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24h-Rennen Le Mans 2010 - Analyse
Der Zweikampf Peugeot gegen Audi

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Die Geschichte des LMP1-Rennens in Le Mans lautet: Warum Audi hätte verlieren und Peugeot gewinnen müssen. Letztlich triumphierte deutsche Zuverlässigkeit über französische Schnell-Kraft: Audi jubelte über einen Dreifachsieg, Peugeot grämte sich über drei Motorschäden.

24h Le Mans Audi R15
Foto: Audi

Das Fahrerlager von Le Mans ist ein Raubtierkäfig, zusammengepfercht und eingezäunt wie ein Zoogehege. Die Fans stehen hinter Gitterstäben. Und wenn sie könnten, würden sie Fleischbrocken hineinwerfen, nur um zu sehen, wie sich die Raubkatzen fetzen. Der kleinste Ausfallschritt führt im engen Geläuf zu bissigem Zähnefletschen und ausgefahrenen Krallen. Gerüchte hängen wie Botenstoffe in der Luft. Jeder Akteur nimmt die Witterung des anderen auf und versucht den nächsten Schritt zu erahnen. Es gibt kleine Katzen und große im Gehege von Le Mans - und je dicker die Muckis, umso rüder die Kampfhandlungen. Die großen Tiere, die um den Gesamtsieg raufen, sind mit Abstand die wildesten. Das Duell des französischen Löwen Peugeot gegen den deutschen Platzhirsch Audi versprach ein Festmahl zu bieten. Hochrechnungen im Vorfeld des 24-Stunden-Rennens ergaben ein Patt beim Speed und versprachen ein episches Renngefecht.

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Zuverlässigkeit gegen absolute Performance - das Thema in Le Mans

Was für eine Enttäuschung, als schon am Mittwoch nach dem ersten Training klar wurde: Audi ist völlig chancenlos. Die Gesichter in der Audi-Box wurden beim Anblick der Peugeot-Rundenzeiten so kreidebleich wie bei einer Gazelle, die das mächtige Gebiss eines Löwenkopfes vor Augen hat. Das Rennen hatte dann zwei Gesichter: drei Motorschäden bei Peugeot und ein Dreifachsieg von Audi - ein Triumph der Zuverlässigkeit und eine Niederlage der Schnell-Kraft. Im Zeittraining standen vier Peugeot vorn, der beste Audi war um über zwei Sekunden distanziert. Da war man im Audi-Camp schon auf den Torpedo vorbereitet und gab sich gefasst, nach dem Motto: Die müssen auch erst mal durchkommen. Der Standardspruch eben, aber ein sehr wahrer. Was sollte man auch anderes machen? Strategisch und taktisch hatte Audi keine Spielräume - außer der Zuverlässigkeit, der Defensivwaffe in der Welt des Rennsports.

Die Deutschen kamen mit der halbwegs sicheren Erwartung nach Le Mans, im Zeittraining zwischen acht Zehntelsekunden und einer Sekunde zu verlieren, aber auch mit der Hoffnung, im Rennen mit Peugeot auf Augenhöhe zu kämpfen. In der Nachbetrachtung bleibt festzustellen: Das war eine Fehleinschätzung. In der Realität verlor Audi in den entscheidenden Phasen des Rennens zwei Sekunden pro Runde auf die französischen LMP1-Projektile. Nach 40 Runden lag man 100 Sekunden hinten, nach 90 Runden hatten die beiden führenden Peugeot 908 eine Runde Vorsprung auf die Deutschen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass Audi allein bei der ersten Safety-Car-Phase zu Rennbeginn fast 50 Sekunden durch schieres Pech einbüßte. Trotzdem: Peugeot dominierte das Rennen über volle 16 Stunden. Zwei Sekunden pro Runde sind eine Welt. Wie ist das zu erklären? Motorsport ist kompliziert, deshalb greifen keine monokausalen Begründungen. Ein ganzes Bündel von Aspekten war dafür verantwortlich, dass das Geweih des deutschen Hirschen stumpf blieb. Dafür sind die Defizite des Audi ebenso verantwortlich wie die über den Winter nochmals nuancierten Stärken des Peugeot 908 HDI.


Aerodynamik, Motorleistung, Getriebe und mechanische Traktion sind die Hauptunterschiede

Die Hauptunterschiede liegen in den Bereichen Aerodynamik, Motorleistung, Getriebe und mechanische Traktion. Der Audi R15 Plus hat Defizite bei der mechanischen Traktion, die in langsamen Kurven offenkundig sind. Das Auto lenkt im Vergleich zum Peugeot träge ein, erfordert viele korrigierende Lenkbewegungen der Fahrer. Beim Rausbeschleunigen regelt die Traktionskontrolle der Peugeot schneller, mit deutlich höherer Taktung und effizienter als die ASR-Regelung im Audi. Wenn die Peugeot-Piloten einlenken, lenkt auch das Auto ein, ohne jeden Verzug. Korrekturen sind so gut wie nie notwendig, wie die Onboardaufnahmen in Le Mans eindrucksvoll belegten. Der zweite große Unterschied besteht in der Aerodynamik. Audi favorisiert einen Ansatz, der sich aus den Erfahrungen in der DTM speist. Dort kommt eine hoch komplizierte Aero-Konfiguration zum Einsatz, die darauf setzt, möglichst viel "billigen" Abtrieb aus dem Unterboden zu generieren, weil dieser Abtrieb nur gering in den Luftwiderstand eingeht. Angeblich kommen 80 Prozent des Abtriebs vom Unterboden - aber nur 20 Prozent werden durch Überströmung über die Flügel an Heck und Front generiert. In der Theoriewelt der CFD-Berechnungen ist das eine sehr schöne Lösung, jedoch nur unter der Bedingung, dass die Abtriebsverhältnisse stabil sind. Dafür wiederum benötigt man eine äußerst ebene Streckenbeschaffenheit, möglichst ohne Bodenwellen.

Formel 1-Rennstrecken sind zum Beispiel sehr geeignet, weil die Fahrzeugposition weit abgesenkt und das Beibehalten eines stabilen Anstellwinkels zwischen der vorderen und hinteren Fahrzeughöhe - dem sogenannten Rake Angle - garantiert werden kann. In der Praxis musste Audi jedoch die Fahrzeughöhe in Le Mans anheben, um die Bodenwellen und Curbs halbwegs schlucken zu können, womit die Effizienz des Unterbodens aus seinem optimalen Arbeitsfenster fiel. Bodenwellen und Curbs bringen generell viel Bewegung in den Unterboden und Diffusor, was Schwankungen beim Abtriebsniveau erzeugt. Um diese Schwankungen zu reduzieren, musste die Federung härter gewählt werden, um den Unterboden und den Anstellwinkel konstanter zu halten. Gleichzeitig kamen so jedoch mehr Vertikalbewegungen ins Auto. In der Summe führen Abtriebsschwankungen dazu, dass sich die Piloten unwohl im Auto fühlen und das Vertrauen verlieren. Renningenieure nennen so etwas den Blinker- Effekt: Mal geht das Auto super, ein paar Kurven weiter dann nicht mehr.

Nach den heutigen sportlichen Regeln muss man in Le Mans mit einem geschlossenen Auto antreten

Ganz anders die Peugeot-Piloten: Egal, ob langsame und mittelschnelle Kurven oder Highspeed-Richtungswechsel - der Peugeot lag stabil und ließ sich nach Aussage aller Piloten absolut stressfrei um Kurven aller Radien prügeln. Warum? Weil Peugeot weniger Abtrieb über den Unterboden generiert als Audi. Laut Schätzungen von Experten holt Peugeot über 60 Prozent seines Abtriebs aus der Überströmung über Karosserie und Flügel. Das ist Abtrieb, der in fast in allen Fahrzuständen stabil und verlässlich produziert wird. Die Unterströmung trägt im Vergleich zum Audi nur einen kleineren Prozentsatz zum Gesamtabtriebsniveau bei. Peugeot kann mit diesem Konzept zudem schneller auf wechselnde Witterungsbedingungen, Schwankungen der Außentemperatur und der Streckenbelagstemperatur reagieren. Audi braucht dagegen deutlich mehr Reaktions- und Abstimmungszeit. In dieses Kapitel fällt ein weiterer Vorteil der Peugeot, der bei zunehmender Wettbewerbsverschärfung zwischen Audi und Peugeot immer stärker zum Tragen kommt: Der geschlossene Peugeot ist aerodynamisch um bis zu drei Prozentpunkte effizienter als der offene Audi R15 TDI Plus. Das kann in der Summe in Le Mans bis zu 1,5 Sekunden pro Runde entsprechen - durch bessere Anströmung und weniger Luftwiderstand gleichermaßen. Das Dach erlaubt eine bessere Kontrolle der Luftströmung, besonders in Richtung Heckflügel.

Joest-Technikdirektor Ralf Jüttner: "Daher kann man bei gleichem Luftwiderstand mehr Heckflügel fahren." Im Gegenzug wurden die durchaus vorhandenen Vorteile des offenen Autos vor allem beim Boxenstopp durch die Änderungen im sportlichen Reglement - Stichwort Verlangsamung der Boxenstopps durch personelle Beschränkungen beim Radwechsel - weitgehend eliminiert. Nicht umsonst schaffte Peugeot schon 2009 schnellere Boxenstopps mit Fahrerwechsel als Audi, obwohl die Wechselchoreographie in einem geschlossenen Auto deutlich anspruchsvoller und damit auch fehleranfälliger ist als beim offenen Spyder-Konzept. Nach den heutigen sportlichen Regeln muss man in Le Mans mit einem geschlossenen Auto antreten. Das sieht man übrigens auch bei Audi so: Das für 2011 angekündigte Nachfolgemodell R18, konstruiert nach den neuen LMP1-Regeln, wird ein geschlossener Prototyp sein, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch mit einem kleinvolumigen, turboaufgeladenen Benzinmotor an den Start gehen wird.

Kolbenschäden in allen 3 Motoren bedeutete das Aus für die Peugeots

Dass Peugeot trotz der jährlich sinkenden Motorleistungen durch kleinere Restriktoren und gekappten Ladedruck immer noch die Benchmark bei der Motorleistung stellt - war schon verwunderlich. Peugeot fuhr 2010 mit einer Schippe mehr Abtrieb als im Vorjahr, verbesserte aber trotzdem seine Topspeeds um bis zu acht Stundenkilometer (von 240 auf 248 km/h). Wie ist das zu erklären? Im Audi-Camp war man 2009 davon ausgegangen, dass die immer weiter schrumpfenden Luftmengenbegrenzer den V12-Motor aus seinem optimalen Betriebsfenster werfen würden. Daher wechselte Audi 2009 auf den V10-Motor. Doch selbst im letzten Jahr des alten LMP1-Motorenreglements ist der V12 von Peugeot das Maß der Dinge. Nach Schätzungen von Insidern hat Peugeot durch viel Feinarbeit im Bereich von 50 PS mehr Leistung als der Audi-V10. Nur 14 PS davon gehen auf die um 0,3 Millimeter größeren Luftmengenbegrenzer. Die Leistungssteigerung gelang zum Teil durch eine Abgasanlage mit kleineren Partikelfiltern. Vermutlich ging Peugeot beim Spitzendruck, der auf den Stahlkolben des V12-Motors lastet, an die absolute Belastungsgrenze - und darüber hinaus.

Im Mai, nur wenige Wochen vor dem Rennen, gingen mehrere Peugeot-Motoren auf den Prüfständen in Vélizy hoch, angeblich wegen einer Charge fehlerhafter Bauteile. Im Rennen verlor Peugeot das führende Auto nach 16 Rennstunden mit Motorschaden. Im Block befand sich ein faustgroßes Loch - was auf einen Kolbenschaden hindeutet. Am Sonntag folgten zwei weitere Motorschäden bei den beiden verbliebenen Autos. Insider bestätigten, dass es sich auch hier definitiv um Kolbenschäden handelte. Peugeot-Technikdirektor Bruno Famin hielt fest: "Wir haben den Motorstand, den wir hier fahren, bei Tests über 30 Stunden validiert. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Prüfstandsschäden im Mai andere Gründe hatten als die Schäden im Rennen." Obendrein war Peugeot im Rennen beim Verbrauch überlegen: Während Audi in der Regel 12 Runden mit einer Tankfüllung schaffte, konnten die Peugeot-Piloten 13 Runden fahren. Das entspricht fast der Quadratur des Kreises: mehr Leistung, geringerer Verbrauch.

Audi betrachtet sichtbare Rußbildung im Rennsport als absolutes No-Go

Durch das intelligente Boost-Management konnten die Peugeot- Fahrer bei ihren 13-Runden-Stints an strategisch nützlichen Streckenpunkten mehr Power abrufen als die Audi-Piloten. Dann wird durch das fette Gemisch zwar auch mehr Rußbildung erzeugt, doch Peugeot verfügt über besondere Mappingprogramme, um die Partikelfilter anschließend wieder sauber zu fahren. Die Audi rußten in Le Mans weniger stark als die Peugeot, weil Audi sichtbare Rußbildung im Rennsport als absolutes No-Go betrachtet. Direkt verknüpft mit dem Motor ist das Getriebe-Thema, dass für die Performance relevanter zu sein scheint, als man auf den ersten Blick vermuten könnte: Audi setzt seit Einführung der Dieseltechnik auf ein Fünfganggetriebe, das aber effektiv wie ein Vierganggetriebe funktioniert, weil der erste Gang nur zum Anfahren in der Boxengasse verwendet wird. Peugeot setzt auf ein viel enger gestuftes Sechsganggetriebe, wo sogar der erste Gang als vollwertige Fahrstufe genutzt wird. Die Motorcharakteristik kann somit rennmäßiger auf ein schmaleres Drehzahlband verlegt werden, was offenbar gut mit den kleineren Restriktoren harmoniert. Die weite Gangspreizung bei Audi wurde deshalb gewählt, weil sich so die Drehmomentabgabe harmonischer gestalten ließ. Peugeot scheint diese Form der Glättung nicht nötig zu haben, weil die Autos auch noch über die bessere Traktionskontrolle verfügen.

Das Duell in Le Mans hieß 2010 absolute Zuverlässigkeit gegen absolute Performance. Peugeot - das ist die Erkenntnis aus dem Rennen - ist an die Grenzen gegangen und darüber hinaus, um seinen sagenhaften Speed zu produzieren. Das gelang nur, weil die Techniker ein im Grundkonzept fünf Jahre altes Auto auspressten wie eine Zitrone. Audi machte zwar bei der Performance im Vergleich zu 2009 mit dem neuen R15 TDI Plus einen Sprung nach vorn, aber ohne die Zuverlässigkeit zu kompromittieren. Im Rennen zerbröselten die führenden Peugeot der Reihe nach: Beim einen Auto riss die Vorderradaufhängung aus dem Karbonchassis, der nächste führende Peugeot verlor Zeit beim Tausch von Anlasser und Power Box für die Stromversorgung. Der dritte Peugeot verrauchte nach 16 Rennstunden mit Motorschaden. Später folgten dann noch zwei weitere Motorschäden. Am Sonntagmorgen fand sich Audi in Führung, was im deutschen Camp mit spürbarer Erleichterung, aber auch einer gewissen Verwunderung registriert wurde. Offenbar hatte niemand damit gerechnet. Die Audi-Diesel schnurrten wie die Kätzchen.

Das Geweih von Platzhirsch Audi mag in Le Mans stumpf geblieben sein, doch die Peugeot-Löwen bissen sich daran trotzdem die Zähne aus

Nur kleine Zwischenfälle konnten die konstante Fahrt stören: Romain Dumas riss einen Außenspiegel an einem wegelagernden Fotografen in der Boxengasse ab, Tom Kristensen blieb in den Porsche-Kurven am BMW von Andy Priaulx hängen, der mit einem Plattfuß in Richtung Box humpelte. Nach dem Vierfachtriumph im Zeittraining sagte Peugeot-Technikdirektor Bruno Famin: "Den Pokal gibt es am Sonntagnachmittag. Der Rest ist völlig belanglos." Übertragen auf das Rennen: Der Speed von Peugeot war belanglos, was allein zählte, war der Sieg von Audi. Die Piloten Romain Dumas, Timo Bernhard und Mike Rockenfeller gaben sich nicht die geringste Blöße und exekutierten das vorhandene Potenzial des Autos. Das Geweih von Platzhirsch Audi mag in Le Mans stumpf geblieben sein, doch die Peugeot-Löwen bissen sich daran trotzdem die Zähne aus. Nun bleibt der Raubtierkäfig von Le Mans wieder für ein Jahr geschlossen.

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten