Es ist noch kalt nach einer klirrend klaren Nacht im Hochland der Provence, aber die Sonne steigt schon höher. Yves Matton saugt die frische Luft ein und strahlt mit dem Lorenz um die Wette. Der Citroën-Sportchef steht auf einem Acker im Niemandsland nordwestlich von Sisteron. Gerade eben ist mit abartigem Tempo ein Citroën C3 WRC über die schmale Asphaltpiste zwischen den Feldern gejagt, nach dem Rückzug von Weltmeister VW möglicherweise das schnellste Landfahrzeug der Welt auf solch engen Straßen.
„Na, wie gefällt dir das?“, fragt Matton. Den Stolz kann der Belgier schwer verbergen. Das neue C3 World Rally Car ist sein Baby. Das Vorgängermodell DS3 entstand noch unter seinem Vorgänger Olivier Quesnel, das Tourenwagenprogramm mit dem Modell Elysée haben der frühere Markenchef Frédéric Banzet und Sébastien Loeb losgetreten. Sie alle sind nicht mehr da.
Citroën tanzt auf vielen Hochzeiten
2016 war für die Citroën-Sportabteilung das Jahr null. Es war ein stürmisches Jahrzehnt für die erfolgsverwöhnte Truppe aus Satory bei Versailles, das mit der Finanzkrise 2007 seinen Anfang nahm, als das halbe Feld der Rallye-WM wegbröckelte, als der Mutterkonzern PSA so sehr in Schieflage geriet, dass er vom Staat gestützt werden musste.
Auch sportlich ging es bergab. Peugeot verlor gegen Audi einmal zu viel in Le Mans, was Quesnel den Kopf kostete und die Sportabteilung in Vélizy an den Rand der Schließung brachte. In der Citroën-Domäne Rallye-WM, in der man dank des überragenden Loeb neun Jahre in Folge mit größter Selbstverständlichkeit den Fahrertitel einkassierte und in einem Jahrzehnt acht Mal Marken-Weltmeister wurde, ging es ebenfalls bergab.
Loeb war rallyemüde, ließ sich von Matton 2013 mit Müh und Not noch zu vier WM-Läufen überreden, bevor er auf die Rundstrecke wechselte. Der erfolgreichste Rallye-Fahrer aller Zeiten siegte noch einmal in Monte Carlo und in Argentinien, dann übernahmen Volkswagen und sein Rivale Sébastien Ogier das Zepter. Den hatte man eigentlich bei Citroën aufgebaut, aber zugunsten Loebs vergrault.

Rallye-Programm mit kleinem Budget
Seitdem lief das Rallye-Programm auf Sparflamme. Der aufkommende Thierry Neuville wanderte zu Ford und dann Hyundai ab, weil Matton ihm außer einem Einjahresprogramm wenig anbieten konnte. Das mit 96 Siegen in eineinhalb Jahrzehnten eindeutig erfolgreichste Rallye-Team der WM-Geschichte musste plötzlich Fahrer anheuern, die keine großen Gehaltsansprüche hatten, und die andere nicht wollten.
Die Karriere des Nordiren Chris Meeke war mit Anfang 30 eigentlich schon zu Ende, als ihn Matton wieder ausgrub. Der früher als Crashpilot verschriene Brite arbeitete auch jetzt wieder einige Rohkarossen auf, aber immerhin schenkte er sich und Matton in den vergangenen zwei Jahren drei Siege, die letzten für den DS3, der technisch weitgehend auf der Stelle trat.
Außer einem überarbeiteten Motor und einer modifizierten Hinterachse gab es keine nennenswerte Weiterentwicklung. Trotzdem ist Matton stolz auf die letzten Jahre: „Wenn ich überlege, wie klein unser Budget war, dann haben wir einen guten Job gemacht.“
Es war ein ziemlicher Spagat. Die von der Zentrale befohlene Stoßrichtung ging klar in Richtung Tourenwagenprogramm. Obwohl es in der WTCC gar keine nennenswerte Opposition gab, entwickelte Citroën Racing den Elysée ständig weiter. Die preiswerte Stufenlimousine sollte sich gerade in Schwellenländern wie China einen Namen machen.
Selbst als der erste Titel schon mühelos eingefahren war, machte sich der damalige Technikchef Xavier Mestelan an die Entwicklung eines stärkeren Motors. Als 2014 der Portugiese Carlos Tavares die Spitze des von einer schweren Absatzkrise gebeutelten PSA-Konzerns übernahm, stand das Rallye-Projekt auf der Kippe. Wozu die große Anstrengung unternehmen, wieder aufzuschließen, wenn man doch auf der Rundstrecke mit Leichtigkeit Erfolge einsammelt?
WRC-Projekt läuft wieder an
Zudem trat die WTCC im Gegensatz zur Rallye-WM auch im wichtigen Markt China an. Matton und die neue Markenchefin Linda Jackson übten Druck auf den WM-Vermarkter aus: Das Rallye-Projekt wurde an einen chinesischen WM-Lauf im Kalender geknüpft. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn die WTCC sich nicht im schleichenden Niedergang befunden hätte. Sämtliche Hersteller interessieren sich eher für die preiswertere TCR-Serie. Zudem ist das Zuschauerinteresse überschaubar, die Fernsehzahlen trotz Live-Übertragungen auf Eurosport eher homöopathisch.
Insgeheim favorisierte der Hobby-Drifter Yves Matton das Rallye-Thema, und Tavares stützte den Plan. Der Konzernchef war selbst früher sporadisch Rallyes gefahren. Ende 2015 schockierte Citroën die Rallye-Welt mit dem Rückzug aus der WM. Doch ganz so sauer war der Apfel nicht: Gleichzeitig verkündeten die Franzosen die Rückkehr 2017. Es sollte ein Jahr zum Luftholen werden. Der Konzern hatte gerade erst das tiefe Tal durchschritten. Finanziell kann der Motorsport keine allzu großen Sprünge machen.
Die traditionell extrem auf ihre Unabhängigkeit pochenden Sportabteilungen von Peugeot und Citroën wurden organisatorisch zusammengelegt. Es gilt, Personal zu sparen und technische Ressourcen gemeinsam zu nutzen. Beim Umzug hinkt man hinter dem Zeitplan her. Erst nach der Dakar-Rallye sollte Peugeot Sport von Vélizy zur Schwester nach Satory umziehen, wo rund um Citroën Racing in den letzten Jahren Entwicklungslabors für Rennmotoren, Antriebsstränge und Verbundmaterialien entstanden sind.
Peugeot kümmert sich um Wüsten-Rallyes, Rallycross und Kundensport, die Marke DS fährt Formel E, und Citroën kehrt Ende Januar in die Rallye-WM zurück. Jetzt zahlt sich aus, dass Matton trotz mickriger Geldbörse in den mageren Jahren den Fuß in der Rallye-Tür gehalten hat. Schlüsselfiguren der alten Erfolgsmannschaft wie Teammanager Didier Clément oder Koordinator Daniel Grataloup sind ebenso noch an Bord wie der unter dem früheren Technikchef Xavier Mestelan herangezogene Laurent Frégosi, der für die Entwicklung des C3 WRC zuständig war.
Citroën-Werksteam als Favorit im Comeback-Jahr
Auch wenn die Marke mit dem Doppelwinkel 2016 offiziell nur sporadisch unter der Flagge des Kundenteams PH Sport segelte, war es doch weitgehend das gleiche Personal, das nun wieder als offizielles Werksteam an den Start geht. Ohne den zeitraubenden WM-Betrieb konnten sich die Mannen in Rot-Weiß voll auf die Entwicklung des neuen Autos konzentrieren.
Vor seinem Rückzug hatte das erfolgsverwöhnte VW-Team für 2017 vor allem Citroën auf dem Zettel, auch weil Chris Meeke sich von einem Wackelkandidaten zu einem echten Teamleader gemausert hat, der sich mit einem Sieg in Finnland 2016 ein Denkmal setzte. Meeke hat zudem reichlich technisches Verständnis. Er ist studierter Maschinenbauer.
Der 37-jährige Meeke spürt deutlich den neuen Zug im Team: „2015 hatte ich insgesamt fünf Testtage, meist war nur ein Ingenieur dabei. Dieses Jahr kann ich die Tage gar nicht zählen, und manchmal standen ein Dutzend Ingenieure da.“
Die Stimmung ist gelöst an diesem letzten Testtag vor Weihnachten, der Glaube an das neue Auto groß. Die Konkurrenz sollte gewarnt sein. Schon einmal zog sich Citroën nach der Xsara-Ära Ende 2005 aus der Rallye-WM zurück und kam nach einem Jahr Pause mit einem neuen Modell wieder. Der C4 WRC gewann drei Marken-Weltmeisterschaften in Folge und ist – abgesehen vom VW Polo WRC – mit 36 Siegen das erfolgreichste Rallye-Auto der Geschichte.