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Mercedes-AMG GT3
Wir sind beim Bau des Boliden dabei

Ein Mercedes-AMG GT wirkt zu fad? Na was ein Glück, es gibt ja noch den GT3 – ein 442.680 Euro teures Renngerät. auto motor und sport darf beim Bau des 550 PS starken Sternenkriegers im Weg herumstehen und niedere Tätigkeiten ausführen.

Mercedes-AMG GT3, Werkstatt, Reportage, Hersteller
Foto: Dino Eisele

Oh ja, da hat er aber so was von recht, der Herr Axl Rose. "Take me down to the Paradise City", quäkt er gerade mit seiner hohen, gepressten Stimme durch die Halle, "where the Grass is green and the Girls are pretty." Na gut, das haut nicht ganz hin, denn erstens ist Winter; und hübsche Mädels sind insofern nicht in Sicht, als dass hier heute gar keine Mädels arbeiten – an keiner der sechs Stationen, an denen der Mercedes-AMG GT3 entsteht.

Alle Bühnen sind belegt, die Auftragsbücher voll. In Anbetracht des Grundpreises von 442.680 Euro keine Selbstverständlichkeit, doch da der Vorgänger SLS GT3 regelmäßig die Pokalvitrinen der Kunden auffüllte, erwartet die Szene vom neuen Modell eine ähnliche, wenn nicht gar noch klarere Dominanz. "Schon bei der Entwicklung des Vorgängers hatte es Priorität, dass das Fahrzeug von Amateuren leicht zu beherrschen ist. Schließlich sind sie in den zahlreichen Pro-Am-Serien mit ausschlaggebend für den Erfolg", sagt Thomas Jäger, Profi-Rennfahrer und maßgeblich an der Entwicklung beteiligt.

Heute nur kuscheln

Für Amateure leicht beherrschbar? Ein – je nach Balance-of-Performance-Einstufung – auf ca. 1,3 Tonnen gewichtsreduziertes, rund 550 PS starkes Monster? Gegen "einfach nur kuscheln" spricht allein dessen wüste Optik. Und wer den Mercedes-AMG GT3 mit tiefem, donnerndem V8-Stakkato schon mal an der Boxenmauer vorbeibrüllen hörte, erwartet, dass der Asphalt dahinter in Fetzen liegt.

Das ändert aber nichts daran, dass der SLS im GT3-Sport als das am leichtesten zu fahrende und wartungsfreundlichste Fahrzeug gilt. "Genau deshalb setzen wir auch beim neuen Mercedes-AMG GT3 wieder den bewährten 6,2-Liter-Sauger ein. Zum einen konnten wir so die Intervalle zwischen den Motorrevisionen von 14.000 auf 20.500 Kilometer erhöhen. Und zum anderen sind wir der Meinung, dass derzeit ein Sauger aufgrund der linearen Leistungsentfaltung für Amateure angenehmer zu fahren ist", erklärt Jäger. Ach ja, eine Motorrevision kostet mal eben 30.000 Euro.

Ein Sauger im Mercedes-AMG GT3

Zur Erinnerung: Beim Serien-GT bejubelt AMG – durchaus zu Recht – das neue Vierliter-Biturbo-Aggregat, auch aufgrund seiner Effizienz. Im Rennsport wiederum ergäbe sich kein Verbrauchsvorteil, da die im Alltagsbetrieb häufigen Teillastfahrten entfallen. Jäger prognostiziert aber zugleich schon das Ende des Saugmotors im Rennwagen: "AMG besitzt dafür schließlich keinen unendlich großen Vorrat an Teilen."

Aktuell sind jedenfalls noch genug da. Pro Monat können acht Mercedes-AMG GT3 fertiggestellt werden, bis einschließlich August ist die Produktion ausgelastet. Übrigens: HWA baut die Rennwagen, dient zugleich als Entwicklungspartner für das GT3-Projekt. Wer hinter HWA steckt? Unter anderem Hans Werner Aufrecht, Gründer der heutigen Mercedes-Tochter AMG.

Axl Rose knödelt derweil noch immer aus dem kleinen Radio an Station sechs, der Endkontrolle, Gitarrist Slash wringt dazu seine Gibson Les Paul aus. "Take me down …" – to the Rohbau. Wie beim Serienfahrzeug auch, kommt die Rohkarosse des Mercedes-AMG GT3 vom Zulieferer Thyssen aus Weinsberg, ein wenig modifiziert natürlich. So fehlen beispielsweise die hinteren Seitenteile; die Aufnahmen für den Käfig und die hydraulische Hebeanlage sind integriert und die vorderen Schweller gekürzt, um Platz für die großen Räder zu schaffen. "Dennoch müssen wir der FIA nachweisen können, dass bei einem Unfall das Vorderrad nicht in die Fahrgastzelle des Mercedes-AMG GT3 eindringen kann", sagt Jäger.

Schnell? Mit Sicherheit

Überhaupt nimmt die Sicherheit des Fahrers im Mercedes-AMG GT3 einen hohen Stellenwert ein. So lässt sich der Fahrer beispielsweise in einer Kohlefaser-Sitzkiste festzurren. Im Gegensatz zu einem Schalensitz mit dem üblichen Gestell sind hier Sitzfläche und Lehne direkt mit der Karosserie verschraubt. Die optimale Position findet sich über die verstellbare Pedalerie. Rennfahrer Jäger versucht sich in Diplomatie: "Da beim Mercedes-AMG GT3 die A-Säulen-Rohre des Käfigs anders verlaufen und bereits die Basis über mehr Innenhöhe als der SLS verfügt, finden nun auch weniger athletisch gebaute Fahrer ausreichend Platz." Als ob Hammerwerfer keine Athleten wären … Egal.

An der ersten Station verlegen die Mechaniker unter anderem den Kabelbaum und sonstige Leitungen im Mercedes-AMG GT3, an der zweiten Station findet der Antriebsstrang sein künftiges Zuhause. Statt des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes aus dem Serienmodell übernimmt ein sequenzielles Sechsganggetriebe des britischen Spezialisten Hewland die Kraftübertragung. "Wir machen jedes Getriebe auf und kontrollieren die Bauteile", betont Michael Frank, Manager Workshop GT3 bei HWA. Generell liegt der Anteil an Handarbeit sehr hoch. "Selbst die Querlenker fertigen wir selbst, und der Motor wird nach dem bekannten One-Man-one-Engine-Prinzip bei AMG hergestellt", ergänzt Frank ein bisschen stolz, na klar.

Kotflügel aus dem Backofen

An der dritten Station erhält der Mercedes-AMG GT3 unter anderem Vorbau, Kühlung und Scheiben, an Station vier folgen Fahrwerk und die hintere Seitenwand mit den wuchernden Kotflügeln – in einem Stück aus CFK gebacken.

Irgendjemand drückt mir einen Radträger in die Hand: "Halt mal, wenn du schon hier bist." Auch dieses Bauteil besteht großteils aus teurem Carbon. Ein paar Schrauben später ist der Träger fest mit der Aufhängung verbunden. Als Nächstes folgt der Rest der Karosserie, ich soll helfen, den riesigen Heckflügel am Mercedes-AMG GT3 zu positionieren. Kein Problem, denn obwohl sein Format in etwa dem einer Seitenwand des Pax-Kleiderschranks von Ikea entspricht, wiegt er nur gut halb so viel.

Um genügend Abtrieb mussten sich die Ingenieure jedoch schon beim SLS nicht sorgen. Vielmehr litt das Einlenkverhalten etwas unter der gutmütigen Abstimmung des Mercedes-AMG GT3. "Jetzt helfen uns der um fünf Zentimeter kürzere Radstand und das um 50 Kilogramm geringere Gewicht", erklärt Jäger. Nun sei der Mercedes-AMG GT3 besser platzierbar, was beispielsweise in einem vollen Starterfeld hilft, Lücken zu nutzen. Und für gewöhnlich herrscht bei den Rennen viel Rummel, denn seit Einführung der GT3-Serie im Jahr 2006 steht die Motorsportwelt Kopf.

Bei vergleichsweise geringen Kosten pro Rennkilometer, dennoch hohem Speed und offensichtlicher Nähe zu bekannten Serien-Sportwagen sprang nicht nur die avisierte Privatklientel auf den Mercedes-AMG GT3-Zug auf, sondern auch die Hersteller selbst. Sie machen sich zunutze, dass für GT3-Fahrzeuge kein schriftlich fixiertes Reglement existiert. Stattdessen skizziert die Sportbehörde FIA sogenannte Performance-Fenster und gleicht die Fahrzeuge unter anderem durch Zusatzgewicht und Luftmassenbegrenzer an. Dennoch entwickeln die Hersteller munter weiter, bringen neue Evolutionsstufen, treiben so die Kosten nach oben.

Ungebrochen hohe Nachfrage

Die Folge: Aktuell droht von unten Konkurrenz durch die günstigere GT4-Klasse. Doch Jäger ist zuversichtlich: "Momentan ist die Nachfrage ungebrochen, zumal nicht nur wir darauf achten, die Kosten im Rahmen zu halten – zum Beispiel durch die eingangs erwähnten verlängerten Revisionsintervalle." Und immer wieder: die einfache Nutzbarkeit für Amateure. So fällt der Einstieg durch die tiefer ausgeschnittenen Türen jetzt leichter. "Dafür müssen die Mechaniker da eben drumherum laufen. Beim Flügeltürer war das nicht der Fall", bemerkt Jäger, grinst. Zudem habe man die Bedienung im Mercedes-AMG GT3 vereinfacht, verwendet große Tasten und Drehschalter, blendet im Zentraldisplay den jeweils neu eingestellten Wert für einige Sekunden groß ein. Selbst die Kulturkonstante aus dem Hause Mercedes-Benz, den Multifunktions-Lenkstockhebel, findet der Rennfahrer im Cockpit wieder.

Kann denn wirklich jeder diesen Apparat kaufen? Gibt’s da nicht so etwas wie eine Eignungsprüfung? "Nein. Wer möchte, kann ein GT3-Fahrertraining bei uns absolvieren. Aber es gibt auch Sammler, die sich einen Rennwagen in ihre Garage stellen. Und solche, die einen Profifahrer engagieren, damit er sie mit ihrem Auto über die Rennstrecke chauffiert", berichtet Jäger. Die leben vermutlich in Paradise City.

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