Schon seit dem frühen Morgen hing ein fieser Regen samt Wind über der Stadtstrecke. Nachdem das zweite Training noch unter grenzwertigen Bedingungen stattgefunden hatte, musste die Qualifikation abgesagt werden. Das FP2-Ergebnis lieferte die Startaufstellung – sehr zur Freude von Nissan.
Spitzenreiter Oliver Rowland bekam so kampflos die Pole-Position, sein Teamkollege Norman Nato begann auf dem dritten Rang. Nissan hatte die drohende Absage antizipiert und beide explizit mit dem Auftrag ins Training geschickt, trotz der Nässe hohes Risiko zu gehen. Edoardo Mortara bestätigte den Mahindra-Aufwärtstrend durch seinen zweiten Platz. McLaren-Pilot Taylor Barnard und Nyck de Vries (Mahindra) komplettierten die Top 5.
Für die Team-Führenden von Porsche waren die Aussichten nicht nur beim Blick in den Himmel trüb. António Félix da Costa startete auf der elften Position, Pascal Wehrlein musste sich über den 17. Rang ärgern. Das Duo haderte mit fehlender Regen-Erfahrung mangels nasser Testtage und noch nicht ausgereiften Setups.

Regen bringt Pole-Segen: Rowlands schnellste Zeit im zweiten Training reichte aus. Aber: keine Extra-Punkte.
Günther mit Batterieschaden
Pünktlich zum Auftaktlauf ließ der Regen nach, aber der Wind pustete weiter über das Messe-Areal in der Bucht der japanischen Millionenmetropole. Das Feld wurde hinter dem Safety-Car ins Rennen geführt. Nach vier der ursprünglich 35 geplanten Runden gab die Rennleitung das Spektakel frei. Sie entschied sich sogar zu einem stehenden Start, den Rowland gekonnt gewann.
Früh holten sich diverse Piloten ihren ersten von zwei Extra-Boosts. Darunter war auch der von Platz 14 kommende Vandoorne. Der Weltmeister der Saison 2021/2022 verfolgte hierbei einen cleveren Plan. Er wollte zügig genug Energie loswerden, um den Maserati aufladen zu dürfen. Dafür gibt es ein vorgegebenes Fenster. Seine Hoffnung lag auf einer Neutralisierung im Anschluss. Und die sollte wenige Runden später kommen.
Maximilian Günther (DS Penske) stand plötzlich am Fahrbahnrand. Sein Lenkrad und eine Lampe auf dem Auto blinkten wild rot. Die Rennleitung hatte angesichts dieser strikten Notfallwarnung keine andere Fall, als die Action zu stoppen und die Autos in die Boxengasse zu beordern. Zum Zeitpunkt des Restarts in Runde 15 bildeten Oliver Rowland, Edoardo Mortara und Monaco-Sieger Sébastien Buemi (Envision-Jaguar) die Top 3. Sie hatten allerdings ein gewaltiges Problem, und das hieß Stoffel Vandoorne.

Andrettis mutige Pit-Boost-Strategie wurde von der FIA im Nachhinein einkassiert. Die Entscheidung der Regelhüter war umstritten.
Zoff um Altmeister Jake Dennis
Der Belgier war der einzige, der den Pflichtstopp vor der roten Flagge hinter sich gebracht hatte. Er lag zwar am Ende der Schlange, aber konnte so problemlos und ohne Überholmanöver nach und nach an den Schnellladenden vorbeiziehen.
Einen ähnlichen Trick probierte Jake Dennis (Andretti-Porsche), der in die Pitlane abbog, anstatt den zweiten stehenden Start anzutreten. Die Rennleitung disqualifizierte ihn später für das Fahren in die geschlossene Boxengasse. Eine rote Ampel war aber im TV-Bild nicht zu erkennen. Die FIA erklärte auf Nachfrage von auto motor und sport, dass es dem Team klar kommuniziert worden war. Dennis erwiderte nachdrücklich: "Ich wusste davon nichts."
Vandoornes smarter Schachzug bugsierte ihn nicht nur nach vorne. Er schenkte ihm auch noch einen gigantischen Vorsprung. Durch diesen konnte er ohne Probleme ins geruhsamere Energiemanagement hinüberwechseln. Oliver Rowland lag derweil auf einem soliden zweiten Platz. Im um drei Runden verlängerten Schlussspurt wurde sein Rückspiegel dann voll. Dort kämpften Jungsensation Barnard, Mortara und Buemi um den Sprung aufs Podium. Ein Technikproblem ließ Mortara nach seinem letzten Attack-Mode zurückfallen. Schlussendlich folgte Barnard seinem Landsmann Rowland aufs Podium.

Der Mix aus winkligen Passagen und schnellen Knicken trocknete über die insgesamt 38 Runden stetig ab. Einige Stellen blieben rutschig.
"Das pisst mich echt etwas an"
Obwohl Vandoornes Ausgangslage kaum perfekter hätte sein können, wäre aus dem Märchen fast ein Albtraum geworden. Einige Runden vor Ende fingen die Kameras einen halben Dreher des Altmeisters ein. Dazu sagte er später: "Das Heck ging mir plötzlich flöten, ganz seltsam. An dieser Stelle hielt sich das Wasser nach dem Ende des Regens länger. Vielleicht hat mich das zurückhaltendere Fahren zu diesem Fehler verleitet. Das pisst mich echt etwas an."
Und wie wurde es möglich, dass Vandoorne so schnell genügend Energie für einen anfänglichen Stopp verbraucht hatte? "Das kann ich doch nicht so einfach verraten! Womöglich weiß ich es ja selbst nicht so richtig", frotzelte der Sieger wenig hilfreich. Ein anderer Pilot erklärte ganz generell, dass der Regen den Coup erlaubt hatte.
Dank der nassen Bahn mussten sich die Fahrer hinten heraus nicht um einen zu hohen Verbrauch sorgen. Infolgedessen konnte man ab der ersten Freigabe extrem offensiv fahren, zum Beispiel mit einem aggressiven Stil. Obendrauf kommen die zahlreichen Verstellmöglichkeiten. "Ich habe mich gewundert, dass nicht mehr diese Taktik gewagt haben. Natürlich haben wir es sehr extrem ausgelegt", bilanzierte der Maserati-Mann zum ersten Triumph seit Monaco 2022.

Wieder musste sich Oliver Rowland bei Nissans Heimrennen einem Maserati geschlagen geben. Trotzdem nähert er sich immer mehr dem WM-Titel.
Zweiter Sieger Oliver Rowland
Einer, der dieses Risiko niemals eingegangen wäre, ist der Pole-Setter Rowland. Der musste die unvermeidliche Niederlage erstmal runterschlucken. "Unser Rennen war eigentlich perfekt, bis eben auf diese rote Flagge. Es ist immer noch zu früh, um zu viel in den WM-Vorsprung hineinzuinterpretieren. Aber es ist gut zu wissen, was unser Paket wiederholt leisten kann."
Balsam bietet der Blick auf die Fahrer-Tabelle. Oliver Rowland führt mit 60 Punkten Vorsprung vor Porsche-Mann Da Costa. Der Portugiese landete auf dem siebten Rang. Nach einem eh schwierigen Tag musste Pascal Wehrlein Rang 13 akzeptieren. Bei den Teams liegt Nissan nun knapp vor Porsche. Deutlicher pro Japan fällt es in der Herstellerwertung aus.
Formel-E-Projektleiter Florian Modlinger resümierte nach dem harzigen Porsche-Tag: "Die abgesagte Qualifikation und das Heranziehen des zweiten Trainings für das Grid zwangen uns, die Strategie umzustellen. Rote und gelbe Flaggen haben dort zum Beispiel Pascals Runden gestört. Im Rennen haben beide gute Fortschritte gemacht. Für mehr hätten wir eine Quali oder trockene Bedingungen gebraucht. Hoffentlich dann morgen!" Das Sonntagsrennen (18.5.) markiert den Start der zweiten Saisonhälfte.