Dass wir Ihnen im Ressort Gebrauchtwagen echte Geheimtipps empfehlen, kommt gar nicht so häufig vor. Wer wirklich die berühmte eierlegende Wollmilchsau zum Schnäppchenpreis und mit absolut problemloser Haltbarkeit sucht, wird nur in Einzelfällen fündig. Trotzdem finden sich in allen möglichen Fahrzeugklassen Gebrauchte, die im Vergleich zur direkten Konkurrenz oft deutlich günstiger sind. Wie kommt's? Wo ist der Haken? Und warum greifen am Ende doch so viele zur bewährten Mainstream-Ware?
Wohin verschwand die Vielfalt der Mittelklasse?
Bedienen wir uns als Beispiel mal ganz klassisch der Mittelklasse. Was die Käufergunst angeht, liegt die hierzulande meist in deutscher Hand bei VW und Opel, oder bei den Premiumherstellern, wenn's ein wenig mehr sein darf. Manch reizvolle Alternative kommt aus Japan, jedoch ohne allzu große Kostenersparnis. 2001 brachte Škoda den ersten neuzeitlichen Superb und servierte bewährte Passat-Technik mit hohem Komfort und enormem Platzangebot. Das war für kurze Zeit ein Geheimtipp und ist seitdem eine echte Größe in der hiesigen Mittelklasse-Welt. Schon viel länger gibt es Mittelklassemodelle aus Frankreich, etwa von Renault und Peugeot. Die waren einst auch in Deutschland sehr erfolgreich. An jeder Ecke standen Renault 21 oder Laguna, Peugeot 405 oder 406. Sie alle waren im Design eher konservativ, boten problemlose Technik, guten Komfort und günstige Preise. Und dann?

Wir vergleichen Peugeot 508, Renault Talisman und Škoda Superb im Blick auf ihre Empfehlbarkeit im Gebrauchtkauf. Sind Underdogs auch Geheimtipps?
Etwa seit der Ära des Golf 4, also seit den späten 1990er-Jahren, wuchs die Popularität (und besonders das Platzangebot) von hochwertigen Kompaktmodellen, die immer langstreckentauglicher wurden. Gleichzeitig begann der Siegeszug kleinerer SUV als Familienautos. Beides grub Kundschaft aus der Mittelklasse ab. Darunter litten am auffälligsten die simpel ausgestatteten Limousinen mit kleinem Benzinmotor, die einst den Standard für Familien darstellten. Nur die richtig populären Autos überlebten, vorzugsweise mit starkem Dieselmotor für Außendienst und Langstreckenfahrer. Seitdem trennte sich die Spreu vom Weizen. Ein Effekt, den Gebrauchtkäufer, die auf der Suche nach einem besonders cleveren Kauf sind, bis heute spüren. Hier sind drei Beispiele.
1. Peugeot 508 (2. Generation, seit 2018)
Ohne Zweifel ist Peugeots Flaggschiff auch bei uns kein seltenes Auto. Rund 1.000 Stück finden sich in den Onlineportalen, und es gibt eine große Auswahl an Ausstattungs- und Motorversionen. Auch in Neuwagentests hat der 508 nicht unbedingt schlecht abgeschnitten. Ja, er ist kein Raumwunder, und seine Bedienung ein wenig gewöhnungsbedürftig, dafür schwärmten und schwärmen alle von seinem tollen Design, welches auf viele irgendwie Jaguar-esk wirkte. Auch in der Haltbarkeit schlägt er sich bisweilen relativ solide. Und trotzdem finden sich gebrauchte 508 deutlich günstiger als die erprobten Bestseller aus Deutschland. Nicht selten liegt ein beradkappter Trendline-Passat mit Stoffsitzen rund 2-3.000 Euro über einem nobel ausstaffierten 508 mit allen Sperenzchen. Wo ist also der Haken?

Wow, was für ein Cockpit. Materialauswahl und Design ähneln noch heute einer Zukunftsstudie. Ergonomie und Bedienbarkeit gehen freilich besser, doch die Wohlfühlatmosphäre überwiegt.
Obwohl der 508 kein schlechtes Auto ist, fühlten sich Neuwagenkäufer und Flottenmanager mit Passat, Insignia und Co. wohler. Entsprechend fällt der Wertverlust des Peugeot höher aus. Weil das auch den Käufern von jungen Gebrauchten klar ist, wird ihr Stand noch schwerer und die Preise sinken von Jahr zu Jahr weiter. Hinzu kommt, dass der eigenwillig gestylte Vorgänger relativ häufig mit Problemen und Schwächen zu kämpfen hatte – das schadet dem Ruf.
Kauftipps für gebrauchte Peugeot 508
Wer einen gediegenen Mittelklassewagen für die Langstrecke sucht, plant in der Regel nur mit einer Handvoll Jahren, ehe der nächste "neue" her soll. Hier kann der 508 rein finanziell also nicht allzu gut punkten. Zehnjährige Exemplare werden prozentual noch deutlicher unter dem Restwert der Konkurrenz liegen. Wer jedoch kein Kilometerfresser ist und nicht vorhat, sich wieder von seinem Neuerwerb zu trennen, der kann sich aktuell den Preisvorteil zunutze machen. Das geht am besten, wenn man das Verwöhnpotenzial des Peugeot voll ausnutzt. Der Zweiliter "Einheitsdiesel", der in unzähligen Stellantis-Produkten und weit darüber hinaus Verwendung fand, gilt als bewährt, stellt keine Werkstatt vor Herausforderungen und stellt immer ein üppiges Angebot an Leistung parat – egal ob mit 163 oder 177 PS. Noch dazu ist er richtig sparsam und erfüllt stets die Euro-6-Norm. Auch wenn die Basisversion "Active" völlig brauchbar ausgestattet ist, gehen Sie gezielt auf die Topmodelle "GT". Die behalten ihren Wert am besten und bringen außerdem auch Design- und Technikleckerbissen am besten zur Geltung. Die Haltbarkeit der Schaltgetriebe im 508 hängt offenbar stark vom Nutzungsverhalten ab. Trotzdem werden immer wieder Ausfälle bekannt. Besser die Automatik wählen. Die funktioniert gut, ist aber ebenfalls nicht ganz problemlos. Unpassende Schaltvorgänge und stolperiges Anfahren zeugen für einen dringend nötigen Getriebeölwechsel mit Spülung. Der geht ins Geld, ist aber sehr wichtig. Schon ab etwa 14.000 Euro gibt es einwandfreie Exemplare. Die Aufpreise für taufrische Laufleistungen und feine Ausstattungen sind gering und sollten sich keinesfalls auf über 20.000 Euro aufschaukeln.

Es gibt ja Philosophen, die sagen, ein Auto taugt nur dann was, wenn man sich nach dem Verriegeln noch mal umdreht, um es zu bewundern. Das erfüllt der Peugeot. Dafür bleibt ein wenig Nutzraum auf der Strecke.
2. Renault Talisman (1. Generation 2015-2022)
Hier wird's noch deutlicher. Mit einem eigenständigen Namen fällt kaum auf, dass er letztlich den Renault Laguna beerbt, der sich durch häufige Ausfälle und Technikprobleme den Ruf nachhaltig bekleckert hat. Umgekehrt erfreut der größte Renault mit einem zeitlosen Design, durchaus nach deutschem Geschmack, und bietet noch dazu viel Platz. Und im Netz wird schnell deutlich: a) es gibt kaum welche (nur rund 500 Stück) und b) sie sind mit Preisen ab gut 11.000 Euro deutlich günstiger als die Mainstream-Mittelklasse. Macht ihn das also noch deutlicher zum Geheimtipp? Nein. Denn zu den suboptimalen Verkaufsumständen für gebrauchte Franzosen kommt beim Renault eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten, die ihm schon im Neuwagentest bessere Noten verbauten.

Stilsicher, komfortabel, nobel. Das Talisman-Cockpit gehört zu den angenehmsten Innenräumen, die die Mittelklasse zu bieten hat. Allerdings nur für Beifahrer, die nichts bedienen müssen. Ein Verdruss-Beispiel: Der Tempomat belegt eine ganze Lenkradspeiche. Er funktioniert allerdings erst dann, wenn man ihn zwischen den Sitzen einschaltet.
Wir meckern hier auf hohem Niveau, denn als reines Fortbewegungsmittel eignet sich der Talisman mit seinem guten Fahrkomfort und dem angenehm hochwertig gestalteten Interieur bestens. Doch gerade, wenn es um die Abstimmung von Antrieb und Lenkung, oder die Bedienbarkeit aller elektronischen Funktionen geht, sind Vielfahrer, die anderes gewohnt sind, schnell irritiert. Die relativ durchzugsschwachen Motoren sind entweder an ein unpräzises Sechsgang-Schaltgetriebe gekoppelt oder mühen sich mit einem Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe ab, was allzu oft wirr und tölpelig schaltet und ein sanftes Anfahren nicht immer beherrscht. Die Anzeigevielfalt im serienmäßigen Digital-Kombiinstrument (übrigens großflächig von zwei analogen Zeigern flankiert) ist lächerlich gering und bietet neben bunten Skalen für die Drehzahl nur zwei flache Zeilen für tatsächliche Bordcomputer-Informationen an. Dass Renault optional eine Allradlenkung anbot, ist löblich, doch verschlechtert sie im Alltag das Handling durch ihre starke Nervosität. Immerhin schrumpft mit ihr der arg große Wendekreis. Niemand fragt nach einer automatischen Türverriegelung, die mit penetrantem "Piep-Piep" den Wagen absperrt, wenn man nur vom Fahrerplatz zu Kofferraum oder Beifahrertür laufen möchte. In Summe bietet der Talisman viele gute Ideen, die aber alle nicht allzu harmonisch auf die Straße gebracht werden. Je mehr Ausstattung vorhanden ist, desto größer ist oftmals der Bedienverdruss, selbst wenn gemütliche Sitze und feine Edelholzblenden durchaus besänftigen können.
Kauftipps für gebrauchte Renault Talisman
Hier wird's wirklich eng, gute Gründe zu finden. Ein basisch ausgestatteter Talisman Kombi der Linie "Life" ohne die hektisch drauflos schaltende Automatik und das haarsträubende Hochkant-Infotainment liegt am nächsten an der eingangs erwähnten "altmodischen" Mittelklasse, bei der es mehr um günstige Preise, Komfort und Platzangebot geht, als um technische Raffinesse. Findet sich ein derartiger Talisman in gutem Zustand zu einem explizit niedrigen Preis (nicht mehr als 15.000 Euro), darf man zugreifen und sich über das gute Preis-Leistungs-Verhältnis und die recht langlebige Technik freuen. In jedem anderen Fall lohnt die Suche nach einem anderen Wagen. Das untermauern auch unzählige Foreneinträge von frustrierten Besitzern, weil ständig irgendeine Kleinigkeit nicht ordnungsgemäß funktioniert.

Stilsicher, aber nun mal leider nicht allzu gekonnt abgestimmt. Fahrerisch lässt der Talisman viel Potenzial auf der Strecke.
3. Škoda Superb (3. Generation, 2015-2023)
Als Gegenbeispiel zu den Underdogs dient uns in diesem Vergleich der erst kürzlich abgelöste Škoda Superb. Auch jeder andere Mainstream-Mittelklässler könnte hier stehen. Wer französische Autos liebt, mag genervt mit den Augen rollen. Da kassiert der formschöne Talisman einen Verriss und gleich darauf loben wir den stocknüchternen Superb in den Himmel, und das, obwohl er an jeder Ecke zu sehen ist, und auf viele so aufregend wirken mag wie lauwarmer Kamillentee. Ja, da ist was dran. Doch der ewige Triumph von Autos wie dem Superb ist, dass sie bis ins kleinste Detail absolut zweckmäßig gemacht sind. Sie geben keine Rätsel auf, sondern funktionieren ganz einfach genau so, wie man es sich vorstellt. Kein Kubikzentimeter Platz wird zugunsten irgendwelcher Design-Avancen verschenkt, die letztlich auf dem Ikea-Parkplatz ohnehin niemanden interessieren. Das sind Vorzüge, die nicht nur Neuwagenkäufer und -tester begeisterten, sondern die überdies das ganze Autoleben lang vorhalten. Näher als ein Superb oder Passat Kombi ist kein neuzeitlicher PKW an den kultigen Volvo-Kombis der 80er, die bis heute von einer ganz eigenen Fangemeinde verehrt werden. Und allzu weit ist auch ihre Haltbarkeit nicht davon entfernt.

Hochwertig und klar zu bedienen - deshalb ist der Superb in diesem Vergleich unser Musterknabe. Der fitzelige Touchscreen vom Top-Navi und die Hochglanz-Klimaknöpfe sind hier allerdings schon modische Zugeständnisse. Das können frühere und günstigere Superbs noch besser.
Genau das schlägt sich auch im Preis nieder. Mit rund 16.000 Euro liegen die günstigsten der über 2.000 Exemplare im Netz von Anfang an über den Franzosen. Und dann ist oftmals fast nichts an Sonderausstattung an Bord. Superbs, die ähnlich gut ausgestattet sind wie die üblichen 508 oder Talisman, bleiben nur selten unter der 20.000-Euro-Marke. Dafür erkauft man sich den Vorteil der sauberen Fahrabstimmung, der harmonischsten Bedienung und der flächendeckend problemlosen Reparierbarkeit dank millionenfach bewährter VW-Technik. Beim Wiederverkauf können Sie sich wiederum sicher sein, eine ganze Stange mehr Geld zu bekommen, als für einen der beiden Franzosen.
Kauftipps für gebrauchte Škoda Superb
Dem grundsätzlich guten Ruf können Sie in unserer großen Kaufberatung zum Superb (siehe oben) auf den Grund gehen. Das gilt auch für kleinere Technikmängel, wie Kühlmittelverlust oder Bremsverschleiß, die gelegentlich problematisch werden können. Wichtiger beim Kauf eines so beliebten und häufig angebotenen Autos sind Zustand und Historie. Ob der Vorbesitzer ein liebloser Kilometerfresser war oder ein pflegebegeisterter Vielfahrer, zeigt meist erst der Besuch am Auto. Passen Rechnungen und die Einträge im Wartungsheft? Entspricht die Ausstattung und die Motorisierung Ihren Wünschen? Wurde (bei höheren Kilometerständen) das optionale Doppelkupplungsgetriebe bereits gespült? Dann dürfen Sie relativ gelassen einer langen und zuverlässigen Zukunft mit dem Superb entgegenblicken. Schnäppchen mit mittlerer Ausstattung finden sich um 18.000 Euro, wobei auch die sehr wertig ausgestatteten Versionen der gehobenen Linien eine Sünde wert sind. Hier liegt man um 22.000 Euro.