Zum 14. Mal in Folge wurde der Fahrertitel in der IndyCar-Serie erst beim letzten Rennen entschieden. Doch ganz ehrlich: Die Schlagzeilen schrieb der Rennsieger, nicht der neue Meister Josef Newgarden. Colton Herta holte in seiner Rookie-Saison seinen zweiten IndyCar-Sieg. Der 19-Jährige durfte also genau genommen nicht einmal den Siegerschampus verkosten – er ist dafür schlicht nicht alt genug.
Noch mehr als der Sieg beeindruckte das Wie: Herta holte sich am Samstag die Pole-Position, am Sonntag führte er das Rennen in 84 von 90 Runden an. Und das auf einer Strecke, die von allen Fahrern und Teams im Vorfeld des Finales als tückisches Biest charakterisiert worden war: Der Belag ist altertümlich und bietet wenig Grip, dafür ist der Reifenverschleiß extrem hoch. Der Asphalt reagiert extrem zickig auf Temperaturschwankungen, dazu bläst der Wind laufend Sand vom Streckenrand auf die Piste.
Reifenverschleiß als Schlüssel zum Sieg
Die US-Topklasse gastierte 2004 zum letzten Mal auf der wunderschön in die Landschaft eingebetteten Tal- und Bergbahn nahe Monterey. Und es gab nicht wenige Fahrer, die wegen des hohen Reifenverschleißes befürchteten, dass das entscheidende letzte Rennen zu einer Art Lotterie werden könnte. „Wir wussten nicht wirklich, was uns im Rennen beim Reifenverschleiß erwartet. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass mein Team das Setup perfekt getroffen hat – das war der Schlüssel zum Sieg“, so Herta nach dem Rennen. „Wir hatten die beste Konstanz im Feld, sowohl auf den weichen Optionsreifen als auch auf der härteren Mischung.“
Herta exekutierte den Vorteil kaltschnäuzig, obwohl ihm über die volle Distanz starke Gegner im Nacken hingen: Die ersten drei Stints machte Ganassi-Pilot und Meisterschaftsanwärter Scott Dixon Druck, nach dem letzten Stopp biss sich Penske-Pilot Will Power die Zähne an Herta aus. Was die Stars auch probierten – der Youngster hatte immer die passende Antwort.
Auch die Rennanalyse brachte der Sieger makellos auf den Punkt: „Wir hatten eine gute Strategie. Am Ende wurde es noch mal eng im Duell mit Will Power, aber weniger wegen der Reifen, sondern weil ich auch noch ein bisschen Sprit sparen musste.“ Der zweitplatzierte Will Power lobte nach dem Rennen: „Ich wollte hier unbedingt für das Penske-Team den Sieg holen, aber Herta scheint verdammt schnell zu lernen.“
Mit 19 schon voll abgebrüht
Damit spielte Will Power auf den vorletzten IndyCar-Saisonlauf in Portland an: Dort hatte Ganassi-Pilot Scott Dixon Herta derart vor sich hergehetzt, dass der seine Reifen killte – und das Rennen verlor. Aber Fehler macht Herta prinzipiell nur einmal: „Ich stand das ganze Rennen unter Druck, aber ich habe aus meinen Fehlern beim Reifenmanagement in Portland gelernt – das macht mich besonders stolz.“
Stolz dürfte auch der Herr Papa gewesen sein: Bryan Herta holte Ende der 90er-Jahre zwei Siege und drei Pole-Positions in Laguna Seca, der Sohnemann verbesserte die Familienbilanz jetzt auf drei Siege und vier Pole-Positions. Richtig berühmt wurde Vater Herta allerdings wegen einer Niederlage in Laguna Seca: 1996 führte er das Rennen bis zur letzten Runde an, als ihn Alessandro Zanardi in der berühmten Korkenzieher-Schikane robust und spektakulär überholte – das Manöver ging als „The Pass“ in die IndyCar-Geschichte ein.
Spektakel produzierten die IndyCars bei der Rückkehr auf die Kultstrecke nahe Monterey anno 2019 eher nicht: Das Rennen war zwar nicht langweilig, aber auch nicht sonderlich aufregend. Es trat ein, was viele zuvor befürchtet hatten: Alle Fahrer passten höllisch auf ihre Reifen auf, die Meisterschaftsanwärter wollten auf keinen Fall patzen und Überholmanöver sind in Laguna Seca prinzipiell eine Seltenheit – die Geraden sind zu kurz. „Wenn der Vordermann keinen Fehler macht, ist Überholen hier ohne Ellbogencheck fast unmöglich“, sagte der Sieger. Anmerkung für Historien-Freaks: Das Überholmanöver von Zanardi gegen Herta anno 1996 würde heute auf jeden Fall eine Strafe nach sich ziehen ...
Neben dem Rennsieg für den Rookie Colton Herta war der Kampf um den Fahrertitel eigentlich der zweite Handlungsstrang in Laguna Seca. Doch trotz doppelter Punkte für das Finalrennen war die Titelentscheidung zugunsten von Penske-Pilot Josef Newgarden nicht wirklich der große Hammer: Der 28-Jährige aus Hendersonville, Tennessee, ging mit einem leidlich bequemen Polster von 41 Punkten auf Alex Rossi (Honda/Andretti) und 42 Punkten auf Teamkollege Simon Pagenaud ins Finale. Und Ganassi-Pilot Scott Dixon hatte mit 85 Punkten Rückstand eh nur noch mathematische Chancen auf den Fahrertitel.
Das Team von Roger Penske hatte daher einen klaren Plan für die letzte Rennschlacht des Jahres: Newgarden, der von Platz 4 ins Rennen ging, sollte sich hinter Alex Rossi halten, der neben ihm aus der zweiten Startreihe losfuhr. „Es hätte keinen Sinn gemacht, hier ein Risiko einzugehen“, sagte Newgarden nach dem Rennen. „Im Penske-Team ist der Titel immer das Hauptziel der Saison – da sollte man als Fahrer nichts anbrennen lassen!“
Undercut versus Overcut
Seine beiden Teamkollegen Will Power und Simon Pagenaud waren dagegen auf den Sieg angesetzt und durften aggressiver zu Werke gehen, wie die Situation um den ersten Boxenstopp herum verdeutlicht: Von Platz 6 kommend setzte Pagenaud auf einen Undercut und kam eine Runde vor Rossi und Newgarden an die Box. Pagenaud kassierte Rossi auf dessen Outlap nach dem Stopp. Newgarden hatte Rossi in der Box überholen können, gab die Position aber mehr oder weniger kampflos sofort wieder an den Meisterschaftsgegner Rossi ab, um kein Risiko einzugehen. Auch Teamkollege Will Power wurde von Newgarden freundlich durchgewunken, sodass der Meisterschaftsleader nach der Serie der ersten Stopps von Platz 3 auf Position 6 zurückfiel.
Pagenaud robbte sich dann schnell an den auf Platz 2 liegenden Ganassi-Piloten Scott Dixon heran, kam aber nicht vorbei. Hinter ihm brauchte Teamkollege Power elf Runden, um die Hürde Rossi und damit den einzigen verbliebenen Nicht-Penske-Piloten, der noch Meister werden konnte, zu knacken.
Da eine theoretisch mögliche Zweistoppstrategie von den Teams schon vor dem Rennen wegen der Fragezeichen beim Reifenverschleiß kategorisch ausgeschlossen worden war, wurden alle 24 Piloten auf drei Stopps angesetzt. Somit hatte Penske schon vor dem zweiten Stopp zwei Autos vor dem Hauptgegner Rossi platziert – spätestens hier war der Titelkampf de facto entschieden.
Tränen der Freude
Rossi war dann nach Platz 6 im Ziel auch der Pilot, der von den Toppiloten am meisten angefressen war, zumal ihn Simon Pagenaud im direkten Zweikampf nach dem ersten Stopp auch noch unsanft von der Bahn gedrängt hatte – wofür der aber keine Strafe bekam: „Wir wollten strategisch etwas anders machen als die Gegner und haben gebrauchte Optionsreifen aufgezogen. Das hat nicht funktioniert, der zweite Stint brach uns das Genick.“
Bei der Serie der zweiten Stopps kam Power als letzter Pilot rein, der Overcut brachte ihn auf Platz 3. Die gleiche Trumpfkarte spielte der Australier beim finalen Stopp, wo er Dixon von Platz 2 verdrängen konnte. Für den Sieg reichte es in den letzten 22 Runden aber nicht mehr.
Platz | Fahrer | Motor / Team | Zeit |
1. | Colton Herta | Honda / Steinbrenner | 90 Runden |
2. | Will Power | Chevrolet / Penske | + 0,587 Sekunden |
3. | Scott Dixon | Honda / Ganassi | + 6,240 Sekunden |
4. | Simon Pagenaud | Chevrolet / Penske | + 6,354 Sekunden |
5. | Felix Rosenqvist | Honda / Ganassi | + 9,520 Sekunden |
6. | Alexander Rossi | Honda / Andretti | + 10,363 Sekunden |
7. | Sébastien Bourdais | Honda / Dale Coyne | + 10,683 Sekunden |
8. | Josef Newgarden | Chevrolet / Penske | + 19,044 Sekunden |
9. | James Hinchcliffe | Honda / Schmidt Peterson | + 22,818 Sekunden |
10. | Ryan Hunter-Reay | Honda / Andretti | + 24,794 Sekunden |
11. | Marcus Ericsson | Honda / Schmidt Peterson | + 25,780 Sekunden |
12. | Graham Rahal | Honda / Rahal | + 26,651 Sekunden |
13. | Max Chilton | Chevrolet / Carlin | + 27,074 Sekunden |
14. | Marco Andretti | Honda / Andretti | + 54,431 Sekunden |
15. | Charlie Kimball | Chevrolet / Carlin | + 56,586 Sekunden |
Newgarden vergoss im Ziel Freudentränen: „Ich weine normalerweise nie, aber der Druck war riesig, wegen der doppelten Punkte und der neuen Strecke, wo wir uns nicht auf alten Daten ausruhen konnten. Ich hatte im Rennen nur die Aufgabe, Rossi zu folgen – dieser Plan ging auf.“
Während an der Spitze der Rookie Colton Herta siegte, holte der andere Novize im Feld, Felix Rosenqvist, mit Platz 5 den offiziellen Titel Rookie des Jahres – im Endklassement trennten die beiden Debütanten gerade mal fünf Punkte. Rosenqvist konnte zwar 2019 keine Rennen gewinnen, überzeugte aber wie Herta mit tollem Speed, guter Konstanz und hoher Rennintelligenz. Beispiel Laguna Seca: nach einem Dreher im Qualifying wurden dem Schweden die zwei schnellsten Runden gestrichen, womit er erstens von Startplatz 14 und zweitens mit geschwollenem Kragen ins Rennen gehen musste: „Die Entscheidung der Stewards, meine zwei schnellsten Runden zu streichen, ist dämlich und hat mich jeder Siegchance beraubt.“
Platz | Fahrer | Punkte |
1. | Josef Newgarden | 641 |
2. | Simon Pagenaud | 616 |
3. | Alexander Rossi | 608 |
4. | Scott Dixon | 578 |
5. | Will Power | 550 |
6. | Felix Rosenqvist | 425 |
7. | Colton Herta | 420 |
8. | Ryan Hunter-Reay | 420 |
9. | Takuma Sato | 415 |
10. | Graham Rahal | 389 |
11. | Sébastien Bourdais | 387 |
12. | James Hinchcliffe | 370 |
13. | Santino Ferrucci | 351 |
14. | Spencer Pigot | 335 |
15. | Tony Kanaan | 304 |
16. | Marco Andretti | 303 |
Mit viel Spucke und Geduld fuhr sich der 27-jährige Schwede dann im Rennen wieder bis auf Platz 5 nach vorne. „Ich glaube, wir hätten den Speed gehabt, um erstens auf der Pole zu stehen und zweitens das Rennen zu gewinnen“, so Rosenqvist im Ziel. Das Fazit seiner Debüt-Saison ist trotzdem positiv: „Die Autos und die Strecken sind der Hammer – ich habe hier einfach nur Spaß!“