Der Geister-Porsche für die 24h von Le Mans

Die traurige Geschichte des Le-Mans-Renners
Der Geister-Porsche für Le Mans

Veröffentlicht am 16.02.2025

In der 101-jährigen Geschichte von Le Mans gab es viele schöne und spektakuläre Rennautos, die das größte Rennen der Welt nie gewonnen haben. Der Toyota GT One steht ganz oben auf dieser tragischen Liste. Aber reicht das schon für einen Ikonenstatus? Die gängige Regel dürfte eher so lauten: Nur die schönen und spektakulären Rennautos, die mit Speed und Haltbarkeit in Le Mans zum Erfolg fuhren, gehören in den Olymp der echten ikonischen Rennklassiker.

Bestätigen Ausnahmen diese Regel? Vorhang auf für den Porsche LMP2000, der zwar nie ein Rennen fuhr, aber dennoch Ikonenstatus hat. Vor allem deshalb, weil ihn die Welt lange gar nicht zu Gesicht bekam. Am 2. und 3. November 1999 fuhr der LMP2000 einen Rollout in Weissach – als Vorbereitung auf die geplante Porsche-Rückkehr nach Le Mans im Juni 2000. Nur 78 Kilometer absolvierten die Testfahrer Bob Wollek und Allan McNish. Der Himmel trug damals tiefgrauen Trauerflor. Und nur die Insider wussten, im Gegensatz zu den Testpiloten, dass das Schicksal dieses besonderen Rennautos bereits besiegelt war.

"Wir hatten die Erlaubnis vom Porsche-Vorstand, den LMP2000 einem Funktionstest in Weissach zu unterziehen, aber ich wusste, dass es nie zu einem Renneinsatz kommen würde", erzählt der damalige Projektleiter Norbert Singer, der an 16 von 19 Porsche-Siegen in Le Mans beteiligt war.

Der heute 85-Jährige blickt mit einer Mischung aus Wehmut und Begeisterung auf "seinen" LMP2000. Hier und heute, am 17. Oktober 2024, strahlt die Sonne in Weissach, als wolle sie Wiedergutmachung für die alte Schmach leisten.

Porsche LMP 2000 - 24 Stunden Le Mans - 2000
Porsche

Porsche zeigt den LMP2000 in Weissach

Die Porsche-Heritage- und -Museums-Abteilung hat die geheime und ominöse Wunderwaffe für Le Mans flottgemacht, um an das 25-jährige Jubiläum des Rollouts zu erinnern. Es ist ein besonderer Tag für viele ehemalige und aktive Porschianer. Neben "Mister Le Mans" Norbert Singer ist der damalige Porsche-Sportchef Herbert Ampferer vor Ort, dazu ehemalige Teammitglieder wie Armin Burger, der heute die historische Porsche-Rennwagenflotte betreut und schon 1999 beim Rollout als Mechaniker dabei war.

Oder Allan McNish, der im November 1999 zusammen mit Bob Wollek die Ehre hatte, die ersten Testrunden mit dem LMP2000 zu drehen. "Ich wusste damals nicht, dass das Projekt schon vor dem ersten Test wieder tot war", erinnert sich der Schotte, der vor 25 Jahren auch einen detaillierten Testreport an seine Vorgesetzten bei Porsche schickte – so als gäbe es noch was zu tun bis zum Le-Mans-Rennen 2000.

Der Mann aus Dumfries lobte damals den aerodynamischen Grip des Chassis, monierte aber auch die harte Unnachgiebigkeit über Bodenwellen, die hohe Leerlaufdrehzahl des V10 und ein ausgeprägtes Leistungsloch zwischen 6000 und 7000/min. Zitat: "Der Leistungspeak liegt in einem zu hohen Drehzahlbereich, und wir haben zu wenig Drehmoment in der Mitte."

Porsche LMP 2000 - 24 Stunden Le Mans - 2000
Porsche

Getriebe als Achillesferse

Das größte Problem beim ursprünglichen Rollout 1999 war das Getriebe: Immer wieder gab es Ärger beim Runterschalten mit dem Paddle-Shift-System, mehrfach wurde die Kupplung entlüftet und dann noch das Getriebe getauscht. Natürlich waren das Kinderkrankheiten, die aber auch 25 Jahre später bei der Instandsetzung noch für Probleme sorgten.

"Das Getriebe wieder funktionstüchtig zu machen, war eine der größten Aufgaben in den vergangenen Monaten", gibt Armin Burger zu, der heute die 160 historischen Rennsport-Preziosen des Porsche Museums betreut. Witzige Randnotiz: Ein Steuergerät aus der Formel E überträgt heute das Schaltsignal von der Schaltwippe an das Getriebe, um die Kupplungsbetätigung beim Revival-Rollout auszulösen.

Das abrupte Ende des Le-Mans-Projektes, das am 22. November 1999 in einer dürren Pressemitteilung publik gemacht wurde, verhinderte natürlich jedes Feintuning. Über zwei Jahrzehnte lagerte der LMP2000 unter einem cremefarbenen Tuch im sogenannten Porsche-Archiv. Als Porsche 2014 mit dem 919 Hybrid nach Le Mans zurückkehrte, wurden zwar ein paar schemenhafte Snapshots geleakt, doch am Ende fristete der LMP2000 bis zum Revival-Rollout ein trauriges Schattendasein.

Porsche LMP 2000 - 24 Stunden Le Mans - 2000
Porsche

Und was bringt der 17. Sieg?

Geplant war das alles so nicht. Gleich nach dem fulminanten Doppelsieg mit dem Porsche 911 GT1 im Jahr 1998 musste der damalige Sportchef Herbert Ampferer bei Vorstandschef Wendelin Wiedeking antanzen. Ampferer verwies darauf, dass der GT1-Pfad in Le Mans wohl tot sei, man müsse ein LMP900-Auto bauen, das sei die Zukunft.

Auf die Frage von Wiedeking, was ein 17. Sieg in Le Mans bringen würde, antwortete Ampferer wahrheitsgemäß: "Nicht viel." Doch Le Mans gehört zur DNA der Marke Porsche, und der Fokus auf das neue LMP900-Reglement lieferte auch Denkanstöße für technische Innovationen.

Also dann doch. Chefingenieur Singer erinnert sich an die Konzeptphase, die im Oktober 1998 anlief: "Die Entscheidung zwischen Prototyp und GT hing an der Reifenbreite: Die Prototypen durften breitere Pneus fahren und schafften Triple- statt Doppel-Stints – damit war der Prototypenansatz für alle Hersteller alternativlos."

Auch beim Motor musste Porsche neue Wege gehen: Der alte 3,2-Liter-Boxer-Biturbo aus dem 911 GT1-98 war weder bei der Leistung noch beim Verbrauch der Maßstab. "Wir verglichen auf Motorprüfständen den alten Boxer mit Saugmotoralternativen, dabei stellte sich heraus, dass der Sauger beim spezifischen Verbrauch in Le Mans einen Vorteil von bis zu 0,5 Litern pro Runde hatte", so Singer. Dazu waren das Ansprechverhalten und die Dosierbarkeit beim Sauger deutlich besser als beim Biturbo.

Porsche LMP 2000 - 24 Stunden Le Mans - 2000
Porsche

V10-Motor im Porsche LMP2000

Außerdem sparte das Saugmotorkonzept wegen der fehlenden Ladeluftkühlung und des geringeren Kühlbedarfs 40 Kilogramm im Vergleich zum Biturbo. "So konnten wir das Auto untergewichtig auslegen, wir reden in Summe von 80 Kilo", so Singer. "Denn hätten wir den Sechszylinder verwendet, hätte man hinten noch einen Hilfsrahmen benötigt, weil der Boxer die Kräfte vom Fahrwerk nicht aufnehmen kann." In der Tat unterbot der LMP2000 mit 822 Kilogramm das bereits im Namen enthaltene Mindestgewicht der neuen LMP900-Klasse.

Nur einen Monat nach dem Konzeptstart switchte das Projektteam also auf den V10-Saugmotor um, wobei man Erfahrungen nutzte, die bei der Entwick- lung des Footwork-F1-Motors 1991 gesammelt wurden. Der leitende Motoringenieur für das Formel-1-Triebwerk war mittlerweile Porsche-Sportchef – und hieß Herbert Ampferer.

Natürlich war die Applikation des F1-V10 mit 3,5 Litern Hubraum für den LMP2000 keine direkte Übernahme, sondern eher eine konzeptionelle Inspiration. Durch eine Huberhöhung landete das LMP-Triebwerk letztlich bei 5492 ccm, die angepeilte Maximaldrehzahl lag im Bereich von 9000/min, was auch die Verwendung des für die Formel 1 geplanten pneumatischen Ventiltriebs überflüssig machte. Leistungstechnisch erzielte man somitround about 620 PS.

Mit diesen Grundsatzentscheidungen war Porsche auf der richtigen Fährte, wie die Geschichte später zeigen sollte: "Mit den breiteren Reifen konnte man länger fahren und Boxenstopps sparen, dank des Saugmotors konnte man ein untergewichtiges Auto bauen und hatte Spielraum bei der Ballastverteilung, dazu kam ein kleiner Verbrauchsvorteil", rekapituliert Norbert Singer. Laut seinen Berechnungen wäre der Porsche LMP2000 in Le Mans auf Rundenzeiten von 3.33 Minuten gekommen – also etwa zwei Sekunden schneller als der Toyota GT One beim 24h-Rennen 1999.

Porsche LMP 2000 - 24 Stunden Le Mans - 2000
Porsche

Abtrieb hilft, auch in Le Mans

Die Fragestellung, ob man auf ein offenes oder geschlossenes Auto setzt, hat sich für Singer nie wirklich gestellt: "Wir hatten mal einen Porsche GT1 ohne Dach und Windschutzscheibe im Windkanal, der hatte sofort zehn Prozent mehr Abtrieb", sagt Singer. "Wenn das Reglement die Wahl lässt, war zu meiner Zeit immer klar: lieber ein offenes Auto, wegen des Abtriebs. Dazu kamen praktische Gründe wie der Ein- und Ausstieg beim Fahrerwechsel, die Türschließproblematik oder die Themen Scheibenwischer und Cockpitbelüftung. Für mich als Ingenieur war der Abtrieb immer eine sehr wichtige Größe, auch in Le Mans – trotz der langen Geraden! Abtrieb hilft beim Bremsen, in den Porsche-Kurven und beim Säubern der Reifen von Pick-up, was in Le Mans wichtig ist."

Norbert Singer blieb auch beim LMP2000 seinen etablierten Grundsätzen aus der Gruppe-C-Ära treu: "Wie beim 956 verwendeten wir unten am Bug wieder ein Flügelprofil, mit der sogenannten Singer-Delle dahinter. Das brachte im Vergleich zu konventionellen Unterboden-Layouts auf einen Schlag 25 Prozent mehr Abtrieb, aber auch 15 Prozent mehr Luftwiderstand", erklärt Singer. "Mit viel Tüftelei haben wir den Luftwiderstand dann aber wieder runterbekommen."

Auf der Fahrwerksseite folgten die Porsche-Ingenieure 1998/99 den gültigen Trends: Doppelte Querlenker an Vorder- und Hinterachse waren Standard, hinten mit Pushrods und horizontal gelagerter Dämpfer-Feder-Einheit, die vorne allerdings zum ersten Mal vertikal montiert waren, was mehr Spielraum bei der Aerodynamik brachte.

Das von den Porsche-Ingenieuren designte Carbonchassis wurde wie auch der Carbon-Bodykit vom britischen Spezialisten Lola Composites zugeliefert. Der Heckdiffusor stieg ab der Hinterachse in einem Winkel von neun Grad an, und zu Anfang erstreckte er sich dabei über die volle Breite. Erst im weiteren Verlauf der Entwicklung wurde er schmaler, um ihn besser gegen die Luftturbulenzen von den Hinterrädern abzuschirmen.

Audi R8 - Le Mans 2001
Motorsport Images

Hätte Porsche Audi geschlagen?

Zieht man eine Art technischen Schlussstrich unter das Konzept des Porsche LMP2000, dann stellt sich natürlich vor allem diese Frage: Wie hätte das Auto performt, wenn es Rennen gefahren wäre? Wir erinnern uns: Nach dem schnellen Ende des Cadillac-Northstar-Programms war Audi bis 2005 gewissermaßen der Alleinunterhalter der LMP900-Klasse und in Le Mans – wenn wir den Bentley Speed 8 fälschlicherweise mal als "Schwestermodell" ignorieren.

Norbert Singer ist – natürlich – fest davon überzeugt, dass Porsche dem Novizen Audi die Stirn hätte bieten können. "Audi wollte natürlich unbedingt so schnell wie möglich in Le Mans siegen, also haben sie konsequenterweise erst mal einen Prototypen-Panzer gebaut. Der LMP2000 war vom Ansatz her radikaler, stärker an der Kante des Regelwerks. Ich bin sicher, dass unser Auto am Anfang schneller gewesen wäre. Das ist aber in der Rückschau trotzdem schwer zu beurteilen, denn Audi hat ja im weiteren Verlauf über die Einführung der aufwendigen TFSI-Direkteinspritzung beim Verbrauch noch mal eine gehörige Schippe draufgelegt. Daher muss die Frage, wie das Duell gegen Audi am Ende ausgegangen wäre, ungeklärt bleiben."

Die VW-interne Frontstellung zwischen Audi und Porsche wurde anno 1999 auch dafür verantwortlich gemacht, dass das Porsche-LMP2000-Projekt gestoppt worden sei. "Eine Theorie sagte, dass Ferdinand Piëch ein direktes Duell der beiden Konzernmarken unterbinden wollte", so Singer. "Aber wir haben dann ja fast 15 Jahre später gesehen, dass Piëch genau diesen Wettbewerb in der LMP1-Hybrid-Ära sogar forciert hat."

Der legendäre Porsche-Chefingenieur will angeblich erst Jahre später vom wahren Grund erfahren haben, nämlich dass Porsche das Geld lieber für die Entwicklung des Cayenne-SUV einsetzen wollte – statt für einen 17. Sieg in Le Mans.

Aber eigentlich stand das indirekt auch schon in der Pressemitteilung vom 22. November 1999: "Die Konzentration aller Ressourcen auf neue Serienprojekte macht es jedoch notwendig, dass die Arbeiten für eine Teilnahme am Rennen in Le Mans zum 1. Dezember 1999 eingestellt werden."

Porsche Carrera GT (2005)
Mike Maez/Gooding & Company

LMP2000-Epilog: Carrera GT

Die LMP2000-Ingenieure, darunter auch der heutige Sportchef Thomas Laudenbach, wurden vom Porsche-Vorstand damit betraut, einen neuen Straßen-Supersportwagen auf Basis der LMP2000-Erfahrungen zu entwickeln – mit V10-Motor. "Wendelin Wiedeking sagte zuerst, das solle kein Auto für die Rennstrecke werden – denn vor ihm standen ja lauter Renningenieure", schmunzelt Singer. "Ich sollte die Aero machen, aber das Designstudio war schon fertig, damit war eigentlich alles fixiert. Ich durfte nur noch den Unterboden entwickeln, denn der Carrera GT sollte auf der Rennstrecke dann trotzdem auf jeden Fall den Ferrari Enzo schlagen."

Und was braucht man dafür? Viel Abtrieb. Und wer hatte da bei Porsche die meiste Ahnung? Norbert Singer. "Also sagte Wiedeking: 'Singer, das machen Sie, weil Sie das aus Le Mans kennen'."