Die Schwere der Aufgabe liegt in seiner Einfachheit. Alle Welt erwartet, dass Toyota in Le Mans seinen ersten Gesamtsieg einstreicht, dem man nun schon seit 20 Jahren hinterherläuft. Toyota geht nach dem Ausstieg von Audi und Porsche als haushoher Favorit in die 24-Stunden-Schlacht. Alles andere als ein Doppelsieg wäre eine faustdicke Überraschung. Toyota wäre schon mit einem Sieg zufrieden. Hauptsache einmal dieses verdammte Le Mans gewinnen.
Ex-Pilot Mark Webber umschrieb Toyotas Le Mans-Projekt in diesem Jahr mit einem „weiteren Test in Aragon“. Technikchef Pascal Vasselon weiß, was es heißt Le Mans aus der Favoritenrolle heraus zu verlieren. „Wir haben es oft genug gezeigt“, lächelt der Franzose verbissen. 2016 scheiterte Toyota im Rennen praktisch auf der Zielgerade. Deshalb gibt es für Vasselon keine einfachen 24 Stunden von Le Mans: „Dieses Rennen ist per Definition schwierig. Weil immer etwas passieren kann, an das du nicht denkst.“
Alles Geld in die Standfestigkeit
Dieses Denken an das Problem, das auftreten könnte, beherrschte die Vorbereitung im Toyota-Camp. Gegen wie viele Risiken kann man sich absichern? „Die Null-Risiko-Strategie gibt es nicht“, weiß Vasselon. „Es geht um das bestmögliche Risiko-Management.“ Deshalb mussten ihm alle Abteilungsleiter im Rahmen der Vorbereitung auf das große Rennen alle denkbaren Defekte und Zwischenfälle aufschreiben, die sie sich in ihrem Bereich vorstellen konnten. „Wir haben versucht, so viel davon auszuschließen, wie es uns möglich war. Jede Abteilung musste eine Prioritätenliste erstellen, die wir von oben nach unten abgearbeitet haben. Sind alle Szenarien abgedeckt? Ganz klar nein. Wir hatten nur ein limitiertes Budget zur Verfügung.“

Man hört, dass Toyota mit 30 Prozent weniger Geld auskommen musste als in den Jahren zuvor. Da die direkten Gegner fehlen, mussten keine Ressourcen mehr in die Rundenzeit gesteckt werden. Der Einstufungsprozess der privaten LMP1-Autos stellte außerdem sicher, dass Toyota immer mindestens eine halbe Sekunde schneller sein würde. Das heißt, der Löwenanteil des Budgets wurde in die Absicherung der Standfestigkeit gesteckt. Nur ein Beispiel: Viele Verkleidungsteile sind stärker gebaut und damit schwerer. In der Vergangenheit zeigten sich erste Verschleißspuren nach zehn Stunden. Dieser Punkt tritt jetzt später ein. „Und damit sind wir fast so schnell gefahren wie im letzten Jahr. Das allein ist eine Leistung für sich“, staunt Sebastien Buemi.
Software dirigiert das Auto heim
Toyota darf sich auch gegen die privaten LMP1-Autos keine Blöße geben. Ein Problem, das die Autos mit den Startnummern 7 und 8 länger als 20 Minuten in der Box festhält, kann tödlich sein, sollte einer der acht LMP1-Rivalen gleichzeitig das perfekte Rennen fahren. „Das holen wir dann nicht mehr auf. Deshalb ist es Unsinn davon zu sprechen, dass die Privaten keine Siegchance haben“, beteuert Vasselon.
Das Drama von 2016 mit dem Defekt in der letzten Runde traf Toyota ins Mark. Aber auch die Defektserie 2017 schmerzt immer noch, vor allem, weil man im letzten Jahr klar das schnellste Auto im Feld hatte. Ein Problem war, dass die Autos nach Defekten oder Unfällen auf der Strecke liegenblieben und es nicht mehr bis zur Boxengasse zurückschafften. Dabei wären die Schäden reparabel gewesen. Diesmal wurde bei den fünf 30-Stunden-Tests vor Le Mans gerade diese Problematik geübt. „Wir haben fünf bis sechs dieser Szenarien immer wieder durchgespielt. Die Fahrer wissen, was zu tun ist“, sagt Vasselon. Gegen alle Launen des Schicksals kann man sich aber auch hier nicht absichern. „Es hängt immer davon ab, wie viel Energie noch in der Batterie ist. Passiert das Problem mit vollem Energiespeicher, kommen wir locker von jedem Punkt der Strecke zurück. Bei 25 Prozent kann es schon eng werden, je nachdem, wo auf der Strecke es passiert. Bei null Prozent stehen wir.“
Toyota kann sich nie sicher sein, dass der Energiespeicher in jeder Lage genug Saft hat. „Es sollte nicht gerade passieren, wenn wir längere Zeit nicht gebremst haben“, gibt Buemi zu. Wenn das Undenkbare dann doch passiert, dann ist nicht nur der Fahrer gefragt. Kollege Computer hilft. Toyota hat eine Software entwickelt, die die noch vorhandene elektrische Leistung je nach Lage des Autos und der Distanz zu den Boxen exakt so proportioniert, dass ser Elektroantrieb das Auto sicher, aber auch so schnell wie möglich in die Boxen zurückfährt. Nicht einmal am Start will sich Toyota eine Blöße geben. Mit Mike Conway und Sebastien Buemi sitzen zwei Männer mit Erfahrung und der nötigen Ruhe am Steuer, um die hektischen ersten Runden ohne Unfall über die Bühne zu bringen.