auto, bewahrt aber auch im Alter sein etabliertes Image. Und im Vergleich zu allen anderen Versuchen Renaults, sich in der Oberklasse zu positionieren, ist er ein enormer Erfolg. Aber die Welt, hat der Espace sie nun wirklich verändert? Im Rückblick vergessen wir gerne, dass die Welt, die er verändern sollte, sich nicht unbedingt ändern lassen wollte. Womöglich wird es nie wieder ein solch optimales Konzept geben wie den ersten Espace, ein Auto, das auf 7,57 Quadratmetern Grundfläche (4,25 mal 1,78 Meter, so viel wie ein aktueller Golf) Raum schafft für sieben Passagiere mit Gepäck oder ein Kaffeekränzchen oder einen Umzug oder ein Lotterbett oder alle anderen Abenteuer eines großen, wilden, hungrigen Lebens.
Drei Generationen und 30 Jahre später ist der Grand Espace IV 61 Zentimeter länger, 11 breiter, 14 höher. Aber noch immer ein Raumauto ohne Platz für Eitelkeit.