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24h von Le Mans: Ferrari, Porsche, BMW und Co.
Warum boomt Le Mans?

24h Le Mans 2024

Die Hypercar-Topklasse der Sportwagen-WM hat bereits acht Hersteller angelockt, auch die Balance wird besser. Während im Debütjahr 2023 die LMH aus der WM dominierten und alle Rennen und Titel gewannen, wendet sich 2024 das Blatt: Die amerikanischen LMDh-Flitzer gewinnen erstmals Rennen – und sind auch noch in der Überzahl.

FIA WEC 2024 - Katar - Ferrari 499P - Cadillac V-Series.R
Foto: Motorsport Images

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe – das könnte als Leitmotiv für die Hypercar-Klasse der Sportwagen-WM (WEC) herhalten. Die neu formierte Topklasse, die 2023 ihr Debüt auf WM-Ebene feierte, besteht nämlich genau genommen aus zwei Unterklassen: hier die LMH (Le Mans Hypercars) nach FIA-/ACO-Reglement der WEC, dort die LMDh (Le Mans Daytona hybrid) nach dem amerikanischen IMSA-Regelwerk. Oder: Wenn Europäer einen Sportprototyp für die Langstrecke bauen, kommt halt etwas anderes dabei heraus, als wenn die Amerikaner das Gleiche tun.

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Trotzdem ist es wichtig, die Unterschiede zu kennen, um den gebotenen Sport wirklich verstehen zu können. Dröseln wir die Komplikationen auf: Warum gibt es zwei Unterklassen? Die Sportwagen-WM lancierte 2018 ihr Reglement für die neue Hypercar-Topklasse, doch außer seitens Toyota und später Peugeot war die Herstellerresonanz schwach. In Amerika wurde gleichzeitig an der DPI-Nachfolgeklasse mit Einheitshybrid getüftelt, und da saßen deutlich mehr Hersteller am Tisch als beim ACO.

Fix zugesagt hatten zu diesem Zeitpunkt zwar auch in Amerika nur zwei Marken, nämlich GM mit Cadillac und Honda mit Acura. Den Ausschlag sollten am Ende jene Hersteller geben, die als Zaungäste zuschauten. Ihr Standpunkt: Wenn WEC und IMSA zusammenarbeiten und die Hersteller mit dem gleichen Auto in beiden Rennserien und in Le Mans antreten können, dann steigen die Chancen dramatisch, dass sie mitmachen.

24 Stunden von Le Mans 2023 - Porsche 963 - Porsche Penske Motorsport
Porsche

Porsche setzt bei seinem 963 auf das LMDh-Konzept.

Besser zusammen als gegeneinander

Es gab jedoch drei Bedingungen. Die neuen Autos müssen erstens unbedingt einen Hybridantrieb aufweisen, weil die Sportabteilungen sonst keine Zustimmung für den Einstieg vom Vorstand erhalten. Zweitens müssen die Kosten im Vergleich zu früher drastisch sinken, und drittens müssen die Regelwerke so angeglichen werden, dass die Chancengleichheit der beiden Konzepte sichergestellt ist. Als Rettungsfallschirm obendrüber sollte eine Balance of Performance (BOP) gespannt werden, um die technischen Restdifferenzen in der Topklasse zu eliminieren.

Im Januar 2020 kam es kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie zum Schwur: In Daytona verkündeten der Le-Mans-Ausrichter ACO, die FIA sowie der IMSA-Verband die Einführung einer gemeinsamen Topklasse. Die Franzosen und die Amis sprangen über ihren Schatten, der Rest ist Geschichte: Im Laufe der nächsten 18 Monate bestätigten insgesamt neun Hersteller ihre Pläne zum Einstieg in die neue gemeinsame Topklasse. Neben Toyota und Peugeot folgte Ferrari als dritter LMH-Hersteller, die amerikanische LMDh-Formel lockte in Summe sogar sechs Marken an: Acura, Alpine, Cadillac, BMW, Porsche und Lamborghini. Mittlerweile gibt es auch von Aston Martin das Signal, mit einem LMH-Auto in beiden Serien antreten zu wollen, und auch McLaren sprang zumindest mal verbal auf den rollenden Zug auf – womit 2025 oder 2026 theoretisch zehn Automobilhersteller in der Hypercar-Topklasse vertreten wären.

Logischerweise mussten jedoch zuerst die technischen Regularien so aneinander angepasst werden, dass die unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte wie gewünscht zu einer halbwegs identischen Performance auf der Rennstrecke führen. Somit startete im Frühjahr 2020 – also noch mitten in der Corona-Hochphase – der Konvergenzprozess: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Technikern aus FIA, ACO und IMSA hatte die Aufgabe, die konzeptionellen Unterschiede so herunterzudampfen, dass die beiden Klassen LMH und LMDh ab 2023 im gleichen Rennen mit gleichen Chancen um Siege kämpfen können.

WEC - 1812 Kilometer von Katar 2024 - Toyota GR010 Hybrid
xpb

Das LMH-Reglement ist freizügiger. Toyotas GR010 Hybrid ist nach diesem aufgebaut.

Wo liegen die Unterschiede im Detail?

Welche konkreten technischen Unterschiede gibt es bei den zwei Unterklassen? Prinzipiell sind beide Konzepte erst einmal Sportprototypen, die bei zentralen Parametern wie Gewicht, Leistung oder Aerodynamik vergleichbar sind – nur deshalb war die Kooperation überhaupt möglich. Aber der Teufel liegt wie immer im Detail. Der Reihe nach.

1. Das Chassis: Die LMH-Hersteller können ihr Chassis selbst designen und entwickeln, die LMDh-Hersteller müssen ein käufliches LMP2-Chassis von Dallara, Oreca, Multimatic oder Ligier als technische Absprungbasis verwenden. Bei der Sicherheit gibt es keine Unterschiede, bei den Performance-relevanten Eckpunkten wie Gewicht, Gewichtsverteilung oder Gewichtsschwerpunkt sind nur marginale Differenzen erlaubt. So beträgt der Spielraum bei der Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse zum Beispiel gerade mal 1,6 Prozent – oder 16,5 Kilo.

2. Der Body-Kit: Ganz allgemein bestand das Ziel der beiden Regelwerke darin, den Designern die Möglichkeit zu eröffnen, den neuen Sportprototypen ein markenspezifisches Gesicht im Look der Straßenautos zu verpassen. Das soll den Wiedererkennungswert ebenso verbessern wie die Unterscheidbarkeit für den Zuschauer. Natürlich haben es einige Hersteller einfacher als andere: Ferrari malt sein Auto einfach rot an, fertig ist die Laube. Andere Hersteller integrierten die Lichtsignatur der Straßenautos in das Rennwagen-Design, BMW platzierte sogar die ikonischen Nieren in die Frontpartie, auch wenn sie beim M Hybrid V8 nicht als Kühleinlässe fungieren wie auf der Straße. Und selbstverständlich sind alle Abmessungen und die Definition der Flächenformen sehr ähnlich, um die Unterschiede möglichst klein zu halten.

3. Die Aerodynamik: Natürlich folgen die Formen der Body-Kits in den beiden Unterklassen LMH und LMDh der Funktion, wie das im Motorsport üblich ist. Denn das Reglement schreibt den Herstellern ein enges Performance-Fenster für die Aerodynamik vor, die Relation zwischen Luftwiderstand und Abtrieb ist genau definiert. Generell liegt der Gesamtabtrieb niedriger als in den alten Vorgängerklassen LMP1 Hybrid (WEC) und DPI (IMSA). Es gibt auch keine unterschiedlichen Aero-Kits mehr für unterschiedliche Rennstreckentypen. Die Hersteller dürfen die Aero-Balance nur noch über ein Aero-Element trimmen, gewöhnlich den Frontflügel oder den Heckflügel. Trotzdem gibt es marginale Unterschiede, weil die Bestimmung der Aero-Konfiguration in Abhängigkeit von unterschiedlichen Fahrzeughöhen (Ride Heights) und dem Anstellwinkel des Unterbodens (Rake) in unterschiedlichen Windkanälen erfolgt. Die IMSA nutzt den Windshear-Windkanal in Concord, die WEC-Wagen werden im Sauber-Formel-1-Windkanal vermessen.

"Es ist nicht leicht, das Auto in das richtige Aero-Fenster zu bringen", so Urs Kuratle, Leiter LMDh-Werkssport bei Porsche, "denn das Fenster hat in etwa die Größe eines kleinen Gucklochs." Deshalb kann man auch kein Auto mehr für einen speziellen Rennstreckentyp wie Le Mans bauen. Was aber nicht bedeutet, dass es keine Unterschiede gibt, wie man 2023 in Le Mans gesehen hat, als zum Beispiel der Sieger Ferrari mit der höchsten Topspeed glänzte. Solche Feinheiten soll per Definition die Balance of Performance (BOP) egalisieren. Folgerichtig hat die WEC für 2024 reagiert und eine neue Methode entwickelt, um die Beschleunigungs- und Topspeed-Unterschiede besser angleichen zu können.

4. Der Verbrennungsmotor: Die neue Prototypengeneration bietet den Herstellern bei der Wahl der Motorisierung alle nur denkbaren Freiheitsgrade. Weil die Leistung über Torque-Sensoren an den Antriebswellen auf etwa 700 PS limitiert wird, kommen weder Luftmengenbegrenzer zum Einsatz, noch gelten Hubraumbeschränkungen. Theoretisch ist alles denkbar, vom Vierzylinder bis zum Zwölfzylinder, Sauger oder Turbo, Reihen- oder V-Motor. Man kann das Triebwerk von reinrassigen Rennmotoren ableiten wie BMW oder aus Straßenmotoren wie im Fall des Porsche 963. In der LMDh-Klasse muss das Triebwerk samt Anbauteilen außerdem mindestens 180 Kilo wiegen, was erklärt, warum die V8-Motoren in der US-Klasse bisher überwiegen.

24 Stunden von Le Mans 2023 - Cadillac V-Series.R
xpb

Der Cadillac V-Series.R ist ebenfalls ein LMDh-Auto. Das Konzept ist kostengünstiger.

Warum Effizienz (k)eine große Rolle spielt

Kritisch ist eigentlich nur ein Aspekt: Die Regelwerke incentivieren das Thema Effizienz nicht mehr. Der Verbrenner muss die Leistung liefern können und haltbar sein – that’s it. Verbrauch und Reichweite werden mittels BOP über Tankinhalt und Nachtankzeiten gleichgeschaltet. Hier haben die LMH-Hersteller einen Vorteil: Sie können der Effizienz einen höheren Stellenwert beimessen, was in der Debütsaison 2023 dazu führte, dass das Startgewicht zum Beginn der Stints niedriger ausfiel, weil Toyota, Ferrari und Peugeot weniger Benzin mitführen mussten. Dieser wichtige technische Unterschied wurde für 2024 ebenfalls als Faktor bei der BOP berücksichtigt und ausgeglichen. Denn wer z. B. 30 Kilo mehr Benzin an Bord hat, der stresst auch die Reifen deutlich stärker. Hier hatte Toyota 2023 massive Vorteile, weil der 3,5-Liter-V6-Biturbo viel stärker auf Effizienz getrimmt ist als die eher banalen Triebwerke der LMDh-Hersteller.

5. Der Hybridantrieb: Hybrid war von Anfang an in beiden Reglements, also LMH und LMDh, gesetzt, weil die Vorstände, die die Budgets freigeben, auf den Einstieg in die Teilelektrifizierung gepocht haben. Beim Hybridantrieb bestehen die größten Konzeptunterschiede zwischen den beiden Unterklassen. Die LMDh-Hersteller müssen laut Reglement auf einen Einheitshybrid zurückgreifen, das soll die Kosten im Zaum halten. Die LMH-Hersteller können von der MGU über die Batterie bis zum temporären Allradantrieb und zur Software-Steuerung alles frei bestimmen und auslegen, weil das von Anfang an so in der Grundarchitektur des Regelwerks verankert war.

Als 2020/21 die beiden Regelwerke über die Konvergenz noch mal neu verzurrt wurden, um Unterschiede zu begradigen, mussten die LMH-Hersteller beim Thema Hybrid Federn lassen: Zwar dürfen sie weiter 200 kW elektrische Leistung einspeisen und an der Vorderachse boosten, während die LMDh-Autos nur maximal 50 kW an der Hinterachse nutzen. Aber am Ende wurden so viele Vorteile eliminiert, dass die LMH-Hersteller mit Blick auf ihr Hybridsystem heute über den teuersten Ballast der Motorsportgeschichte jammern.

Dazu wurde die Grenzgeschwindigkeit für den Hybrid-Einsatz von 120 auf 190 km/h erhöht, womit der Traktionsvorteil verschwunden ist. Zwar ist die elektrische Leistung der LMH-Autos höher, aber es gibt keinen Vorteil über den höheren Boost, weil der Grenzwert von round about 700 PS auch dann gilt, wenn elektrische Energie eingespeist wird, weshalb in diesem Fall die Verbrennerleistung zurückgefahren werden muss. Und weil der Verbrauch über die BOP gleichgeschaltet ist, gibt es logischerweise auch keinen Reichweitenvorteil.

6. Der Allrad: Das LMH-Regelwerk sah immer vor, dass die WEC-Autos ihre elektrische Energie an der Vorderachse boosten können, was sie zu temporären Allradlern macht – und das war über die Konvergenzverhandlungen auch nicht mehr rückgängig zu machen, weil LMH-Hersteller wie Toyota ihre Autos bereits fertig entwickelt hatten. Dementsprechend mussten besonders die Vorteile der Verwendung eines Vorderachsdifferenzials beim Bremsen, Einlenken sowie bei der Fahrzeug-Rotation durch die Kurve über neue Bestimmungen künstlich heruntergefahren werden. Damit wurden die Ingenieursleistungen auf der LMH-Hybridseite de facto kastriert. Die LMH-Hersteller stimmten dem Kompromiss zähneknirschend zu, weil sonst die transatlantische Kooperation gescheitert wäre. Den einzigen kleinen Restvorteil hat die LMH-Meute jetzt noch bei Regen – wie Peugeot 2023 in Le Mans demonstrieren konnte.

Peugeot 9X8 2024 - Le-Mans-Hypercar mit Heckflügel
Peugeot Sport

Peugeot baut wie Toyota und Ferrari ein LMH-Fahrzeug. Der 9X8 bekam für 2024 einen konventionellen Heckflügel verpasst.

LMDh-Vorteil: numerische Überlegenheit

Trotz der starken Beschränkungen bei Hybrid und Allrad waren die LMH-Hersteller 2023 krass bevorteilt, sei es prinzipiell oder über die BOP. Man muss ACO und FIA Hochachtung dafür zollen, dass sie die verbliebenen Baustellen über ein neues BOP-System für 2024 konsequent ausgefegt haben: So wurde das Gewichtsfenster primär zulasten der LMH-Autos auf bis zu 1100 Kilo erhöht, die Startgewichte sind jetzt wegen der unterschiedlichen Verbräuche in der BOP genauso berücksichtigt wie die unterschiedlichen Fahrzeug-Sensitivitäten bei hohen Geschwindigkeiten.

Der BOP-Schwenk hat am Ende natürlich auch mit der numerischen Übermacht der LMDh-Hersteller zu tun: Porsche und Cadillac waren 2023 noch in der Unterzahl gegen die drei LMH-Marken Toyota, Ferrari und Peugeot. Mit dem Zutritt von Alpine, BMW und Lamborghini steht es 2024 jetzt 5 : 3 zugunsten der LMDh-Fraktion. Das erhöht den Druck auf die BOP. Ein Restrisiko bei der BOP bleibt freilich bestehen, denn die LMH-Hersteller nutzen die vom Reglement gewährten Upgrade-Möglichkeiten konsequent zu ihren Gunsten aus: Toyota hat den GR010 Hybrid bereits zweimal einer größeren Überarbeitung auch mithilfe sogenannter Joker unterzogen.

Über den Homologationszeitraum von fünf Jahren dürfen die Hersteller fünf Joker ziehen, um aus Gründen der Sicherheit, Servicefreundlichkeit oder Zuverlässigkeit nachzubessern – doch diese Bestimmung war im Motorsport schon immer eine Grauzone. Ferrari plant bereits ein Joker-Modell für 2025, und Peugeot hat gerade den 9X8 einer so grundlegenden Revision unterzogen, dass man eigentlich fast von einem komplett neuen Hypercar sprechen könnte. Die Joker-Hürden in der LMDh-Klasse sind auch aus Kostengründen deutlich höher, weshalb es für 2024 kaum Modifikationen gegeben hat. Nur Porsche hat ein paar Kleinigkeiten geradegezogen, aber angeblich ohne Verwendung von Jokern.

Zum Schluss noch ein paar Takte zum Thema Kosten, denn das war ja eigentlich der große Ankerpunkt der neuen Technik-Reglements: Die alten LMP1-Hybrid-Autos verschlangen Budgets von angeblich 200 Millionen Euro pro Jahr, weil die technische Weiterentwicklung erlaubt und erwünscht war. Die amerikanische LMDh-Klasse verwendet mehr Einheitsbauteile, die Entwicklungskosten für ein LMDh-Auto liegen angeblich im Bereich von 20 Millionen Euro. Weil die LMH-Hersteller mehr technische Freiheiten haben, sind die Autos auch teurer. Um wie viel genau, das wissen wir nicht. Die Regelgeber ACO und FIA behaupten, dass die LMH-Autos 80 Prozent billiger seien als die sündteuren LMP1-Hybridwagen, was für eine Untergrenze von etwa 40 Millionen Euro spräche. Die LMDh-Hersteller glauben, dass ein LMH-Auto mindestens 50 bis 60 Millionen Euro koste.

Egal ob bei der Technik oder den Kosten, das Leitmotiv der neuen Hypercar-Klasse lautet weiterhin: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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