Selten gab es auf dem Papier so viele Siegkandidaten wie bei der ersten Rallye nach der Sommerpause in Jyväskylä. Mit breiter Brust war Ott Tänak angereist. Der 28-Jährige war bis zu seinem späten Reifenschaden schon in Polen dem gesamten Feld um die Ohren gefahren. Die finnischen Strecken sind für den Mann aus Saaremaa wie ein Heimspiel, und sein Sponsor, der kleine, aber aufstrebende Reifenhersteller DMack hatte extra für die beiden Highspeed-Festivals einen neuen Schottergummi für ihn gebacken.
Nicht vernachlässigen durfte man die beiden Werks-Hyundais. Der neue i20 ist dem zuvor überlegenen Polo auf die Pelle gerückt. Junior Hayden Paddon und Thierry Neuville bewiesen schon in der Vergangenheit, dass ihnen der Tiefflug durch finnische Fichtenforste liegt.
Den Weltmeister durfte man natürlich auch nicht aus dem Auge lassen. Sébastien Ogier hat mit seinem Sieg 2013 bewiesen, dass er sich vor den Großschanzen mit Absprunggeschwindigkeiten von 170 Sachen nicht bange macht. Würde es rechtzeitig regnen und den Schotter ordentlich zusammenbacken, könnte seine Stunde schlagen.
Ogier im Pech und ohne Punkte
Aber am Ende führen alle Wege rund um Jyväskylä über den Lokalhelden. Mag sein, dass Jari-Matti Latvala seine Saison schon im Januar in einem Graben in Südfrankreich vergeigt hat, mag sein, dass er mal wieder in einem Geflecht aus Pech, Selbstzweifeln und fehlender Konstanz gefangen war. Finnland ist Finnland. Latvala gewann hier in den letzten beiden Jahren, mit einem insgesamt vierten Finnland-Sieg könnte er mit Legende Tommi Mäkinen gleichziehen.
Am Ende kam es aber anders: Ogier blieb in einer eigentlich völlig belanglosen Rechtskurve hängen und steckte ohne jeden Kratzer am Polo für rund 16 Minuten in einem Graben fest. „Ich glaube, das war die langsamste Kurve der ganzen Rallye“, stöhnte der Tabellenführer, sah darin aber auch das Gute: „Besser als im sechsten Gang in den Wald zu fliegen.“ Am zweiten Morgen vermeldete Ogier plötzlich eine undichte Bremsleitung, deren eigenhändige Reparatur ihn weiter zurückwarf. Als 24. schaffte er es erstmals in dieser Saison nicht unter die Top Ten und blieb komplett ohne Punkte.
Das Mikkelsen-Lager wähnte eine taktische Finte. Nach der Auftaktprüfung am Samstag hatte Ogier noch behauptet, er fahre im „Cruising-Mode“. Sein Missgeschick hatte den praktischen Nebeneffekt, dass plötzlich Verfolger Mikkelsen auf der zweiten Etappe ganz vorn die Straße putzen musste, der im hart umkämpften Verfolgerfeld prompt auf Platz sieben zurückfiel und am Ende statt möglichen 15 Punkten für einen dritten Rang nur 6 Zähler kassierte.
Große Probleme bei Ford
Geheimfavorit Tänak hatte schon wieder Pech. Schon am ersten Morgen brach beim Anbremsen einer Kurve eine Stoßdämpferaufnahme. Der Ford-Mann rettete sich mit knapp einer Minute Zeitverlust zum Service und gab kleinlaut zu, ein mächtiger Satz bei seiner Bestzeit in Jukojärvi könnte die Aufhängung möglicherweise schon angeknackst haben.
Ein Fotograf berichtete staunend: „Der war so hoch, dass er mir fast aus dem Sucher geflogen ist.“ Bei der Aufholjagd wurde der Este von einem Plattfuß zurückgeworfen. Das Treppchen wäre bei seinem Sturmlauf noch drin gewesen, wenn da nicht dieser Unfall am Sonntag gewesen wäre.
Bei M-Sport gibt es reichlich aufzuarbeiten. Yazeed al Rajhis Fiesta rodelte Freitag auf dem Dach die Piste entlang, Lorenzo Bertelli flog in Ouninpohja so heftig von der Straße, dass die Prüfung abgebrochen und Beifahrer Simone Scattolin wie schon in Polen zur Beobachtung ins Krankenhaus musste. Völlig zerstört war auch der Ford von Malcolm Wilsons Nachwuchshoffnung Eric Camilli. Beide Insassen blieben unverletzt. Wieder einmal musste Mads Östberg die Kohlen aus dem Feuer holen. Der Norweger wurde Sechster.
Von den Problemen der Konkurrenz hätte Hyundai profitieren können, aber dort schuf man sich seine eigenen. Beide Fahrer klagten über zu wenig Grip und haderten mit Abstimmung und Konstruktion ihres Autos. Der Teamchef dagegen haderte mit seinen Piloten: „Wir haben die Rallye schon beim Test vergeigt“, knurrte Michel Nandan. „Die Fahrer wollen immer ein besonders agiles Auto, wählen eine harte Abstimmung und sind dann überrascht, wenn es bei der Rallye rutschig ist und die Traktion fehlt.“
Während der für den verletzten Stammfahrer Dani Sordo eingesprungene Kevin Abbring mangels Erfahrung das Tempo der Spitze nicht mitgehen konnte, lieferten sich Neuville und Paddon über 3 Tage ein beinhartes Duell im Sekundenabstand, das der Belgier mit einem Sieg in der finalen Powerstage um 2,3 Sekunden für sich entschied.
Die Stunde der Iren
Der Mann der Rallye aber hieß Kris Meeke. Der Nordire in Citroën-Diensten testet pausenlos das neue, deutlich stärkere Auto für 2017 und steht voll im Saft. Er hat mit einem Dreijahresvertrag bei den Franzosen erstmals keinerlei Existenzängste. Er hätte seinen DS3 sogar folgenlos verschrotten können. Sein Arbeitgeber ist in der Marken-WM nicht eingeschrieben, und die jetzige WRC-Generation hat ohnehin Ende des Jahres ausgedient.
Er profitierte als sporadischer WM-Gast mit nur 26 Pünktchen in der Tasche von Startplatz 8 und nutzte die guten Voraussetzungen, um dem Feld davonzufahren. Meeke fuhr 8 Bestzeiten, und ging dank Latvalas frühem Fehler nach der ersten Etappe mit für finnische Verhältnisse kommoden 18 Sekunden Vorsprung schlafen.
Als er den angreifenden Latvala am nächsten Morgen auf den legendären 33 Kilometern von Ouninpohja mit unfassbaren 14 Sekunden abwatschte, war die Rallye entschieden, und der Nordire befand: „Der beste Tag meines Lebens.“ Schon zur Halbzeit konnte er den Vorsprung verwalten. Latvala musste wichtige Punkte für die Marken-Wertung sichern, konnte nicht bedingungslos angreifen und wurde Zweiter.
Der 37-jährige Kris Meeke feierte so seinen dritten WM-Erfolg, der ein historischer war. Sein Vorbild und Förderer Colin McRae durfte in Suomi allenfalls ein paar Mal am Sieg schnuppern, Landsmann Richard Burns war 5 Mal nahe dran, schaffte es aber nie. Nach dem Schotten und dem Engländer richtete es also nun der Ire. Meeke ist der erste Brite und erst der sechste Nicht-Finne, der den finnischen WM-Lauf gewann.
Für die wahre Überraschung sorgte ein weiterer Mann von der grünen Insel. Craig Breen aus der Republik Irland schaffte es über den zweiten Bildungsweg der Europameisterschaft ins Citroën-Werksteam. Der 26-jährige war schon in Polen schnell und fuhr in Finnland nervenstark trotz Druck von Neuville bei seiner erst sechsten WM-Rallye in einem World Rally Car auf Rang 3.
Breen brach auf dem Zielstrich in Tränen aus und empfiehlt sich für eines der noch zwei vakanten Citroën-Cockpits 2017. „Eine starke Leistung, wenn man bedenkt, dass er beim Testen noch von der Straße gesegelt ist“, sagte Sportchef Yves Matton. Der Belgier räumte allerdings ein, dass der Triumph seines Teams auch den günstigen Startplätzen geschuldet war.
FIA plant Regeländerung
Derartige Rosinenpickerei wird es künftig nicht mehr geben. Die FIA kündigt an, sporadisch startende Werksteams künftig ganz vorn im Feld einzusortieren, was weniger Kehrdienst für Ogier bedeuten würde. Dessen Dauerlamento zeigt ebenfalls Wirkung. Noch ist nichts beschlossen, aber vermutlich wird er 2017 wie früher nur einen Tag ganz vorn fahren müssen – mit dem Segen der Konkurrenz: „Ich bin es leid, nach einem Sieg ständig gefragt zu werden, ob wir den Erfolg überhaupt verdient haben“, knurrt Citroën-Sportchef Yves Matton.
Schon zwei Wochen vor der Rallye hatte sein VW-Kollege Jost Capito öffentlich verkündet, dass Meeke Finnland mit Leichtigkeit erobern würde. Der ätzte zurück: „Auf welchem Planeten lebt der denn?“ Er bat Capito sarkastisch um einen weiteren Blick in die Kristallkugel: „Dann kannst du ja auch schon nachgucken, ob ich 2017 Weltmeister werde.“ Der demnächst zu McLaren abwandernde VW-Sportchef konterte: „Eher gewinnt McLaren-Honda nächstes Jahr die Formel 1.“
In der Galerie zeigen wir einige Highlights der Rallye Finnland 2016.