Las Vegas Indy-Crash von Dan Wheldon: Unfallanalyse eines Horror-Crashs

Las Vegas Indy-Crash von Dan Wheldon
Unfallanalyse eines Horror-Crashs

Veröffentlicht am 08.11.2011

Man kennt das von Flugzeugabstürzen. Selten ist es nur ein Problem, das zur Katastrophe führt, sondern eine Verkettung vieler kleiner Unglücksfaktoren. So kam es auch zum Tod von Dan Wheldon beim IndyCar-Saisonfinale auf dem Las Vegas Motor Speedway. Der 33-jährige Engländer trifft auf seinem Sturzflug, der am linken Hinterrad von Charlie Kimballs Dallara beginnt, auch noch die Autos von Ernesto Viso und Pippa Mann. Erst die letzte Kollision gibt Wheldons Chassis den letzten Drall Richtung Schutzzaun.

Dort verhakt sich der Überrollbügel in dem Maschengeflecht, was zu einer derart abrupten Verzögerung führte, dass Wheldon tödliche Hirnverletzungen davontrug. Dass der Bügel abbricht, ist für den Ausgang wahrscheinlich nicht von Belang. Wer das Chaos aus 15 außer Kontrolle geratenen Autos, herumfliegenden Trümmern und Sekundenfeuern sieht, der tut sich schwer herauszulesen, was wann passiert.

Selbst Veteran Paul Tracy verlor inmitten des Infernos den Überblick. Der Kanadier war überzeugt, dass Wheldon an seinem Auto aufgestiegen war. Tatsächlich kam er mit dem Unglückspiloten nie in Berührung. Tracy schickte die Startnummer 30 von Pippa Mann Richtung Himmel.

Die TV-Kamera fährt im Cockpit von Wheldon mit, als in der elften Runde das Unglück seinen Lauf nimmt. Weil er in diesem Jahr nicht regelmäßig an der Serie teilnimmt, winkt ihm als Einzigem ein Extra-Preisgeld von 2,5 Millionen Dollar. Dafür muss der zweifache Familienvater aus der letzten Reihe starten. Dass die Prämie dem Gaststarter den Blick getrübt hat, ist unwahrscheinlich. Der zweifache Indy 500-Sieger ist ein Ovalspezialist.

Eher schon muss man die Frage stellen, ob es sinnvoll war, 34 Autos auf einem Oval mit nur 2.414 Meter Länge starten zu lassen. Als Wheldon mit Tempo 350 die erste Kurve anvisiert, liegt er bereits auf Platz 25. Sieben Sekunden vor ihm kündigt eine Rauchwolke Unheil an. Dort nimmt eine Massenkollision ihren Anfang. Man kann sie in vier Brennpunkte sezieren. Insgesamt vier Fahrzeuge werden zu Flugobjekten.

Cunningham und Hinchcliffe lösen Massencrash aus

Auslöser ist eine leichte Berührung zwischen Wade Cunningham und James Hinchcliffe. Cunningham dreht sich nach links in das Auto von Jay Howard. Für J. R. Hildebrand ist kein Platz mehr. Der Zweite des diesjährigen Indy 500 steigt auf, wirft noch Townsend Bell aus der Bahn und donnert 80 Meter später in die Mauer, die in Las Vegas durch eine davor montierte zweite Plastikbande ("safer wall") geschützt ist.

Als Hildebrand und Bell funkensprühend an der Bande entlang schrammen, nähert sich weiter ein Knäuel aus sechs Fahrzeugen. Scott Dixon, Dario Franchitti, Ernesto Viso und mit etwas Abstand Wheldon kratzen bereits an der inneren Begrenzungslinie. Wheldons auf dem Tribünendach postierter Spotter schreit zwei Mal "go low", doch sein Mann ist bereits ganz unten in der Suppenschüssel.

Vitor Meira versucht, vor den von der Mauer zurückprallenden Autos des ersten Crashs nach innen zu flüchten. Keine gute Idee. Dabei stellt sich der Brasilianer quer, was Charlie Kimball veranlasst, scharf zu bremsen. Kimball wird für Wheldon zur ersten Sprungschanze. Dieser wird dabei so unglücklich auf den KV-Dallara von Viso katapultiert, dass er sich im Heckflügel verhakt. Wheldon reitet eine Sekunde lang auf Visos Auto mit und dreht sich dabei langsam auf den Kopf.

Pippa Mann gibt Wheldon den entscheidenden Dreh

Noch hätte der Unfall für den Engländer glimpflich ausgehen können, denn seine Flugbahn zeigt auch nach dem zweiten Absprung wieder nach unten Richtung Mauer. Jetzt kommt Paul Tracy ins Spiel. Der muss stark bremsen, weil vor seiner Nase Tomas Scheckter Richtung Infield abbiegt.

Pippa Mann schätzt die Situation völlig falsch ein. Während die Fahrer um sie herum lupfen, steht sie weiter voll auf dem Gas und nimmt Kurs Richtung Außenspur. Kurs auf Tracy. Dort kanoniert sich die Engländerin mit solcher Vehemenz in die Luft, dass sie im Flug Wheldons Dallara einholt, kurz vor dem Mauerkontakt unter ihm durchtaucht und ihm den Dreh Richtung Fangzaun gibt. Das ist Wheldons Todesurteil.

Der Letzte, der den Bodenkontakt verliert, ist Will Power. Er steigt an Alex Lloyd auf, höher und spektakulärer als alle anderen, doch er trifft nur die Mauer und steigt unverletzt aus. Hildebrand kommt mit einer Steißbeinprellung, Mann mit Brandwunden an einer Hand glimpflich davon.

Schuld auf vielen Schultern verteilt

Die Frage nach der Schuld ist müßig. Cunningham und Hinchcliffe berühren sich mit den Rädern, weil der eine nach außen, der andere nach innen will. Pippa Mann war sicher zu sorglos. Oder zu unerfahren. Vielleicht hätte auch Ovalexperte Wheldon früher Fahrt rausnehmen müssen. Die Lehre aus der Karambolage ist, dass die Fahrer, die gebremst haben, ungeschoren davonkamen. Dafür brachten sie ihre Kollegen dahinter in ernsthafte Schwierigkeiten.

Wer vorschnell behauptet, ein solcher Unfall könne in der Formel 1 nicht passieren, ist kein Realist. Vielleicht nicht mit 15 Autos bei 350 km/h. Aber es reichen auch zwei bei Tempo 280. Viele Rennstrecken sind heute mit den so genannten FIA-Zäunen abgesichert, um Streckenposten und Zuschauer zu schützen. Wenn da ein Auto kopfüber eintaucht und sich mit dem Überrollbügel verhakt, hilft nur noch beten.

In unserer Fotoshow zeigen wir Ihnen noch einmal detailliert, wie sich der tödliche Unfall entwickelt und abgespielt hat.