Fast wäre es beim letzten WM-Lauf in Spa schon passiert: Das Alpine-Trio Mick Schumacher, Frédéric Makowiecki und Jules Gounon schrammte knapp am ersten WEC-Erfolg vorbei. "Alpine war in Spa unser schärfster Widersacher", hielt Giuliano Salvi, Einsatzleiter beim siegreichen Ferrari-Hypercar-Team, mit respektvollem Unterton fest.
Im Mittelstint konnte Gounon für 30 Runden das Rennen anführen. In der Schlussphase kämpfte Mick Schumacher um den Sieg, bis ihn ein schleichender Plattfuß zu einem frühen Zusatzstopp zwang und letztlich für den Rückfall sorgte. Trotzdem: Mit zwei dritten Plätzen in Imola und Spa dokumentierte das französische Hypercar-Team seinen Anspruch, die Spitze des WM-Feldes aufzumischen.
Alpine stieg ja erst 2024 mit dem LMDh-Flitzer A424 in die Sportwagen-WM ein. Bereits beim siebten Lauf in Fuji holte Schumacher mit seinen Teamkollegen den ersten Podestplatz. "Wir haben gerade einen guten Lauf mit drei Podestplätzen in nur fünf Rennen", hielt Alpine-Sportchef Bruno Famin nach Spa fest. "Wir konnten unser Paket über den Winter noch mal deutlich verbessern, und die Ergebnisse zeigen unsere Fortschritte. Besonders die ersten Führungskilometer in Spa waren ein Boost für das Team."

Alpine agierte bei der Generalprobe in Spa lange auf Augenhöhe mit Ferrari – und das völlig verdient.
Sieger-Mindset als Pflicht
Der erfahrene Sportchef Famin, der in gleicher Funktion bereits mit dem Peugeot 908 HDI zwischen 2007 und 2012 viele Erfolge und einen Le-Mans-Sieg gegen Audi einfahren konnte, bleibt jedoch realistisch: "Auf der operativen Seite haben wir schon noch einige Themen abzuarbeiten."
Famin gilt in der Endurance-Szene als jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. "Man kommt als Team nur weiter, wenn man alle Fehler offen anspricht und daraus lernt", so Famin. Team- und Kritikfähigkeit haben für den Alpine-Boss die höchste Priorität. "Ich verlange von unseren Fahrern das richtige Mindset: Sie müssen alles geben, um als Crew zu funktionieren und das Team besser zu machen."
Dass Alpine von Anfang an auf dem richtigen Weg war, belegte schon die Debütsaison 2024. Wichtiger als das erste Podium in Fuji war der vierte Platz in der Hersteller-WM, womit der Neueinsteiger auf Anhieb erfahrenere Marken wie BMW, Cadillac oder Peugeot hinter sich ließ.

Schon zu seinen Zeiten bei Peugeot pflegte Top-Manager Bruno Famin eine klare Linie bei seinem Programm.
Erfahrene Führungsspitze
Famin ist auch selbst ein Faktor des Erfolgs: Der Sportchef kennt Le Mans und den Langstreckensport aus dem Effeff. Er kennt alle wichtigen Schlüsselpersonen in der FIA und beim Le-Mans-Ausrichter ACO. Die Erfahrung von Famin half bei den ersten zentralen Vorentscheidungen des A424-Projektes: Mit Chassispartner Oreca haben Famin und Alpine sicher die richtige Wahl getroffen.
Der 3,4-Liter große V6-Monoturbomotor von Mecachrome benötigte allerdings zwei Updates: Ende 2024 änderte man die Einlassnockenwelle, 2025 folgten eine neue Auslassnockenwelle sowie ein neuer Turbolader. "Das waren aber alles reine Haltbarkeitsthemen, bei Leistung und Drehmoment sind wir mit dem V6-Motor sehr zufrieden", lobt Famin.
Die sportlichen Ziele für 2025 sind nicht definiert: "Wir müssen uns weiter verbessern, dann kommen auch die Resultate", sagt Famin. Ein gutes Ergebnis in Le Mans wäre schön, aber Famin verweist darauf, wie knifflig das heutzutage ist: "Wir haben acht Hersteller, die auf einem hohen Niveau arbeiten. Da ist es schon eine Leistung, in Le Mans überhaupt in die Top 10 zu fahren. Cadillac hat vier Autos, Porsche und Ferrari jeweils drei – das sind schon zehn! Dazu kommen noch Toyota und BMW…"

2024 flog Alpine beim Heimspiel ganz böse auf die Nase. Das Sorgenkind Motor erhielt seitdem umfangreiche Updates.
BOP-Änderung als Nachteil
Und am Ende spielt natürlich auch das Thema Balance of Performance (BOP) eine Rolle: "Mit der sogenannten Two-Stage-Anpassung für Geschwindigkeiten oberhalb von 250 km/h haben die WM-Veranstalter die Regeln während des Spiels geändert", kritisiert Famin. "Denn wir haben unsere technischen Entscheidungen getroffen, als es das zweistufige BOP-System noch gar nicht gab." Was Famin meint: Alpine hat sich beim Performance-Fenster für die Aerodynamik für weniger Luftwiderstand und damit für mehr Topspeed entschieden. Diesen kleinen Spielraum bietet das Regelwerk.
Mick Schumacher, der das Alpine-Topauto mit der Nummer 36 anführt und sich das Cockpit mit den Franzosen Frédéric Makowiecki und Jules Gounon teilt, schätzt die Lage ähnlich ein wie sein Boss Famin: "Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass wir beim Topspeed überall gut aussehen, aber in kurvigen Passagen waren Cadillac, Ferrari oder Porsche immer einen Tick schneller. Das ist auch eine Folge von technischen Grundsatzentscheidungen, die in der Konzeptphase getroffen wurden." Wir führen den Satz zu Ende: Die zweistufige BOP beraubt Alpine dieser Vorteile – das gilt natürlich besonders für den Topspeed-Tempel Le Mans.
Schumacher ist im zweiten Jahr in der WEC endgültig im Langstreckensport angekommen. Er war bei allen drei Podestplatzierungen für Alpine direkt beteiligt. Der Sohn von Michael Schumacher fühlt sich jetzt noch wohler als 2024: "Im letzten Jahr hat uns immer ein wenig Performance auf das Schwesterauto gefehlt – und wir haben nie herausfinden können, warum", sagt Schumacher. "Wir haben alles getauscht, außer dem Chassis, aber es hat nichts geholfen."

Gute Gründe für ein Lächeln: Schumacher fühlt sich im A424 deutlich wohler.
Lernprozess für F1-Absolvent Schumacher
Bei einem Test kurz nach dem Saisonstart in Katar brannte das Chassis des Schwesterautos (#35) ab, in der Folge bekamen Schumacher, Makowiecki und Gounon ein neues Monocoque. Die zweite Fahrercrew Ferdinand Habsburg, Paul-Loup Chatin und Charles Milesi übernahm das alte Auto von Schumacher. Und siehe da: Seit Imola war Nummer 36 immer schneller als die #35.
Schumacher hatte seine neuen Teamkollegen vor dem Imola-Rennen in seine Schweizer Heimat eingeladen, damit sich alle besser kennenlernen können. "Frédéric und Jules haben extrem viel Erfahrung im Langstreckensport. Ihr konstruktives Feedback war für mich sehr wertvoll. Wir sind als Team jetzt wirklich zusammengewachsen." Schumacher übernahm in Imola und Spa die entscheidenden Doppelstints im Finale, in Spa fuhr er dabei die viertschnellste Rennrunde. Im Durchschnitt war er der zweitschnellste Fahrer hinter Alessandro Pier Guidi im siegreichen Ferrari mit der Nummer 51.
Schumacher gibt zu, dass er Zeit brauchte, um sich auf die Langstrecke einzuschießen. Das Fahren selbst und der Fahrstil waren dabei eher ein untergeordneter Punkt: "Die Hypercars brauchen einen anderen Fahrstil als ein Formel-1-Auto, was aber logisch ist, weil die Hypercars schwerer sind, weniger Abtrieb und schmalere Reifen haben. Aber ich lerne schnell und kann mich gut anpassen, insofern war der Umstieg vom Formelauto auf die Hypercars kein Problem."

Auf dem Traditionskurs von Imola verfestigte sich die starke Alpine-Frühform. Auch zwischenmenschlich fand man Verbesserungen.
Nächster Höhepunkt in Le Mans
Für Schumacher ist das keine Frage der Disziplin, sondern der Philosophie: "Motorsport heißt, dass man in allen möglichen Szenarien schnell sein muss. Insofern sind die Hypercars eine positive Station für mich, egal, wo mein Weg auch hingehen wird – und vielleicht bleiben sie ja auch dauerhaft eine positive Erfahrung." Wie hinreichend bekannt hat Schumacher die Hoffnung auf die Fortsetzung seiner F1-Karriere noch nicht aufgegeben und lotet gerade weiterhin Szenarien einer Rückkehr aus.
Die größte Herausforderung war für Schumacher das Verkehrsgetümmel. "Ich bin vorher nie Rennen mit mehreren Fahrzeugklassen gefahren, also muss man das Timing im Verkehr mit den GT3-Autos erst lernen, und das geht nur real, also im Rennen auf der Strecke und nicht im Simulator. Das war für mich die größte Hürde. Mit der Zeit lernt man, sich im Verkehr einen Plan zurechtzulegen und das Timing der Überrundungen zu optimieren. Manchmal gibt es aber immer noch einen Schreckmoment, wo es nicht so läuft wie geplant."
Die verwirrende Reifensituation war für den 26-Jährigen auch ein neues Thema: "Die Reifensituation ist wegen der Regeln komplex und ungewohnt. Oft splitten wir Mischungen für die beiden Fahrzeugseiten, manchmal auch für vorn und hinten, was kurios ist. Andererseits kann man so kreativer arbeiten als in anderen Serien." Und Le Mans? "Unser Trend bei der Performance zeigt klar nach oben, also freue ich mich natürlich auf das Highlight Le Mans."