Die 24 Stunden von Le Mans 2019 werden in Erinnerung bleiben. Es war kein großes Rennen. Dafür waren die Toyota zu überlegen. Doch die Japaner sind immer für ein Drama gut. Kamui Kobayashi, Mike Conway und Jose Maria Lopez verfluchten das bedeutendste Langstreckenrennen der Welt. Le Mans raubte ihnen den Sieg und schenkte den großen Pokal den langsameren Teamkollegen.
Was passierte bei Toyota?
23 Stunden lang dominierte der Toyota mit der Startnummer 7. Im Gegensatz zu den Teamkollegen hatten Kobayashi, Conway und Lopez die richtigen Einstellungen für den TS050 Hybrid gefunden. „Wir haben vor dem Rennen auf das Setup vom letzten Jahr umgeschwenkt. Wir waren überrascht, dass es so gut funktioniert hat“, berichtete Kobayashi. Was im letzten Jahr nicht funktionierte, klappte dieses Mal. Bei eher kühlen Verhältnissen trumpfte der 7er Toyota auf. Alonso, Buemi und Nakajima haderten hingegen mit ihrem Auto, das auf etwas mehr Anpressdruck ausgelegt war. „Ich habe nach fünf Runden gemerkt, dass sie zu schnell für uns sein werden. Das hat sich das ganze Rennen über bestätigt“, resümierte Buemi.
Es war nicht nur der Speed, der den Unterschied machte. Das Trio auf dem Toyota mit der Nummer 8 fuhr bedachter, weil man die Weltmeisterschaft nicht vergeigen wollte. 30 Punkte Vorsprung waren zwar ein komfortables Polster, trotzdem scheute man das Risiko. „Die WM war unser Ziel“, sagte Alonso. Toyota-Technikchef Pascal Vasselon fügte hinzu: „Beide Crews waren diszipliniert und haben sich aus Zwischenfällen herausgehalten. Das 7er Auto war hierbei etwas risikofreudiger.“

Eigentlich hatten sich Alonso, Buemi und Nakajima schon mit dem zweiten Platz abgefunden. Bis eine Stunde vor Rennende das Schicksal Regie spielte. Und sich die alte Weisheit bestätigte, dass Le Mans sich seinen Sieger aussucht. Lopez humpelte in der 366. Runde zu seinem vorletzten Boxenstopp. „Mein Display hat angezeigt, dass ich einen Reifenschaden habe. Es ist ärgerlich. Ich bin die Runden davor extra von den Randsteinen weggeblieben.“ Die Reifendrucksensoren attestierten einen Luftverlust vorne rechts. Die Toyota-Mechaniker tauschten den Reifen und schickten den Argentinier zurück auf die Strecke. „Das Display sprach danach immer noch von einem Plattfuß.“
Lopez kroch mit maximal 130 km/h um die Strecke, und musste mitansehen, wie ihn LMP2- und GT-Autos rechts und links überholten. Seiner Mannschaft entglitt der wohlverdiente Sieg. Die widerspenstigen Sensoren hatten den falschen Reifen als platt ausgemacht. Es war nicht der vordere rechte, sondern der hintere linke, der Luft verlor. „Es waren am Ende nur noch 0,5 bar drin.“ Also musste Lopez ein zweites Mal kommen, was ihm und seiner Truppe den Sieg kostete. Es war doppelt bitter. Nach dem ersten Notstopp war der 7er Toyota noch in Führung. Hätte Toyota zur Sicherheit alle Reifen gewechselt, wären sie vermutlich trotzdem als Erstes ins Ziel gerollt. „Wir haben nur den rechten Vorderreifen getauscht, weil wir keinen frischen Satz mehr hatten. Unser Kontingent bestand nur noch aus alten Reifen, die vier Stints draufhatten. Da wechselst du nicht alle“, entschuldigte Vasselon.
Wie war das Kräfteverhältnis?
Die 24 Stunden von Le Mans waren zum zweiten Mal in Folge eine einseitige Angelegenheit. Toyota hängte SMP um sechs Runden ab. Rebellion sogar um neun. Immerhin halbierte sich der Abstand zum schnellsten LMP1-Privatier. 2018 wurde Rebellion um 12 Runden distanziert. Und in der Qualifikation verkleinerten die Privatteams den Abstand von vier Sekunden auf sechs Zehntel.
Ein Grund dafür war die Fahrzeugeinstufung. Toyota musste vor Le Mans zehn Kilogramm zuladen. Das Gesamtgewicht des TS050 Hybrud kletterte auf 888 Kilo. Der BR1 mit Turbomotor wog 55 Kilo weniger, der Rebellion mit Sauger sogar 72 weniger. Dazu wurde die maximale Kraftstoff-Durchflussmenge für die Privatiers von 108 auf 115 Kilogramm pro Stunde angehoben (Toyota: 80 kg/h).
Ein zweiter Grund war, dass die Privatteams nach einem Jahr ihre Autos besser verstanden und die Technik weniger anfällig war. „Wir hatten letztes Jahr viele Probleme“, erinnert sich Vitaly Petrov, der im SMP mit seinen Teamkollegen aufs Podest fuhr. „2018 strauchelten wir schon nach einer Stunde. Jetzt läuft unser Auto endlich.“ Ganz kugelsicher sind die Privaten immer noch nicht. Rebellion beklagte im Qualifying zwei Motorschäden. Der Gibson-V8 drehte auf den langen Geraden zu lange im Begrenzer. Für das Rennen wurde der sechste Gang gelängt.
Im Rennen waren die Toyota eine Macht. Schauen wir uns dazu die schnellsten Rennrunden an. Mike Conway erzielte den Bestwert in 3:17.297 Minuten. Damit knöpfte er dem Schwesterauto eine Sekunde ab. Was auch ein Indiz dafür ist, dass Conway, Kobayashi und Lopez das Fenster des TS050 besser trafen. „Sie waren die ganze Woche schnell und haben sich auch vom Chassistausch nach ihrem Unfall am Mittwoch nicht aus der Ruhe bringen lassen“, hielt Toyota-Berater Alexander Wurz fest.

Der Rebellion mit der Startnummer 3 war in seinem besten Umlauf rund 1,5 Sekunden langsamer. Nach etwas mehr als vier Stunden setzte Toyota zum ersten Überrundungsmanöver an. Es gab mehrere Gründe für das Delta. Das hydraulisch vernetzte Fahrwerk erleichtert es Toyota, auf steigende und fallende Streckentemperaturen zu reagieren, und die Reifen im Arbeitsfenster zu halten. Durch den Hybridboost überholen sie im Verkehr einfacher.
Toyota-Technikchef Pascal Vasselon lobte die Leistung der Privatiers. „Sie waren zeitweise sogar schneller als wir.“ Das mag stimmen. Doch den Privaten fehlt die Konstanz. In 24 Stunden helfen vereinzelt schnelle Runden wenig weiter. Dazu kommen Fehler, wie die Abflüge von Thomas Laurent (Rebellion Startnummer 3) und Egor Orudzhev (SMP Startnummer 17) zeigen. Die Teamkollegen machten es besser. „Der Schlüssel für unseren dritten Platz war, dass wir uns aus Schwierigkeiten rausgehalten haben. Wir wollten sicherstellen, dass wir keine Fehler machen“, fasste Stoffel Vandoorne zusammen.
Um die Überlegenheit der Toyota-Mondmaschinen abzurunden, müssen wir auf die Boxenstopps zu sprechen kommen. Der siegreiche Toyota kam mit 34 Boxenstopps durch. SMP und Rebellion stoppten fünf Mal mehr. Das allein spart zwischen fünf und sechs Minuten. Toyota wurde vor dem Rennen eine Reichweite von elf Runden pro Stint zugestanden. Den Privatteams nur zehn Runden. Außerdem wickelt Toyota jeden Stopp fünf bis zehn Sekunden schneller ab. Weil man die besseren Werkzeuge und die erfahrenere Crew hat. Da kommt auf die Distanz viel Zeit zusammen.
Wieso gewann Ferrari das GT-Rennen?
In der Qualifikation hielt sich Ferrari zurück. Im Rennen waren die Italiener von AF Corse voll da. „Sie sind erfahren und spielen das Spiel perfekt. Sie wissen genau, wie schnell sie fahren müssen, um nicht aufzufallen“, bemerkte David Richards von Aston Martin Racing. Und so entwickelte sich zwischen Ferrari, Porsche und Chevrolet ein harter Dreikampf. Mit dem besseren Ende für Alessandro Pier Guidi, James Calado und Daniel Serra, die den Sieg in der LMGTE Pro mit 49 Sekunden Vorsprung auf den 91er Porsche errangen.
Ferrari änderte verglichen mit dem Vorjahr seine Philosophie. Man setzte auf weniger Anpressdruck. Es war leicht zu erkennen, dass der 488 GTE Evo auf den Geraden flog, in den Bremszonen mit geringerem Abtrieb allerdings litt. Da machte Porsche seine Meter. Chevrolet erzielte die größte Verbesserung bei der Fahrbarkeit. „Letztes Jahr hat sich das Auto sehr viel bewegt. Dieses Mal hat es sich auf der Bremse und beim Einlenken viel besser gesetzt. Das Gefühl war ein ganz anderes“, berichtete Chevrolet-Fahrer Mike Rockenfeller schon nach den Qualifyings.
In der Nacht, bei kühleren Temperaturen, hatte Ferrari gegen den Porsche 911 RSR und die Chevrolet Corvette C7.R Vorteile. Bei höheren Temperaturen nivellierte sich die Geschwindigkeit. Ein Safety Car warf die 63er Corvette in der Nacht beinahe aus dem Rennen. „Da haben wir eine Minute und 48 Sekunden verloren“, ärgerte sich Corvette-Sportchef Doug Fehan. Das zwischenzeitliche Pech schlug in Glück bei den nächsten Gelbphasen um.

Alles deutete auf einen Kampf zwischen Ferrari, Chevrolet und zwei Porsche hin. Dann fielen durch ein Safety Car und einen Unfall von Jan Magnussen alle Würfel auf Ferrari. Es bewahrheitete sich, dass man ein GT-Rennen besser von der Spitze fährt und kontrolliert. Weil einen Safety-Car-Phasen zwar den Vorsprung kosten können, aber nicht das ganze Rennen. Porsche hatte kurz vor dem Unfall von Nyck de Vries (LMP2) gestoppt, was den Abstand zu Ferrari vergrößerte. Dadurch rutschten die beiden bestplatzierten Elfer hinter ein anderes Safety Car. Was die Lücke noch weiter anwachsen ließ.
Magnussen verabschiedete kurz danach die Amerikaner aus dem Rennen um die GT-Krone. „Ich glaube, er hat in den Porsche-Kurven mit der Hinterachse den Randstein erwischt und wurde davon ausgehebelt“, urteilte Rockenfeller. „Wir hatten vor dem Safety Car einen Stopp weniger absolviert, aber 50 Sekunden Vorsprung. Ohne Zwischenfälle hätten wir es womöglich schaffen können.“
Porsche weinte dem 92er RSR nach. In der Nacht riss ein Loch im Auspuffkrümmer das bis dahin führende Auto in der LMGTE Pro aus dem Rennen. „Der Motor war auf einmal lauter und Benzin tropfte auf den Boden“, berichtete Porsches GT-Projektleiter Pascal Zurlinden. Ein Notstopp kostete 20 Minuten. Für Porsche war es besonders bitter. Einhellige Meinung im Team. „Der 92er 911 war das schnellste Auto im Feld.“
Was war mit BMW, Aston Martin und Ford?
BMW lieferte eine traurige Vorstellung bei seinem vorerst letzten Le Mans-Rennen ab. Die beiden M8 GTE konnten die Konkurrenz nur mit dem Fernglas verfolgen. BMW schob es auf die Balance of Performance. Das allein kann nicht die Erklärung sein. Eine Stimme aus dem Fahrerlager: „Mit der BoP kannst du einen Rückstand von drei Zehnteln erklären, aber nicht von zwei Sekunden.“
Nach dem Rennen gaben die Verantwortlichen und Fahrer technische Probleme an beiden Autos zu. „Das Rennen ist enttäuschend für uns verlaufen. Wir wollten uns mit einem guten Ergebnis verabschieden und haben alles versucht, um mit der Spitzengruppe mitzuhalten. Aber die Pace war einfach nicht da. Das technische Problem in der Nacht war deshalb gar nicht mehr entscheidend“, sagte Augusto Farfus. „Die technischen Probleme haben noch einmal zusätzlich Zeit gekostet“, erzählte Martin Tomcyzk. Sicher war es der Motivation von Fahrern und Einsatzmannschaft auch nicht dienlich, weit vor dem zweiten Le Mans-Rennen der Saison den Stecker aus dem GTE-Programm in der Sportwagen-Weltmeisterschaft zu ziehen.
Auch bei Ford und Aston Martin war man nicht glücklich über die Balance of Performance. Aston Martin fühlte sich als Opfer einer letzten Anpassung nach den Qualifyings. Der Turbo-Boost des Vierliter-V8-Biturbo wurde um 0,03 bar reduziert. Das kostet ein paar Pferdestärken. Dazu verringerten die Regelhüter das Tankvolumen von 98 auf 96 Liter. „Durch die geringere Leistung mussten wir mit weniger Flügel im Rennen fahren. Dadurch rutschten wir in den Kurven mehr“, klagte David Richards. Und dadurch erhöhte sich der Reifenverschleiß. In der Nacht verunfallten beide Astons. Einmal durch Fahrerfehler. Einmal bedingt durch einen Reifenschaden.