Viele gehen nicht gern zum Finale: Dunkelgrauer Himmel über kahlen Bergen, böiger Wind und Nieselregen bilden die Kulisse. Wales im November ist nicht gerade das Traumziel für eine Saisonabschlussparty. Aber gerade der seit 40 Jahren ausgetragene Klassiker auf der britischen Hauptinsel mit seinen schnellen Waldprüfungen über schlammig, rutschigen Untergrund ist ein echtes Highlight im Rallye-Kalender.
Wer in Wales gewinnen will, braucht vor allem Selbstvertrauen und Mut. An beidem dürfte es Weltmeister Sébastien Ogier nicht fehlen. Der Franzose reist mit breiter Brust an. Was soll jemanden schrecken, der schon in Schweden und Finnland gewonnen hat, vorgeblich uneinnehmbare Bastionen. Wales fehlt Ogier noch in seiner Sammlung. Zudem hat der Mann aus Gap an Wales gute Erinnerungen: Hier saß er als frisch gebackener Junioren-Weltmeister erstmals in einem allradgetriebenen World Rally Car und führte vor seinem Abflug respektlos das Feld an.
Kampf um den Vize-Titel
Die Ausgangslage scheint 2013 zunächst wenig spannend. Beide Titelkämpfe sind schon entschieden. Das führt allerdings dazu, dass die Wales-Kenner nahezu frei aufspielen können. Mikko Hirvonen, Sieger 2007, hat im Citroën nach einem schwachen Jahr wenig zu verlieren. Landsmann Jari-Matti Latvala fuhr hier als 17-Jähriger seinen ersten WM-Lauf. Der VW-Pilot gewann die letzten beiden Ausgaben des britischen WM-Laufes. Latvala muss nicht zuletzt deshalb heftig Gas geben, weil er Ford-Nachwuchsstar Thierry Neuville im Kampf um die Vize-Weltmeisterschaft noch abfangen will. Der Belgier hat relativ komfortable 14 Punkte Vorsprung vor dem Finnen. Bei dessen Sieg und Gewinn der Powerstage müsste Neuville mindestens Dritter werden. Eigentlich kann sich der 25-Jährige nach der Unterzeichnung eines Dreijahresvertrages bei Hyundai entspannt zurücklehnen, aber der Mann aus St. Vith warnt: "Es ist noch ncht vorbei."
Unter Zugzwang stehen auch Neuvilles Teamkollegen bei M-Sport. Mads Östberg kämpft nach durchwachsener Saison um ein Cockpit, möglichst ohne, dass Vater Morten das Portemonnaie zücken muss. Nahezu ohne Geld steht mittlerweile Evgeny Novikov da. Auch der erst 23-jährige Russe hat 2013 wenig gezeigt und kämpft in der WM ums Überleben. Bliebe unter den Topteams noch Daniel Sordo. Der Spanier befindet sich nach seinem Deutschland-Sieg im Aufwind und wurde ausgerechnet bei dessen Heimspiel nicht durch den Briten Kris Meeke ersetzt. Der Nordire baute bei seinen zwei Chancen im Werks-DS3 gleich drei Unfälle.
Kubica vor großen Aufgaben
Nach fünf Siegen ist Robert Kubica in seiner ersten Rallye-Saison vorzeitig Weltmeister in der WRC2. Aber der neue Champion muss sich in der zweiten Liga gar nicht erst Lokalmatadoren wie Tom Cave, Mark Higgins oder Lokalmatador und Favorit Elfyn Evans stellen. Der frühere Formel-1-Star strebt nach Höherem und darf sich erstmals in einem World Rally Car versuchen. Citroën-Sportchef Yves Matton würde den populären Polen gern 2014 in einem Werks-Auto sehen. Der müht sich, die Euphorie zu bremsen: "Niemand kann erwarten, dass ich mit den Jungs mithalten kann, die das hier schon seit vielen Jahren machen." Kubicas WRC-Debüt wird erschwert von einem Beifahrer-Wechsel. Weil sein bisheriger Partner Maciek Baran nicht weitermachen will, steigt der Italiener Michele Ferrara zu ihm ins Auto. Kubica spricht zwar Italienisch, rechnet aber mit Umstellungsschwierigkeiten und sagt: "Ich versuche, das Beste daraus zu machen."
In der WRC2 kommt es in Wales zu einer bisher nie dagewesen Ansammlung von zwölf neuen R5-Autos oder Regional Rally Cars, was trotz theoretischer Chancen auf den dritten Tabellenrang Sepp Wiegands Arbeitgeber Skoda Deutschland abgehalten hat, den Weg nach Westen anzutreten. Der Fabia S2000 mit Saugmotor ist gegen die Turbo-Konkurrenz praktisch chancenlos.
Wales steht auf der Kippe
Schlechte Karten hat auch der britische WM-Lauf. Wales hält sich in den letzten Jahren nur im Kalender, weil es an Alternativen fehlt. Der Rallye Akropolis fehlt es an Geld, die Hoffnungen auf das Erschließen neuen Territoriums in Südafrika, Brasilien oder China erfüllten sich mangels WM-tauglicher Veranstaltungen nicht. Die "Wales Rally GB" ist wieder einmal umgezogen. Nachdem die Landeshauptstadt Cardiff nicht mehr bezahlt, ist das Hauptquartier nun in Deeside im Norden der Halbinsel nahe Liverpool und der englischen Grenze.
Ein Grund für den Umzug waren die Klagen über ewig lange Verbindungsetappen in den vergangenen Jahren. Dennoch bleibt die Gesamtdistanz bei rund 1.500 Kilometern. Mit 316 WP-Kilometern auf 22 Prüfungen ist Wales einer der kürzesten Läufe der Saison. Nach der Qualifikation am Donnerstagmorgen (14.11.) stehen am Donnerstagabend bei Finsternis bereits drei Prüfungen auf dem Programm. Freitags führt die Rallye für sechs Prüfungen nach Mid-Wales zum Brecon-Beacon-Nationapark. Samstag stehen weitere sieben Prüfungen an. Ein Highlight soll die nur rund zwei Kilometer lange Prüfung um das Chirk Castle bieten, die zum Ende des Tages zwei Mal gefahren wird. Die Teilnehmer müssen mit Schotterreifen auf Asphalt starten.
Der landschaftliche Höhepunkt steht am Sonntag an. Nach drei weiteren Schotterprüfungen und zwei Durchgängen auf der kurzen Strecke von Kinmel Park drehen die Teams noch eine Runde auf Great Orme, einer Küstenstraße am Rand einer Halbinsel. Die asphaltierte Panoramastraße führt direkt am Meer entlang. Das Ziel und damit auch das Ende der Saison 2013 erreicht die Rallye um 14:12 Uhr mitteleuropäischer Zeit im nordwalisischen Küstenstädtchen Llandudno.