Zak Brown im Interview: "Sind dem Plan ein Jahr voraus"

McLaren-Boss Zak Brown im Interview
„Wir sind unserem Plan ein Jahr voraus“

Zuletzt aktualisiert am 19.11.2024

Sie haben McLaren seit ihrem Amtsantritt 2017 wieder zum Siegerteam gemacht. Ist das mit dem zu vergleichen, was Ron Dennis ab 1981 geschafft hat?

Brown: Ich habe darüber nie wirklich nachgedacht. Aber ich würde mich nie mit Ron Dennis vergleichen, weil er für mich neben Enzo Ferrari und Bernie Ecclestone zu den drei größten Legenden des Motorsports zählt. Sie haben das geschaffen, was die Formel 1 heute ist. Ich wäre gerne auf dieser Liste, würde es aber nie wagen, mich heute schon darauf zu setzen. Ich habe mit McLaren sechs Rennen gewonnen. Das hatte Ron allein an Titeln. Aber ich fühle mich schon als Kapitän eines unglaublichen Teams, das einmal dem Erfolg gerecht werden will, den McLaren über viele Jahre in diesem Sport hatte.

Was ist Ihre Vision?

Brown: Ich kümmere mich mehr um die Dinge außerhalb der Rennstrecke. Unsere Angebote für die Fans, den Aufbau der Marke, die Sponsoren. Ich glaube da haben wir viel bewegt. Man darf auch nie stehenbleiben, weil sich die Zeit so schnell ändert. Die Farbe Papaya ist ein Markenartikel geworden. Wenn ich es mit Star Wars vergleiche, dann hat McLaren lange die Rolle des Darth Vader eingenommen. Dunkel, kalt, furchteinflößend. Wir versuchen gerade ein bisschen wie Skywalker auszusehen. Viel positive Energie, farbig, jung. Da spricht der Fan in mir. Auf der Strecke kümmert sich Andrea Stella darum, wieder ein Team zu werden, das regelmäßig gewinnt.

Wie kamen Sie zum Motorsport?

Brown: Ich habe meinen ersten Grand 1981 in Long Beach gesehen. Da habe ich Eddie Cheever getroffen. Ich erinnere mich noch genau, welchen Eindruck die Formel 1 damals auf mich gemacht hat und sehe es als meine Verantwortung, diese Emotionen und diese Begeisterung auf McLaren zu übertragen. Am Ende des Tages machen wir alles für unsere Fans.

Zak Brown - Formel 1 - 2024
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Das Jahr 2017 beendete McLaren als Neunter in der WM. Jetzt liegen sie in der Konstrukteurs-Meisterschaft vorne. Was war vorher so falsch, was ist jetzt richtig?

Brown: Fast alles war falsch. Im Team gab es keine Struktur. Wir haben nicht mehr investiert. Der Windkanal und der Simulator waren Museumsstücke. Wir hatten kaum Sponsoren. Gerade mal zehn Prozent von dem, was wir heute haben. Das bedeutete das Rekordtief in der Team-Geschichte. Wir hatten unzufriedene Angestellte, denen es an Führung mangelte. Wir hatten ein Auto, das nicht funktionierte und obendrein noch einen Streit unter unseren Eigentümern. Wenn sie oben ein Problem haben, setzt sich das auf alle Etagen unterhalb fort. Zwei Dinge hatten wir jedoch: Eine großartige Geschichte als Marke und großartige Menschen, die nicht auf ihrem Niveau arbeiten konnten, weil keiner ihnen eine Richtung vorgab.

Jetzt kamen Sie ins Spiel?

Brown: Meine erste Aufgabe war es, die kommerzielle Lage zu verbessern. Ich habe versucht, unsere Visionen auf der Basis der Historie des Rennstalls zu verkaufen. Das Geld wurde direkt in die Technik gesteckt, denn nur die konnte uns schneller machen. Das war der schnellste Weg, das Team zu renovieren. In einem nächsten Schritt haben wir für alle Bereiche neue Direktoren eingestellt. Mit den neuen Führungskräften wollten wir die Qualitäten unserer Mitarbeiter wieder wecken. Von den 1.000 Leuten, die wir hatten, waren nur 50 ein Problem. Ich wusste, dass wir uns auf die anderen 950 verlassen können. Das hat dazu geführt, dass wir heute die Konstrukteurs-Meisterschaft anführen, dass wir bei den Fans eines der beliebtesten Teams sind, dass die besten Sponsoren der Welt auf unseren Autos stehen, dass wir auf eine hoch motivierte Mannschaft zählen können, und dass zwei der besten Fahrer für uns fahren. Das Ganze gibt dem Team viel Energie und Schwungkraft.

Was waren sportlich die Meilensteine?

Brown: Der wichtigste war, Andrea Stella die Teamleitung zu übergeben. Der Prozess begann bereits 2019, wurde aber gestört. Mein erster Teamchef Eric Boullier hat nie eine faire Chance bekommen. Er kam zu einer Zeit großer Unruhe. Er hatte bei Lotus einen guten Job gemacht, doch bei uns saß er im Auge eines Wirbelsturms. Sein Nachfolger Jost Capito war nicht der richtige Mann für den Job. Er war eigentlich schon wieder weg, bevor er anfing. 2019 hatten wir dann Gil de Ferran, Pat Fry, Peter Prodromou, Neil Houldey und Andrea Stella in unserer Führungsriege. Dieses Team war für unseren Erfolg 2021 verantwortlich. Sie haben das 2020er-Auto gebaut, das wegen der Covid-Einschränkungen als Basis für 2021 übernommen wurde. Das einzig Neue war, dass wir den Renault-Motor gegen einen von Mercedes ausgetauscht haben. 2020 stießen Andreas Seidl und James Key dazu und haben erst einmal das 2021er-Projekt so übernommen, wie es bereits von unserer 2019er-Truppe konzipiert worden war. 2022 haben wir uns wieder rückwärts bewegt, und das war das Werk der neuen Leute. Als das Upgrade beim GP Frankreich in der Mitte der Saison nicht funktionierte, und mir die Antwort der Führungsriege darauf nicht gefiel, wurde mir klar, dass wir den Stecker ziehen mussten. Deshalb wollte ich wieder auf meine Truppe von 2019 zurückgreifen. Andreas bekam dann die Chance mit Audi. Ich hätte ihn festhalten können, aber ich wollte einen Wechsel im Team. Im Gegensatz zu 2019 fühlte sich Andrea Stella nun bereit, den Posten des Teamchefs anzunehmen. Wir haben eine Woche über seine neue Rolle gesprochen. Dann fühlte er sich wohl damit. Er ist sehr ehrlich mit sich selbst und keiner, der auf einem Ego-Trip reitet. Sein erster Job Anfang 2023 war, die Führungsebene neu aufzustellen. Er hat es geschafft, aus allen das maximale Potenzial rauszuholen. Er hat mir von Anfang an gebeichtet, dass wir 2023 einen schrecklichen Saisonstart hinlegen würden. So war es auch. Und dann haben Sie mir von dieser unglaublichen Entwicklungskurve des Autos erzählt. Es war fast schon zu gut, um wahr zu sein. Aber sie haben Wort gehalten.

Zak Brown & Andrea Stella - McLaren - Formel 1 - 2024
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Der Umkehrpunkt war der GP Österreich 2023?

Brown: Exakt. Völlig untypisch hat Andrea öffentlich angekündigt, dass das Rennen in Österreich für uns die Wende bedeuten würde. Es hat dort mit einem Auto tatsächlich funktioniert, aber ich war noch skeptisch. Wir hatten immer ganz gute Ergebnisse auf dieser Strecke. Dann kam Silverstone, und beide Autos fuhren vorne mit. Da wusste ich, dass sie mir die Wahrheit erzählt hatten. Und seitdem geht es ständig bergauf. Eigentlich sind wir unserem Plan ein Jahr voraus. Das aktuelle Auto wurde noch im alten Windkanal entwickelt. Der neue ging erst 2023 ans Netz. Rob Marshall hat erst Anfang 2024 mit seiner Arbeit bei uns begonnen.

Warum haben Sie mit Andrea Stella einen aus dem Team gewählt, statt einen großen Namen einzukaufen?

Brown: Ein Teamchef von heute ist mit dem von früher nicht mehr zu vergleichen. Die Teams sind viel zu groß geworden, um wie Ron Dennis alles zu kontrollieren. Wer es richtig machen will, muss einen Teamchef und einen Geschäftsführer haben. Andrea kümmert sich ausschließlich um das Team, ich um den Rest. Ich habe das Gefühl, dass ich für das Team arbeite und nicht umgekehrt. Mein Job ist es, ihn zu unterstützen. Mit den finanziellen Mitteln, in den politischen Fragen. Wenn Andrea durch Medienarbeit, Marketing, Kontakte mit Anteilseignern oder Sponsoren abgelenkt wäre, könnte er den Job nicht machen, den er macht. Bei ihm wusste ich, auf was ich mich einlasse. Wir passen von unseren Persönlichkeiten gut zusammen und ergänzen uns in unserer Arbeit. Das Gleiche gilt für die anderen Direktoren. Wer erfolgreich sein will, muss eine Kultur haben, in der sich die Leute gegenseitig vertrauen.

Sie haben mit Norris und Piastri zwei der besten Fahrer im Feld. Wie stellen Sie sicher, dass daraus nicht Senna gegen Prost wird?

Brown: Ich bin nicht besorgt, aber ich bin mir im Klaren, dass so etwas entstehen könnte, wenn man nicht aufpasst. Es gibt ja genug Beispiele aus der Vergangenheit. Piquet gegen Mansell, Hamilton gegen Rosberg. Viel hängt von den Persönlichkeiten der Fahrer ab. Da haben wir Glück, dass wir zwar zwei Löwen im Käfig haben, die aber gut miteinander auskommen. Die Transparenz, die wir bei McLaren pflegen, schafft Vertrauen. Und wenn mal Sturm droht, versuchen wir ihn einzudämmen, bevor er Fahrt aufnimmt. Deshalb binden wir unsere Fahrer immer gemeinsam in unsere Marketing-Aktivitäten ein, spielen zusammen Golf, gehen abends gemeinsam zum Dinner. Das hilft uns, schwierige Situationen zu meistern, wie die Stallregie in Ungarn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das auch in Zukunft managen können.

Andrea Stella, Oscar Piastri & Lando Norris - McLaren - Formel 1 - 2024
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Max Verstappen und Lando Norris sind wie Feuer und Wasser. Der eine löst Probleme, der andere spricht darüber. Tut sich Norris damit einen Gefallen?

Brown: Die Welt ist anders geworden. Transparenter. Heute ist das Eingestehen von Schwächen eine Stärke. Wir alle haben sie. Vielleicht ist Lando manchmal zu offenherzig, und er wäre besser beraten, gewisse Dinge zurückzuhalten. Aber ich glaube nicht, dass sich das in eine Schwäche auf der Rennstrecke umwandelt. In Austin ist Lando brillant gefahren. Das Einzige, was er hätte anders machen können, wäre Max ins Auto zu fahren. Aber das ist nicht unser Stil, und auch nicht der von Lando. Immerhin hat das eine große Diskussion über Zweikampf-Spielregeln ausgelöst. Das ist auch nötig. Lando fährt hart, aber fair. Max ist ein unglaublicher Rennfahrer, der die Regeln bis ans Limit ausreizt. Doch man muss ihm zeigen, wo die Grenzen sind. Wenn das nicht gemacht wird, kommt es zu Szenen wie zwischen Lewis und Max 2021, als Lewis sich sagte: Genug ist genug. Ich glaube nicht, dass wir wieder dahin zurückwollen.

McLaren hätte einige Rennen mehr gewinnen können. Hatte das Team das Siegen verlernt?

Brown: Alle machen Fehler. Früher waren sie weniger sichtbar, weil es nicht um den Sieg ging. Red Bull, Ferrari und Mercedes machen auch Fehler, aber das wird vergessen, weil sie zwischendrin so viel gewonnen haben. Wir hätten Silverstone gewinnen können, vielleicht auch Montreal und Monza. Aber wir lernen aus unseren Fehlern, und heute sind wir ein besseres Team als zu Saisonbeginn. Ich schaue nicht zurück und mache mir über Dinge Sorgen, die wir nicht mehr ändern können. Stattdessen sage ich dem Team: Ihr dürft Fehler machen, aber bitte nicht zwei Mal. Es hätte mich wirklich geärgert, wenn uns das gleiche mehrmals passiert wäre.

Zak Brown & Frederic Vasseur - Formel 1 - 2024
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Wäre es eine verpasste Gelegenheit, wenn McLaren nicht wenigstens einen Titel gewinnen würde?

Brown: Das sehe ich nicht so. Wir hatten bis Miami nicht das Auto, das wir jetzt haben. Da gingen viele Punkte an Max und Red Bull verloren. Natürlich will ich wenigstens einen der beiden Titel holen. Doch auch der Marken-Titel wird hart. Ferrari sieht sehr stark aus. Sie machen mir mehr Kopfzerbrechen als Red Bull. Trotzdem darf man sie nicht abschreiben. Red Bull ist ein unglaublich starkes Team. Perez hat gezeigt, dass er in der Lage ist auf das Podium zu fahren. Er muss nur seine innere Bremse lösen, dann wird es ganz schnell wieder eng. Diese Schlacht wird bis zum Ende gehen. In der Fahrer-WM sieht es nicht gut aus. Wenn wir sie verlieren sollten, dann ist das am Anfang passiert und nicht in Silverstone oder Monza. Und auch nicht, weil wir in Ungarn Plätze zwischen Lando und Oscar getauscht haben.

Die Formel 1 wird 2026 wieder zur Motorenformel. Kann ein Kundenteam dann noch bestehen?

Brown: Da sehe ich kein Problem. Wir beweisen gerade das Gegenteil. Die Werksteams haben nur deshalb meistens gewonnen, weil sie die besten Teams waren und nicht weil sie einen Werksmotor im Heck hatten. Kundenteams haben schon früher gewonnen. Benetton oder BrawnGP. Das können wir auch. Unser Verhältnis und unsere Zusammenarbeit mit HPP-Mercedes sind außergewöhnlich. Sie lernen auch von uns. Wir bekommen auf allen Ebenen Werks-Service. Früher gab es auf dem Gebiet der Motor-Kennfelder noch die Möglichkeit, sich gegen Kunden abzugrenzen, aber die FIA hat diese Lücke geschlossen. Ich bin überzeugt, dass wir das gleiche Ergebnis hätten, wenn wir unseren Motor in Hamiltons Auto schrauben und umgekehrt.