Wäre dieses Drehbuch bei einem Hollywood-Film herausgekommen, man hätte es für komplett unrealistisch gehalten. Sebastian Buemi und Lucas di Grassi waren nur durch einen Zähler getrennt zum Saisonfinale nach London gereist. Die beiden Rennen mussten endlich eine Entscheidung über die Titelvergabe bringen. Es wurde noch turbulenter, als alle erwartet hatten.
Buemi und Di Grassi punktgleich vor Finalrennen
Schon der erste Lauf am Samstag war an Spektakel kaum zu übertreffen. Regen zum unglücklichsten Zeitpunkt in der Qualifikation sorgte dafür, dass die beiden Titelaspiranten aus dem Mittelfeld losfahren mussten. In einem dramatischen Rennen landeten Di Grassi und Buemi immerhin noch auf den Plätzen 4 und 5, wodurch sich der Abstand auf 3 Punkte vergrößerte. Der Sieg von Nicolas Prost ging dabei fast etwas unter – genau wie die Plätze 2 und 3 von Bruno Senna und Jean-Eric Vergne.
Der große Höhepunkt sollte aber erst 24 Stunden später folgen. Im dieses Mal trockenen Qualifying sicherte sich Buemi die Pole Position und die damit verbundenen 3 Extra-Punkte. Damit war der Rückstand schon vor dem Start wieder ausgeglichen. Nur die besseren Einzelresultate sorgten dafür, dass sich Di Grassi noch auf Platz 1 der Tabelle halten konnte.
Die Abt-Speerspitze ging nur auf Rang 3 in das Rennen – hinter Buemis Teamkollege Prost. Die Meisterschaft schien damit bereits weit entfernt. Doch der Brasilianer hatte sich für den Start einen Plan zurechtgelegt. Kaum gingen die Lichter der Ampel aus, nahm er die beiden E-Dams-Autos vor sich ins Visier. Beim Anbremsen der ersten engen Linkskurve verpasste Di Grassi komplett den Bremspunkt und torpedierte Buemi ins Aus.
Buemi zaubert schnellste Runde aus dem Hut
Wären beide Piloten ausgeschieden, hätte der Crash die Entscheidung im Meisterkampf zugunsten von Di Grassi bedeutet. Doch beide Piloten konnten mit ihren stark beschädigten Rennwagen zumindest noch an die Box zurück humpeln. Ein Top-Ten-Ergebnis war für beide jedoch außer Reichweite. Es gab nur noch eine Möglichkeit für Buemi, sich doch noch den Titel zu schnappen: Er musste sich die 2 Punkte für die schnellste Rennrunde sichern.
Um eine perfekte Lücke und möglichst gute Bedingungen auf der Strecke zu finden, wartete der Schweizer lange in der Garage auf den Angriff. Doch die ersten Versuche musste er immer wieder abbrechen, weil er durch langsame Autos gebremst wurde. Buemi fand sich zwischenzeitlich sogar kurz hinter Di Grassi wieder, der ebenfalls auf die Jagd nach der schnellsten Runde gegangen war. Mit fortschreitendem Rennen drohte Buemi irgendwann die Zeit wegzulaufen, die Energie auszugehen und der Titel aus den Händen zu gleiten.
Doch dann gelang dem ehemaligen F1-Piloten doch noch eine freie Runde, an der sich Di Grassi die Zähne ausbeißen sollte. Lange blieben die schnellsten Umläufe der beiden Rivalen nur durch 5 Hundertstel getrennt. Erst kurz vor Rennende zauberte Buemi noch eine Wahnsinnsrunde aus dem Hut, die noch einmal eine halbe Sekunde schneller war als sein vorheriger Bestwert. Damit hatte er den Titelkampf endgültig zu seinen Gunsten entschieden.
Harte Worte gegen Di Grassi
In die Freude über die Meisterschaft mischte sich bei Buemi nach dem Rennen auch Ärger über die unfaire Fahrweise der Konkurrenz. Der neue Meister warf seinem Kontrahenten vor, ihn am Start absichtlich abgeschossen zu haben. „Ich sah nur noch, wie er im Spiegel immer näher kam und mich abräumte – und das, obwohl ich schon so spät wie möglich gebremst habe. Es ist ganz klar, dass ich absichtlich getroffen wurde.“
Die Rennleitung sah ebenfalls einen Regelverstoß und sprach eine Zeitstrafe gegen di Grassi aus, die allerdings keine Auswirkungen auf das Ergebnis hatte. Der Brasilianer wehrte sich gegen die Anschuldigungen: „In den Daten ist klar erkennbar, dass Buemi etwa 50 Meter zu früh gebremst hat. Der Unfall war nicht beabsichtigt und ich hätte die Meisterschaft lieber in einem Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Strecke ausgefochten. Punkte für die schnellste Runde zu vergeben, ist nicht gerecht.“
Buemi reagierte empört über diese Aussagen: „Das ist einfach nur respektlos. Wenn er wirklich dieser Meinung ist, dann ist er ein Lügner. Er hat den Fehler gemacht und versucht nun, die Schuld auf mich zu schieben. Ich habe all meinen Respekt für ihn verloren.“
Im Trubel des Meisterkampfs ging erneut fast unter, dass Nicolas Prost auch das zweite London-Rennen gewann – vor Daniel Abt und Jerome D'Ambrosio. Prost sicherte sich mit dem Doppelsieg noch Platz 3 in der Meisterschaft. Das französische E.Dams-Team machte damit auch den Titel in der Konstrukteurswertung klar.