Rallye-WM Finnland 2015: Latvala gewinnt

Rallye-WM Finnland
Latvala gewinnt schnellste Rallye aller Zeiten

Veröffentlicht am 03.08.2015

"Es waren optimale Bedingungen. Es gibt keine Ausreden", sagte der Verlierer im Ziel. Sébastien Ogier, Weltmeister, Tabellenführer und Sieger von 5 der ersten 7 WM-Läufe steckte seine Niederlage so souverän weg wie sonst seine Siege. In einer aberwitzigen Tempojagd war der erfolgsverwöhnte Franzose auf den breiten finnischen Schotterpisten wie so oft dem gesamten Feld davongeflogen, nur dass dieses Mal einer noch schneller war.

Jari-Matti Latvala, gebeutelt von der vielleicht schlechtesten ersten Saisonhälfte seiner Profi-Karriere, schüttelte den Ballast der vergangenen Monate erstaunlich mühelos ab und sammelte wie schon im Vorjahr vor seinem Heimspiel ungeahnte Kräfte. Anders als im Vorjahr, als der Finne enorm angespannt wirkte, trat ein erstaunlich lockerer Latvala auf die Rallye-Bühne und ließ sich vom sonst so dominanten Teamkollegen nicht den Schneid abkaufen.

Latvala kann Führung verteidigen

Finnland hat bisher den kühlsten und regnerischsten Sommer seit 30 Jahren zu verzeichnen, und so waren die Oberflächen der feinen Pisten schön verbacken und fest, optimal für Ogier, der sich sonst als Tabellenführer meist im Nachteil sieht, weil er für die Kollegen die lose Schotterauflage wegfegen muss. Der Franzose stand im Verdacht, in der Halbzeitpause der WM fleißig Regentänze aufgeführt zu haben, stritt aber alles ab: "Das lasse ich lieber. Wenn ich tanze, kommt womöglich Schlimmeres vom Himmel als Wasser." Womit sich allerdings der Verdacht noch erhärtet. Am Samstagabend ging in Jyväskylä ein Hagelschauer nieder.

Da war die Entscheidung schon gefallen. War Ogier dem Platzhirsch Latvala am Freitag noch mit nur 2,6 Sekunden Rückstand wie ein Schatten gefolgt und hatte gar den 13 Jahre alten Streckenrekord von Harri Rovanperä auf der berühmten Ouninpohja-Prüfung geknackt, zog ihm der Teamkollege am Samstag langsam davon. Nach einem Schauer in Jukojärvi witterte Ogier am Samstagnachmittag noch einmal Morgenluft. Doch mitten im Angriff rumpelte er gegen einen Stein, der eine Felge beschädigte. "Da wusste ich, dass es vorbei war", sagte er im Ziel.

Am finalen Sonntag waren nur noch zwei Prüfungen zu absolvieren, und 13,2 Sekunden Vorsprung vor den beiden Durchgängen der superschnellen Strecke von Myhinpää waren nicht aufzuholen. "Ich wusste, wenn ich keinen Fehler mache, würde es reichen", bekannte Latvala, der mit 13,7 Sekunden Vorsprung zum dritten Mal als Sieger bei seiner Heim-Rallye in Jyväskylä einzog. "Das bedeutet mir viel. Jetzt habe ich mit Juha Kankkunen gleichgezogen", schwärmte der Statistik-Fan aus Suomi.

Konkurrenz eliminiert sich selbst

Mit seinem zweiten Saisonsieg hat Latvala aber anderweitig Geschichte geschrieben. Mit einem Schnitt von 125,44 km/h war die 2015er Ausgabe der Finnland-Rallye der klar schnellste WM-Lauf aller Zeiten. Latvala unterbot die bisherige Bestmarke, die Sébastien Loeb 2012 ebenfalls in Finnland aufgestellt hatte, um 2,55 Kilometer pro Stunde. Die nächsten 6 Rallyes hinter dem neuen Bestwert liegen alle bei rund 122 km/h.

Aber auch Ogier stellte Rekorde auf: Mit dem Sieg beim zweiten Durchgang in Myhenpää sicherte sich der Champion zum siebten Mal in Folge den Sieg bei der abschließenden Powerstage. Die absolvierte er gar mit einem 135er Schnitt. Die regelmäßig eingefahrenen 3 Zusatzpunkte sind einer der Gründe, warum der Titelverteidiger in der Tabelle schon so weit enteilt ist, dass er rein theoretisch bereits beim kommenden WM-Lauf in Deutschland Weltmeister werden könnte. Auch das wäre Rekord: Der schnellste Titelgewinn aller Zeiten.

Hilfreich für den mühelosen Durchmarsch ist für Ogier auch das wechselseitige Straucheln der Konkurrenz. Latvala übernimmt Platz zwei in der Tabelle, weil Andreas Mikkelsen den dritten Werks-Polo schon nach einem halben Tag hochkant in den Wald stellte. Das Auto war auf die Schnelle nicht reparabel, außer einem leicht angekratzten Selbstbewusstsein blieb die Crew unverletzt.

Das Feld sorgte bei der Tempojagd ohnehin für reichlich Kleinholz. Hayden Paddon war wie zuletzt öfters zunächst der schnellste Hyundai-Mann, aber zum 30-jährigen Dienstjubiläum seines Beifahrers John Kennard warf der Neuseeländer sein Auto so heftig in den Wald, dass er Rippenprellungen davontrug. Zum Glück hatte es Landsmann Kennard nicht weit nach Hause. Er ist mit einer Finnin liiert und verbringt den Sommer regelmäßig in der Heimat seiner besseren Hälfte.

Teamkollege Dani Sordo segelte ebenfalls in die Bäume und rollte lustlos zu Platz elf. Thierry Neuville war da schon motivierter. Er klagte über Grip-Probleme an seinem Hyundai i20. Zudem spukte am Freitag ein Problem mit der Benzinversorgung durchs Auto. Die Mechaniker wechselten alles von Zündung bis Einspritzdüsen. Am Ende reichte es zu einem unter diesem Umständen beachtlichen vierten Rang, allerdings mit ernüchternden fast 4 Minuten Rückstand.

Wirklich bei der Musik war im Kampf gegen das überragende VW-Duo nur einer: Kris Meeke hatte beim Test eine für ihn sehr genehme Abstimmung gefunden. Der Citroën-Pilot war der einzige, der das Spitzen-Duo zeitweilig sprengen konnte und dem außer Ogier und Latvala zumindest eine Bestzeit gelang. Doch beim Versuch, trotz einer Zehnsekunden-Zeitstrafe durch einen Stempelfehler von Beifahrer Paul Nagle den Kontakt zur Spitze zu halten, flog der Ire ab und reihte sich am Sonntag auf Platz 17 ein.

Immerhin: Teamkollege Mads Östberg fuhr - wenn auch nicht ganz so schnell - fehlerfrei aufs Treppchen und machte seinen Frieden mit der gefürchteten Ouninpohja-Prüfung mit ihren über 200 Kuppen: "Ich glaube, ich bin verliebt."

Finnen dominieren auch WRC2-Klasse

Etwas lieblos behandelten die Ford-Youngster anfangs ihre Sportgeräte. Wie gut der überarbeitete Fiesta des M-Sport-Teams wirklich ist, ließ sich schon nach dem ersten Morgen nicht mehr feststellen, weil sich Ott Tänak früh einen Stoßdämpfer ruinierte, der an einem langen Tag mit neun Prüfungen ohne Service-Pause mehrere Minuten kostete und nur noch Rang fünf zuließ.

Noch ärger erwischte es Elfyn Evans, der kurz zuvor einen Querlenker amputierte. "Ich habe am größten Fels Finnlands versucht, abzukürzen", verriet der Waliser mit Galgenhumor. Doch ans Aufgeben dachte er längst nicht. Nach einem Winterlehrgang, der M-Sport intern als "Bush-Mechanic" betitelt ist, schiente er die gebrochene Aufhängung mit einem Schraubenschlüssel und zwei Schlauchschellen, die er regelmäßig nachzog. Auf diese Weise rettete er sich trotz schielendem Hinterrad über sage und schreibe 7 Prüfungen, wurde aber nur undankbarer Zwölfter. Unbelohnt blieb mal wieder Robert Kubica. Der frühere Formel-1-Star überwarf sich mit seinem Ford am Samstagabend - zwei Kurven vor dem Ziel der Etappe.

Dankbar war der finnische WM-Lauf für den Finnen Esapekka Lappi. Der WRC2-Sieger von Polen war bei seiner Heim-Rallye in der zweiten Liga unantastbar und fuhr im Skoda Fabia R5 auf dem Weg zum achten Gesamtzrang zeitweilig so schnell wie einige Kollegen in stärkeren World Rally Cars. Der Schwede Pontus Tidemand komplettierte den Triumph der Tschechen als Neunter mit einem Doppelsieg.

Einen späten Dämpfer musste der Citroën-Junior Stéphane Lefebfre hinnehmen. Die von Rekord-Champion Sébastien Loeb und Red Bull geförderte Nachwuchshoffnung Frankreichs war im DS3 RRC zunächst auf einen guten dritten Rang in der WRC2 gefahren, doch die technischen Kommissare zogen ihn wegen eines nicht homologierten Motorsteuergerätes bei der Abschlussuntersuchung aus dem Verkehr.

Den totalen Triumph der Söhne Suomis verhinderte Henri Haapamäki ohne Not. Der in mitteleuropäischen Breiten gänzlich unbekannte Nachwuchsmann gab ein furioses Debüt in der WRC3. In seinem frontgetriebenen Citroën-DS3 R3 war er zunächst wegen technischer Probleme zurückgefallen, holte dann aber auf den führenden Quentin Gilbert mit Riesenschritten auf. Mit rund 22 Sekunden gingen die Junioren in die letzten beiden Prüfungen des Sonntags.

Als der Franzose wegen einer Verspätung zehn Sekunden Zeitstrafe kassierte, witterte Haapamäki seine Chance. Schließlich war er auf dem ersten Durchgang in Myhenpää rund zehn Sekunden schneller gefahren als Gilbert. Bei einer Wiederholung dieses Parforcerittes wäre auch die dritte WM-Liga eine finnische Angelegenheit geworden. Aber Gilbert stemmte sich gegen die Niederlage und verlor im Finale nur zwei Sekunden. Am Ende fehlten Haapamäki fünf Zehntel zum Sieg, weil sich der Nordmann seiner Sache einen Hauch zu sicher war.

In unserer Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal spektakuläre Bilder der Rallye Finnland 2015.