SUV töten bei Unfällen mehr Menschen als andere Autos. Sie sind eine größere Umweltbelastung als andere Autos. SUV müssen aus den Innenstädten dieser Republik verbannt werden. Ein extra hoher Steuersatz soll SUV abstrafen. Und überhaupt: Wer sich erdreistet, so eine Höllenmaschine zu kaufen, hat es eh nicht besser verdient. Das ist in etwa die öffentliche Meinung, wenn man der aktuellen Darstellung in vielen Medien und sozialen Netzwerken glaubt. Kein anderes Fahrzeugsegment ist gerade schlimmer in Verruf, noch nicht einmal PS-starke Sportwagen. Wir haben uns, frei nach dem chinesischen Philosophen Sunzi („Kenne deinen Feind“), gefragt: Was genau ist eigentlich ein SUV?
Es gibt keinen SUV von Porsche

Es gibt laut Kraftfahrtbundesamt aktuell in Deutschland 3.144.333 SUV, das sind 6,7 Prozent aller zugelassenen Autos. Gegenüber 2018 entspricht das einer Steigerung von 19,9 Prozent. In diese Aufzählung gehen Autos wie ein Fiat Sedici oder ein Citroën C4 Cactus ein. BMW X3, Porsche Cayenne und Macan oder Jaguar E-Pace laufen in der KBA-Statistik dagegen als Geländewagen und nicht als SUV. Ein Ford Explorer oder Lada Niva wiederum sind SUV und keine Geländewagen. Hä? Dass ein SUV generell nicht gleichbedeutend mit „Geländewagen“ ist, wissen wir. Doch welche Unterschiede gibt es explizit?
Wir lösen auf: Als Geländewagen (Typ M1G) wird ein Auto nur dann bezeichnet, wenn ...
- das Fahrzeug über mindestens eine Vorder- und eine Hinterachse verfügt, die so ausgelegt sind, dass sie gleichzeitig angetrieben werden können, wobei der Antrieb einer Achse abschaltbar sein kann
- das Fahrzeug über mindestens eine Differentialsperre (oder vergleichbare Vorrichtung) verfügt
- das Fahrzeug eine Steigung von 30 Prozent überwinden kann
- der vordere Überhangwinkel mindestens 25 Grad beträgt
- der hintere Überhangwinkel mindestens 20 Grad beträgt
- der Rampenwinkel mindestens 20 Grad beträgt
- die Bodenfreiheit unter der Vorderachse mindestens 180 Millimeter beträgt
- die Bodenfreiheit unter der Hinterachse mindestens 180 Millimeter beträgt
- die Bodenfreiheit zwischen den Achsen mindestens 200 Millimeter beträgt
SUV dient der statistischen Betrachtung
Von den letzten sechs Kriterien muss das Auto lediglich fünf erfüllen, um als Geländewagen klassifiziert zu werden – und sind die Kriterien einmal erfüllt, wird aus dem betreffenden Auto auch kein SUV mehr. KBA-Pressesprecher Stephan Immen erklärt gegenüber auto motor und sport: „Als SUV bezeichnen wir Fahrzeuge mit Offroad-Charakter. Das bedeutet, sie lehnen sich in ihrer Form an Geländewagen an, sind etwas höhergelegt und verfügen über einen höheren Einstieg. Verbindliche Größen zur Definition gibt es nicht, das Segment “SUV„ dient uns aber auch nur zur statistischen Betrachtung.“ Das bedeutet: Nicht jeder Pkw ist ein SUV, aber jeder SUV ist ein Pkw – und zwar ein ganz normaler mit M1-Typgenehmigung. Also ein Fahrzeug, das zur Personenbeförderung ausgelegt ist, mindestens vier Räder hat und höchstens acht Sitzplätze außer dem Fahrersitz.

Grundfläche, Verbrauch oder Reserverad
Wenn also ein Politiker das nächste Mal eine Sondersteuer für SUV fordert, sollte er gefragt werden, was er denn damit überhaupt meint – denn eine politische Definition gibt es nicht. Meint man damit Autos, die ein Reserverad außen am Heck tragen? Die eine Kunststoffbeplankung an der Seite haben? Solche, in die man nur via Trittbrett einsteigen kann? Heißt „SUV“, dass das Auto einen Durchschnittsverbrauch jenseits von 10 Litern auf 100 Kilometer haben muss? Oder einen cW-Wert nördlich von 0,35? Muss die Grundfläche mehr als 3,5 m² betragen? Von nationalen Unterschieden wollen wir schon gleich gar nicht anfangen. Denn was bei uns landläufig als großer SUV betrachtet wird, ist den USA maximal ein gut bereifter Kompaktwagen.
Sie erkennen sicherlich, dass viele vermeintliche Kriterien sofort andere Fahrzeuge einschließen, die dann entweder per Sondergenehmigung ausgenommen werden müssten, oder mit von der Bildfläche verschwinden. So verbraucht ein Ford Ecosport – laut KBA eindeutig ein SUV – mit der Basismotorisierung 1,0-EcoBoost laut Hersteller 5,5 Liter Benzin auf 100 Kilometer und emittiert dabei pro Kilometer 125 Gramm CO2. Die Giulia von Alfa Romeo – beim KBA als Mittelklasse gelistet – schluckt mit dem Basisbenziner im Schnitt sieben Liter weg und pustet dabei 162 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft. Noch ein Beispiel? Während die Bodenfreiheit eines VW T-ROC (SUV) bei 161 Millimetern liegt, sind es beim Audi A4 Allroad Quattro (Mittelklasse) 180.

Eichstrich auf Rädern
Um ein SUV zu definieren bräuchten wir ein Referenzauto – das automobile Ur-Meter. Einen Eichstrich auf vier Rädern, wenn Sie so wollen. Ein Auto, das andere Fahrzeuge durch ihre Abweichung von den eigenen Werten charakterisiert. Und selbst dann muss es eine Kombination oder Mindestanzahl von Abweichungen in eine bestimmte Richtung sein, die ein Auto als SUV klassifizieren. Beispielsweise Bodenfreiheit, Kraftstoffverbrauch und Luftwiderstandsbeiwert müssen mindestens um einen Faktor X nach oben vom Benchmark abweichen. Zierelemente wie einen angedeuteten Unterfahrschutz mit in die Gleichung aufzunehmen ergibt indes wenig Sinn. Das Anbringen einer Carbon-Spoilerlippe macht aus einem Volvo S60 schließlich auch keinen Sportwagen.
Wer aber baut uns „DAS Auto“? Ist das vielleicht ein Golf, weil Bestseller und so herrlich normal? Oder doch ein Mercedes, weil die ja das Auto erfunden haben? Vielleicht werden auch einfach Norm-Werte für alle relevanten Größen definiert – aber von wem? Einem Gremium der Hersteller oder der Politik? Oder gar von der Fachpresse? Und wie sieht es dann überall sonst auf der Welt aus? Sie sehen schon, es gibt bis dato mehr Fragen als Antworten.

Dass sich über die Sinnhaftigkeit eines ausladenden und im Zweifel überschaubar energieffizienten SUV in engen Innenstädten trefflich streiten lässt, versteht sich. Doch selbst mit Blick auf die von vielen Benzin-Gegnern herbeigesehnte Elektromobilität stellt man fest: Viele E-Pfeile, die in den Köchern der Hersteller bereitstehen, sind ebenfalls SUVs. So lange also die Absatzzahlen satte Gewinne versprechen, wird sich an dieser Marschrichtung wenig ändern. Und wer weiß? Vielleicht geht es bei der Diskussion um das Hassobjekt Nummer Eins ja gar nicht so sehr um den SUV an sich. Sondern vielmehr um den SUV als Sinnbild einer ausklingenden Episode der automobilen Geschichte.