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André Lotterer im Porträt
Lebe lieber ungewöhnlich

Er ist der Platzhirsch im Sportwagen-Team von Audi, debütierte im reifen Alter von 32 Jahren in der Formel 1 und liebt es, auf dem Fixie-Fahrrad im Verkehrsgetümmel seiner Wahlheimat Tokio mitzumischen: André Lotterer mag es unkonventionell.

André Lotterer, Porträt, Impression
Foto: Stefan Warter

Kürzlich hat André Lotterer an seinem iPhone eine Generalüberholung vorgenommen. "Es war richtig versifft und brauchte dringend ein neues Gehäuse samt Display", sagt er. "Im Youtube-Video hat der Typ das in einer Stunde erledigt. Ich habe mehr als drei Stunden dazu gebraucht. All diese winzigen Schrauben – der glatte Horror!" Doch nun erstrahlt Lotterers iPhone in neuem Glanz mit weinrotem Gehäuse. Diese vertrackte Wartungsarbeit am Handy könnte auch sinnbildlich stehen für die Karriere des gebürtigen Duisburgers, denn sowohl beim Basteln wie auf der Rennstrecke braucht man drei Dinge, um erfolgreich zu sein: zähe Beharrlichkeit, exzellentes technisches Verständnis – und eine gute Portion Optimismus.

Treue Gefährten

Lotterer versteht es, mit einer gewissen Nonchalance durchs Leben zu surfen. Im Fahrerlager von Le Mans gibt es kaum einen, der so entspannt wirkt wie der 32-Jährige. Selbst in der Startaufstellung zum Rennen, wo gestandene Wirtschaftskapitäne so hyperaktiv herumwuseln wie Abc-Schützen am ersten Schultag, wirkt Lotterer neben seinem Audi-Prototypen so cool, als hätte er ein Diplom von der James-Bond-Akademie. Mit verschränkten Armen und selbstsicherem Lächeln steht er oft da, macht Witzchen mit Teamkollegen oder Adabeis und knipst Selfies.

Diese Lockerheit hat ihr Fundament im unerschütterlichen Selbstvertrauen, nach dem Motto: Ich kann das! Und ich habe das auch schon unter Beweis gestellt! Dreimal stand André Lotterer in den letzten vier Jahren in Le Mans ganz oben auf dem Podest, jeweils zusammen mit dem Schweizer Marcel Fässler und dem Franzosen Benoît Tréluyer.

Auf die treuen Gefährten lässt er nichts kommen: "Wir verstehen uns super. Man hilft sich und beschützt sich auch. Wenn einer mal nicht so gut war, nehmen ihn die anderen in Schutz." Der ausgekochte Rennprofi wird nun regelrecht romantisch. "Drei Freunde, die zusammen den Erfolg haben, das ist toll. Ich kann mir nicht vorstellen, mit anderen anzutreten."

Turbulentes Rennen in Sarthe

Für einen Normalsterblichen sind Autos wie der Audi R18 e-tron Quattro die reinsten Höllenmaschinen – unfassbar schnell, unglaublich kompliziert in der Bedienung. "Alles halb so wild", winkt Lotterer ab. "Ja, ein Le-Mans-Prototyp ist komplex, aber nicht schwierig zu fahren. Features wie das Hybridsystem kamen erst nach und nach ins Auto. So konnten wir uns daran gewöhnen." In all den Le-Mans-Jahren passierte ihm nur ein einziger User-Error: "Da habe ich die Bremsbalance in die falsche Richtung verstellt, zum Glück ohne Folgen. Ich glaube, dass so ein Hybridauto eher für die Ingenieure eine große Herausforderung darstellt als für die Fahrer."

Das turbulenteste Rennen seiner Karriere endete mit seinem ersten Sieg an der Sarthe im Jahr 2011. "Zuerst gab’s die beiden schlimmen Unfälle der Teamkollegen", erzählt er. Plötzlich werden die Erinnerungen wieder lebendig, und so spricht er immer schneller. "40 Führungswechsel, der Kampf mit dem Peugeot, das hohe Tempo – es war ein Auf und Ab der Emotionen. Dazu der Nieselregen und ein Auto mit wenig Abtrieb. Und dann noch die harten Endurance-Reifen! Wenn die Temperatur aus den Reifen weg ist, hast du null Haftung. Du weißt nicht, wann der Grip abreißt, und du hast dann nur eine zehnprozentige Chance, das Auto wieder einzufangen. Es war eines der anstrengendsten Rennen überhaupt. Ich hatte Kopfschmerzen vor lauter Anspannung."

"Das Wesentliche zählt"

Dann der letzte Stint. "Mit sechs Sekunden Vorsprung raus aus der Box. Wir haben dann mit 13 Sekunden Vorsprung gewonnen." Ein Sieg fürs Ego. "200 aufgeregte Menschen im Team? Das macht mir jetzt nichts mehr aus. Das musst du komplett ignorieren. Du musst dich darauf konzentrieren: Das Wesentliche zählt. Du musst 100 Prozent geben und nicht 101 Prozent, weil du so motiviert bist durch die vielen Leute. Und auch nicht 99, wenn du da Millionen an Entwicklungs-Budget verschwendest."

Psychotricks oder ein Motivationstrainer? Alles Quatsch, findet Lotterer. "Ach, ich bin schon so lange dabei, ich brauche keine Tricks. Ich hocke mich einfach ins Auto, denke an nichts und fahre einfach. Alles passiert praktisch mechanisch. Mir hilft es, die Wichtigkeit wegzunehmen. Egal ob es ein Dorfrennen ist oder Le Mans."

Amüsiert erinnert er sich an seine Premiere in Le Mans, 2009 im privaten Audi R15 von Colin Kolles. Narain Karthikeyan war als Startfahrer vorgesehen. "Wir gingen zusammen in die Startaufstellung. Als wir über die Boxenmauer springen, stürzt er und kugelt sich die Schulter aus." Für Ersatz war es zu spät, also fuhren Lotterer und Charles Zwolsmann zu zweit. "Ich saß vier Mal vier Stunden im Auto. Was für ein Rhythmus: fahren, Massage, essen, schlafen, und dann musste ich noch meine Abreißvisiere aufkleben." Der siebte Platz war Lotterers Billett fürs Audi-Werksteam.

Formel Nippon, die Alternative

Im Alter von 20 Jahren hatte er eine goldene Zukunft in der Formel 1 vor sich, als Ersatzfahrer bei Jaguar, geschätzt vom damaligen Markenchef Wolfgang Reitzle. "Doch irgendwann kam Dr. Reitzle nicht mehr, und Lauda übernahm. Und der hatte andere Fahrer im Kopf."
"Japan war die einzige Alternative", sagt er. "Ich bekam einen Test in der Formel Nippon. Das Team sagte mir: Pack viele Sachen ein, denn wenn wir dich nehmen, bleibst du erst mal eine Weile hier."

Lotterer richtete sich in dem exotischen Land schnell häuslich ein. "Ich hatte gleich eine Wohnung in Fuji bei Gotemba. Das Appartement war nicht so der Hammer, nur zwei kleine Zimmer. In die Badewanne musste man sich hineinknien. Das hat mir aber nichts ausgemacht. Ich bin den ganzen Tag neugierig im Dorf rumgerannt. Anfangs habe ich mich aber nicht mit dem Auto nach Tokio getraut. Die Schilder waren ja nur auf Japanisch, und das konnte ich nicht lesen."

Anspruchsvolle Super-Formula-Autos mit 500 PS

Seit mehr als zehn Jahren lebt Lotterer nun hauptsächlich im fernen Japan. "Dort ist meine Wohnung. Heimweh hatte ich nie. Wenn ich in Europa bin, bleibe ich meistens bei der Mama in Belgien, in der Nähe von Nivelles, gleich neben der früheren Rennstrecke." Dort stehen auch seine automobilen Schätzchen wie der rote Audi Sport Quattro.

Lotterer liebt die Formel Nippon, die jetzt in Super Formula umbenannt wurde. Sehr anspruchsvoll seien diese Autos mit ihren 500 PS, und wegen des großen Diffusors in Kurven extrem schnell. "Die Formel ist ein toller Spaß", sagt er. "Und sie hält mich fahrerisch topfit. In Suzuka zum Beispiel, da geht es richtig knapp zur Sache – kleine Auslaufzonen, hohes Tempo. Das ist die beste Schulung für Le-Mans-Sportwagen."

Kann man Formel Nippon und den Audi-R18-Sportprototypen vergleichen? "Das ist wie in der Leichtathletik", sagt er, "Erfahrungen auf 100 Metern helfen dir, auch beim 400-Meter-Lauf gut dabei zu sein."

2011, 2012 und 2014 erfolgreich in Le Mans

Im August 2014 debütierte Lotterer in der Formel 1 – im reifen Alter von 32 Jahren. Für den Audi-Werksfahrer war das Gastspiel im chancenlosen Caterham ein Einzelfall. "Spaß hat’s trotzdem gemacht. Im Qualifying war ich sofort schneller als mein Teamkollege Marcus Ericsson. Lustig, oder?" An eine Fortsetzung der Formel-1-Karriere glaubt er nicht. Wer solle denn einen 33-Jährigen verpflichten, fragt er. Und auf Autos wie den Caterham hat er ohnehin keine rechte Lust: "Hinten im Feld rumfahren – so toll ist das auch wieder nicht."

André Lotterers Karriere schien klar programmiert: Mit 20 Jahren war der gebürtige Duisburger Formel-1-Testfahrer im Jaguar-Werksteam. Doch als Niki Lauda ihn links liegen ließ, wechselte er 2003 notgedrungen in die Formel Nippon. Dort holte er 20 Siege und 2011 sogar den Titel. Seit 2010 ist Lotterer Audi-Werksfahrer. 2011, 2012 und 2014 gewann er zusammen mit Marcel Fässler und Benoît Tréluyer in Le Mans.

Im August 2014 debütierte er in Spa in der Formel 1: Mit dem chancenlosen Caterham überzeugte er im Training, doch wegen eines Technikdefekts war das Rennen nach zwei Runden für ihn beendet. Lotterer kam über seinen verstorbenen Vater Henry zum Rennsport, der eine feste Größe in der Tourenwagen-EM der 80er-Jahre war und als Teammanager großen Anteil am Titelgewinn von Volvo im Jahr 1985 hatte. "So einen 240 Turbo würde ich gerne kaufen", sagt sein Sohn.

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