Natürlich wäre es jetzt ein Leichtes, hier den Klugscheißer herauszukehren. Seit November 2014 wurde bei sport auto immer wieder darauf hingewiesen, dass das LMP1-Projekt von Nissan mehr Fragwürdigkeiten produziert als reale Performance-Großtaten. Der Projektverantwortliche bei Nissan, Darren Cox, war auch wenig angetan von unserer Berichterstattung: Wir seien voreingenommen und die Einzigen, die immer nur herumnörgelten, anstatt sich herzlich darüber zu freuen, dass ein neuer Hersteller den Wettbewerb in der LMP1-Klasse auf unkonventionelle Weise bereichert.
Nissan GT-R LM mit mangelnder Performance
Natürlich freuen wir uns immer, wenn ein neuer Hersteller den Wettbewerb bereichert – solange er den Wettbewerb bereichert. In Le Mans konnte davon keine Rede sein: Die drei Nissan LMP1 fuhren, man kann es leider nicht anders sagen, gnadenlos hinterher. Zwischen 18 und 20 Sekunden fehlten auf die LMP1-Pacesetter von Porsche und Audi – das sind Welten. Im Zeittraining war Nissan so langsam, dass die GT-R LM ans Ende des Prototypen-Starterfeldes strafversetzt wurden, weil sie die 110-Prozent-Hürde nicht knackten.
Im selben Zeittraining waren die kostengedeckelten LMP2, die für einen Schleuderpreis von 400.000 Euro zu kaufen sind, schneller als die Nissan-LMP1. Pikant: Die meisten LMP2 hatten ebenfalls einen Nissan-Motor im Heck. Der LMP1-Budenzauber von Nissan kostet angeblich 40 Millionen Euro, und das Ergebnis ist LMP2-Performance? Wirklich?
Ich bin der Erste, den das alles mit ungespielter Trauer erfüllt, auch wenn Darren Cox mir das nicht abkaufen wird. Mit vier großen Herstellern, die halbwegs auf Augenhöhe kämpfen, wäre die WEC zum Erfolg verdammt und mittelfristig die stärkste Automobil-WM unserer Zeit – und das wären aus meiner Sicht absolut paradiesische Zustände!
Chaotisches Schauberfestival
Grantig werde ich dagegen, wenn Leute meinen, sie könnten der Welt alle möglichen Versprechungen und Fabeln auftischen, ohne dann hinterher zu liefern. Dieses Grundgefühl dominierte auch im Fahrerlager, als sich die Le-Mans-Woche ihrem Ende zuneigte. Viele, vielleicht zu viele, waren der PR-Prosa von Nissan auf den Leim gegangen und hatten das Projekt mit freundlich gestreuten Vorschusslorbeeren bedacht.
Der Nissan-Auftritt glich einem chaotischen Schrauberfestival, weder waren die Autos schnell, noch waren sie zuverlässig, womit zwei Grundanforderungen des Langstreckensports nicht erfüllt wurden. Entsprechend hart war der Aufschlag von Nissan in der Realität: Während auf der einen Seite die PR-Maschinerie noch unter Volldampf Ammenmärchen aufkochte ("Wir sind schneller als die privaten LMP1 und als alle LMP2 sowieso"), erzählten die Zeitenmonitore eine völlig andere Geschichte.
Und je größer die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität, zwischen Propaganda und Performance, umso peinlicher wurde die ganze Vorstellung. Doch Nissan schien auch jetzt nichts zu lernen: Im Minutentakt wurden Niederlagen zu heroischen Glanztaten umfabuliert.
Was wäre auf dem Nürburgring passiert?
Nach dem Rennen, als ein Nissan nach über acht Stunden Standzeit in der Box ins Ziel kroch – wenngleich aufgrund der (nicht) zurückgelegten Distanz außerhalb der Wertung – prangte auf einem Twitter-Account von Nissan der Slogan: "Mission erfüllt!". Was soll man da noch sagen?
Jetzt sollte man noch erwähnen, dass der Nissan-LMP1 eigentlich ganz speziell für die Piste in Le Mans gebaut wurde. Was würde also passieren, wenn er zum Beispiel am Nürburgring fährt? Vorerst können wir diese Frage nicht beantworten. Weil Nissan für unbestimmte Zeit seine WEC-Einsätze abgesagt hat (zum Artikel).