Alberto Longo hätte nichts gegen neue Rivalen. Der Co-Gründer der Formel E und Chief Championship Officer weiß wohl wie kein anderer, was für ein gewaltiges Risiko mit der Gründung einer Elektro-Rennserie verbunden ist. Dementsprechend freundlich fallen seine Worte hinsichtlich neuer Projekte aus: "Viel Erfolg dabei! Je mehr Meisterschaften, desto besser. Ambitionierte, finanziell mutige Promoter mit Kreativität, wie wir es vor zehn Jahren selbst waren, tun dem Sport gut. Ich meine es bodenständig, wenn ich sage: Dass wir es an die Spitze der Szene geschafft haben, zeigt, dass es auch anderen gelingen kann."
Bezüglich möglicher Kooperationen zieht der Spanier allerdings eine Grenze. "Unser Konzept mit Stadtrennen ist herausfordernd bei der Aufnahme anderer Serien ins Programm. Das Areal wird zum Beispiel bei der Bandenwerbung klar auf die Haupt-Meisterschaft ausgelegt und kann nicht in kurzer Zeit verändert werden. Etliche Championate dürfen sich derartige Sponsoring-Einbußen nicht erlauben." Sprich: Wenn es um Geld geht, hört die Freundschaft eben doch schnell auf.

Die Kosten für die Formel-E-Autos sind weiterhin hoch, aber die Technik wird vorzeigbarer.
Kostenkiller Elektro
Genau hier lässt sich der Ursprung der misslichen Lage des Elektro-Rennsports ausmachen. Obwohl Stromer längst zum Straßenbild gehören und Hersteller Unsummen in ihre Entwicklung stecken, bleiben sie im Vergleich zum Verbrenner-Status-quo eine kostspielige, weil technisch auf vielen Ebenen kompliziertere Alternative. Rechnet man die marktwirtschaftlichen Effekte – Stichwort Subventionen – heraus und bricht es auf die für den Rennsport ausschließlich relevante Technik herunter, bleibt es noch mehr beim Fazit: E-Renner sind teurer. Könnte sich die Lücke künftig stark verkleinern? Je nach Studie zeigt die Tendenz klar dorthin.
Da das Racing aber in der Gegenwart bzw. sogar in der jüngeren Vergangenheit der Technik stattfindet, bleiben die Kosten das größte Risiko. Organisatoren müssen nicht nur eine angepasste Infrastruktur stellen, sondern auch einen deutlich höheren Entwicklungsaufwand für ihre Elektro-Sportgeräte stemmen oder an Partner wie Hersteller oder Teams auslagern. Diese können die Differenz zum Verbrenner aber ebenso nicht locker wegstecken. Während in Autokonzernen Projekte so stark wie nie zuvor durchleuchtet werden, sind die meisten "klassischen" Teams schon mit Budgets für altbekannte Serien immer mehr überfordert. Dass Elektroantriebe parallel aber die Sponsor-Akquise erleichtern können, wird später im Text noch Thema sein.
Zuerst geht es um die Rolle der Hersteller. Grundsätzlich geben diese den Rennsport nicht auf – ganz im Gegenteil. Auch in der Formel E freuen sich Longo und Co. über eine Vielfalt an Konzernen. Jaguar, Nissan, Porsche und Stellantis (DS sowie Maserati) sind auf Werksebene am Start. Dazu kommen Mahindra und Lola bzw. Yamaha, die zwar mit Herstellern verknüpft sind, aber recht ausgelagert agieren. Für das nächste, technisch deutlich potentere Regelwerk Gen4 haben Jaguar, Lola, Nissan und Porsche rechtzeitig zugesagt. Der Stellantis-Konzern hat hingegen mit beiden Marken auf Zeit gespielt. Jedoch zuckte er kürzlich mit Maserati. Warum steht die DS-Zusage aber aus, Sportchef Jean-Marc Finot? "Stellantis befindet sich bekanntermaßen in einem Umbruch. Dadurch braucht es parallel für unseren Rennsportzweig einen durchdachten Zukunftsplan. Wir nehmen uns diese Zeit, lassen uns bei den Verhandlungen nicht hetzen. Wenn man die Technikentwicklung der vergangenen zehn Saisons betrachtet, erkennt man natürlich den Fortschritt, welchen uns die Teilnahme gebracht hat. Zudem ist die Mehrheitsübernahme durch Liberty in diesem Jahr ein starkes kommerzielles Signal."

Wie die Formel 1 vermarktet Liberty nun hauptverantwortlich die Formel E.
Vergessene Machtfantasie
So oder so ähnlich äußern sich ebenfalls die anderen Top-Manager im Paddock über den Deal. Nach schwierigen Pandemie-Saisons bringt die Investition des US-Medienkonzerns wieder ein gewisses Vertrauen in die Langfristigkeit – das zuletzt fast verloren schien. Vor nicht allzu langer Zeit argumentierten nicht wenige noch, dass eine Zusammenlegung von Formel 1 und Formel E eine logische Konsequenz werden könnte. Etwaige Gedanken sind mittlerweile aufgegeben. Dazu hat sich in Form der WEC ein starker Rivale im Kampf um die Herstellergunst aufgerafft.
Auch wenn die Formel-E-Oberen weiterhin auf einen massiven Aufholprozess hoffen, bleibt die Rangordnung dauerhaft gesetzt. Obendrauf kommt, dass die Schnittmenge mit der Formel 1 bei der Elektro-Technik zwar durch ihr 2026er-Reglement so riesig wie nie zuvor sein wird, hinter den Kulissen aber Überlegungen einer Hybrid-Abkehr an Fahrt aufnehmen. F1-Boss Stefano Domenicali dachte in diesem Sommer laut nach: "Meine persönliche Meinung ist, dass es ausreichen würde, mit klimaneutralem Kraftstoff zu fahren."
Zwei bekannte Serien haben diesen radikalen Schritt 2024 auf den Weg gebracht: Die BTCC und die Rallye-WM schmeißen über den Winter den Hybrid raus. Dafür gibt es die gleichen Gründe: Erstens ist der Zusatz in einer eh schon finanziell schmerzhaften Zeit kaum mehr stemmbar, zweitens sind alternative Kraftstoffe – vor wenigen Jahren nur ein flüssiger Traum – ausgereift. Selbst die noch hohen Literpreise erscheinen im Vergleich als niedrig.

Die ETCR konnte sich in der Vergangenheit nicht durchsetzen.
Geht es auch anders?
Die These, dass die Strecke dem Straßenalltag als Vorbild zuvorkommt, wäre allerdings riskant. Denn obwohl die Schicksale beider Welten direkt verknüpft sind, gelten in der Wirtschaft – im wahrsten Sinne – andere Gesetze. Auch wenn das Verbrenner-Aus politisch unter Druck gerät, sind milliardenschwere E-Investitionen und Modell-Transformationen längst durchlaufen. Wie zuletzt liegt das Fazit nahe, dass der Elektro-Rennsport gekommen ist, um zu bleiben – und wenn er "nur" ein ausgeprägtes Genre darstellt, das PR-Plänen von Herstellern eine Anlaufstelle schenkt. Dank der weiterlaufenden Forschung und Entwicklung könnten Sprünge im Elektrobereich, analog zu erneuerbarem Sprit, das Pendel wieder anders ausschlagen lassen. Dabei dürfte die Formel E sogar eine entscheidende Rolle einnehmen.
Bis dahin gelten Serien wie die STCC und der NXT Gen Cup als Hoffnungsträger. Obwohl sie die Lücken der aufgegebenen ETCR und Extreme E nur bedingt schließen können, führten sie zwei spannende Perspektiven ein. Die skandinavische Traditionsmeisterschaft hat sich ihrem lokalen Markt angepasst und feierte trotz längerer Verzögerungen erste Erfolge. Der Teamchef Tobias Brink erklärt: "Für uns war die Umstellung absolut notwendig, sonst wären wir dieses Jahr vermutlich nicht mehr im Fahrerlager. Dank der E-Autos ziehen wir ganz andere Partner an als bisher." Die Anschaffung sei teurer, der Unterhalt jedoch günstiger. Die Mini zielen hingegen explizit auf Youngster ab. Vielleicht folgen beiden demnächst ähnliche Konzepte. Alberto Longo würde sich freuen.