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Mit Gorden Wagener im Mercedes-Museum
Auf Zeitreise mit dem Daimler-Designchef

Welche Typen „echte Männer“ sind, weshalb er Porsche mag und was einen dreiachsigen Schwerlast-Lkw aus den 50er-Jahren mit einem modernen Elektro-Crossover verbindet, erzählt Daimler-Designchef Gorden Wagener bei einem Rundgang durch das Mercedes-Museum.

Mit Gorden Wagener im Mercedes-Museum
Foto: Daniele Di Miero

Der benachbarte Musikverein Untertürkheim würde sich bestimmt freuen. Vereine leiden ja häufig unter Mitgliederschwund. Gorden Wagener könnte einspringen. Mit geradezu übermütiger Begeisterung drückt der Design-Verantwortliche des Daimler-Konzerns auf der Hupe des Mercedes Simplex 40 PS von 1902 herum – einem massiven, rechts außen an der Karosserie angebrachten Blasinstrument. „Fantastisch. Das ist ein echtes Musikinstrument aus massivem Messing“, jubelt Wagener. Dann bröckelt die Begeisterung ein wenig, Erinnerungen werden wach. „Als Kind musste ich Zugposaune spielen. Ich fand’s furchtbar und war froh, als meine Eltern ein Einsehen hatten und ich aufhören durfte“, erzählt der Designer. Schnell findet er die Begeisterung wieder, streicht über die kleinen Glasröhren links vom mächtigen Lenkrad, sozusagen Kontrollinstrumente, eines für jeden Schmierpunkt am Fahrzeug.

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Der Vorgänger dieses Modells, die 35-PS-Variante, pröttelte im März 1901 alle anderen Teilnehmer der Rennwoche von Nizza, in der sich die damaligen Automobilisten austobten, an die Wand. Demnächst sollen von der Côte d’Azur aus Ideen für neue Fahrzeuge in Richtung Stuttgart purzeln, ein Designstudio wird eröffnet. „Die Côte d’Azur ist so was wie das Silicon Valley Frankreichs, dort sind viele Unternehmen der Gaming-Industrie ansässig.“ Was nützen die Mercedes? „Die Mitarbeiter dieser Branche beherrschen sozusagen den virtuellen Luxus. Denn in Computerspielen kannst du ja viele Features dazukaufen.“ Es geht also offenbar darum, digitale Begehrlichkeiten zu wecken.

Analoge Begehrlichkeiten

Mit Gorden Wagener im Mercedes-Museum
Daniele Di Miero
Die massiven analogen Kontrollinstrumente des Mercedes Simplex 40 PS von 1902 stehen im Kontrast zur Smartwatch am Handgelenk des Designchefs.

Ganz analoge hingegen belegen das Museum. In erdrückender Menge. Museumschef Christian Boucke übergab Wagener vorhin die Schlüssel, verabschiedete sich in den Feierabend. „Sperrt ab, wenn ihr fertig seid.“ Aber natürlich. Der Designchef freut sich, er sei schon länger nicht mehr hier gewesen. Er redet nicht lange drum herum, äußert rasch, dass es selbstverständlich sein großer Traum sei, dass auch seine Fahrzeuge einmal zur Dauerausstellung gehörten.

Seit 2008 leitet der gebürtige Essener den Designbereich der Daimler AG, wurde 2016 als Chief Design Officer bestellt. „Als Künstler möchtest du natürlich Geschichte schreiben, eine Ahnenreihe fortsetzen“, sagt er. Und findet, dass die A-Klasse der Baureihe W 178 „in 40 Jahren“ ins Museum gehöre. Sie habe die Marke einer neuen Zielgruppe nahegebracht, der Nachfolger soll nun die Erfolgsgeschichte fortsetzen. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, der wuchtige Sportwagen AMG GT läge näher.

Das exakte Gegenteil der A-Klasse: der 500 K Spezial-Roadster von 1936. Der Designer verliert sich in der Farbe, in der Opulenz der Formen, befindet, dass mehr ja praktisch gar nicht ginge. „Die 30er-Jahre sind fantastisch, Art déco, die fließenden Formen, sich nach unten verjüngende Linien.“ Mit der aktuellen S-Klasse kehrte Mercedes zu diesen Elementen zurück, ein Blick auf das Profil des Hecks lässt keinen Zweifel. „Damals kamen wir von der Keilform, doch gerade ein Luxusauto kann entspannter auftreten.“

Ein Stilwechsel, der sich bis heute auszahlt, denn seit C- und E-Klasse dieses Thema aufnahmen, behauptet sich Mercedes an der Spitze der Premium-Marken. Ob die wunderbaren analogen Instrumente des 500 K auch wieder den Weg zurück in die Moderne finden? Nein, eher nicht, der Trend zu großen Monitoren sei unumkehrbar, so die ernüchternde Antwort.

Aller Laster Anfang

Mit Gorden Wagener im Mercedes-Museum
Daniele Di Miero
Der LP 333 von 1959 ist für Wagener das Lkw-Gesicht überhaupt. Die Einheit von Scheinwerfern und Kühlergrill kehrt gerade beim Elektro-SUV EQC zurück.

Jetzt aber: großes Auto. Der LP 333 von 1959, ein Lkw mit zwei Achsen vorne und einer hinten, weil damals nur so ein Gesamtgewicht von 16 statt 12 Tonnen zulassungsfähig war. „Schau dir die Frontpartie an. Das ist DAS Truck-Gesicht überhaupt, die Einheit von Scheinwerfern und Kühlergrill. Im Prinzip kehrt diese Einheit gerade beim Elektro-SUV EQC zurück. Bei einem Nutzfahrzeug erscheint das geradezu ornamenthaft“, referiert Wagener.

Tja, und dann stehen sie so da, ein 300 SL Roadster, ein 300 SL Coupé und der nur zwei Mal gebaute, 302 PS starke Uhlenhaut-300-SLR, dessen Rennkarriere 1955 endete, bevor sie begann, da sich Mercedes im Oktober aus dem Motorsport verabschiedete. Nervt es nicht, immer derart in Granit gehauene stilistische Meisterleistungen vorgehalten zu bekommen? „Du musst die Historie verstehen, aber nicht vor ihr in Ehrfurcht erstarren“, entgegnet der Designer, klettert durch die schmale, von der Flügeltür freigegebene Luke, fädelt die Beine in den engen Fußraum ein, während ein Museumsmitarbeiter schnell einen Mottenfänger vom Fahrersitz fischt. „Und so wollten die damals Rennen fahren? Irre!“

Die Zeitreise geht weiter. Mit dem 63er 230 SL („Pagode“) fremdelt Wagener ein wenig, attestiert ihm aber den Zeitgeist der 60er-Jahre – schlanke Formen, optische Leichtigkeit. Der SLS dagegen: „Gravitätisch, ein typisches Baby der Nullerjahre.“ An der Studie Concept Intelligent Aerodynamic Automobile (IAA) von 2017 kniet Gorden Wagener am Heck nieder, denkt nach, sagt: „Eigentlich wollten wir das Heck in Serie bringen, haben es aber bislang nicht geschafft. Vielleicht sieht ja so die Elektroversion des nächsten CLA aus.“ An der Front finden sich auch hier Parallelen zum Lkw aus den 50ern.

Die Zugmaschinen in der als Steilkurve angelegten Rennsport-Ausstellung finden dagegen keine Beachtung, die Monopostos aus den 30er-Jahren dagegen umso mehr. Speziell die frühe Variante des W 25, wegen „des besonders puristischen Designs“. Bis zu 433 PS leisten die V8-Kompressormotoren der diversen Evolutionsstufen, allesamt stecken sie in dünnhäutigen Sportwagen ohne nennenswertes Fahrwerk. Oder nennenswerte Bremsen. Wagener, Jahrgang 1968, umrundet das Exponat immer wieder bewundernd. „Was für Typen müssen das gewesen sein, die damals mit diesen Dingern Rennen fuhren?“ Echte Männer, beschließt er, müssen das gewesen sein.

Ferry interesting

Mit Gorden Wagener im Mercedes-Museum
Daniele Di Miero
Die Zugmaschinen in der als Steilkurve angelegten Rennsport-Ausstellung finden keine Beachtung, die Monopostos aus den 30er-Jahren dafür umso mehr. Speziell die frühe Variante des W 25, wegen „des besonders puristischen Designs“.

Überhaupt die Sportwagen. Wagener ist überzeugt, dass es in den nächsten Jahren weniger relevant werde, wie sich ein Auto fährt. Mit der gleichen Überzeugung glaubt er aber auch an den Gegentrend, eine dann wieder steigende Anzahl an Auto-Enthusiasten, die kleine, leichte Sportwagen mit Hinterradantrieb und manuellem Getriebe wünschen. „Ein kluger Mann sagte einmal, dass das letzte gebaute Auto ein Sportwagen sein werde. Das sehe ich genauso“, sagt Wagener. Er zitiert Ferry Porsche.

Seine Bewunderung lässt er bei den Rennwagen liegen, am Ende der Ausstellung ist nichts mehr davon übrig. Den C 111 findet Wagener zu hager, den W 201 zu „boxy“. Überhaupt seien die 70er- und 80er-Jahre Epochen, deren Trends bitte dort bleiben mögen. Er dürfe das sagen, schließlich waren die 80er seine Jugend. Überhaupt die Musik, Depeche Mode zählt für ihn zu den Größten. Nun, der Musikverein Untertürkheim führt in seinem Repertoire nicht explizit New oder gar Electronic Wave als Stilrichtung auf, aber Pop, immerhin. Da lässt sich doch bestimmt was arrangieren, auf der Messinghupe des Simplex.

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