Selbst für den Sport ist dieses Wunder eigentlich eine Nummer zu groß gewesen. Wäre es nicht durch Disney bereits in Form einer Dokumentation 2023 veröffentlicht worden, hätte dieses Drehbuch genauso gut aus den Köpfen der amerikanischen Traumfabrik selbst entstammen können. Aber es ist echt – genauso wie das leidenschaftliche Team dahinter.
Angefangen hat die Geschichte allerdings eher wie ein Drama. Nachdem Honda angesichts des kollabierenden Finanzmarktes den Stecker gezogen hatte, kämpfte die Truppe aus Brackley ums Überleben. Ferrari-Elder-Statesman Ross Brawn, der im Anschluss an das erste Karriereende von Michael Schumacher zu den Japanern gewechselt war, wollte das Projekt nicht aufgeben. Er versuchte lange, Honda das damit verbundene Millionengrab auszureden. Schlussendlich traf man sich in der Mitte.

Die F1-Ausstiegspläne von Honda erschütterten das Weltbild des Teams. Doch Ross Brawn und Nick Fry wollten das Projekt nicht aufgeben.
Überlebenshilfe und ein Geniestreich
Brawn und seine Unterstützer übernahmen für ein symbolisches Pfund Rennstall, Fabrik und sämtliche Rechte an den Angestellten. Dazu spendierte Honda eine Finanzspritze von 80 Millionen Euro. Was nach einem absurden Ungleichgewicht klingt, ließ Honda dennoch günstiger aus der Nummer kommen, als das Projekt ersatzlos einzukassieren. Die Formel 1 ist auch bei den Bilanzen völlig von der Realität entkoppelt.
Die Ausdauer von Ross Brawn erklärt sich durch seine gewagte Wette aus der Saison 2008. Der beherrschte Brite wollte den "schlafenden Giganten Honda" zu dem umbauen, was er in Maranello hinterlassen hatte. Dafür brach er die Entwicklung des aktuellen Autos vorzeitig ab, und setzte alles auf die Regel-Revolution 2009. Jock Clear, Renningenieur von Rubens Barrichello, erinnert sich in der Doku: "Ross sagte, dass das 2008er-Auto eine chancenlose Shitbox sei."
Die kastrierte Aerodynamik ab 2009 war der größte Hoffnungsträger. Früh hirnte die Truppe über ihre Möglichkeiten. In einem wichtigen Meeting meldete sich dann ein sehr junger Aerodynamiker aus Japan zu Wort. Er hätte da einen Ansatz, wie man eine Abtriebsmenge im Heck generieren könnte, die das Reglement nicht vorsah. Masayuki Minagawa hatte die Basis für den Doppeldiffusor gefunden.

Oberhalb des klassischen Diffusors entwarfen die Aerodynamiker eine zweite Luftführung. Ross Brawn warnte in einem Meeting zwischen den Zeilen sogar die anderen Teams, aber diese taten es als Drohgebärde ab.
Harte Entscheidung, noch härtere Aufgabe
Wie extrem kurzfristig die Rettung ablief, zeigt ein Rückblick auf die Timeline. Am 28. November 2008 lud das Honda-Management Technik-Boss Brawn und Team-CEO Nick Fry zum Gespräch. Die beiden hofften noch, dass ein Spar-Paket ausreichen könnte, um Ärger abzuwenden. Doch sie hatten den Ernst der Lage unterschätzt. Unter Tränen gab ihnen der Sport-Verantwortliche im Konzern, Hiroshi Oshima, vorab das Aus bekannt. Die Mannschaft könne das Licht ausschalten. Und es wurde noch schlimmer.
Eine größere Abordnung mit Anwälten und Personalern wartete auf die beiden. Diese hatte nur ein Ziel: Sie sollte das Team abwickeln. Alternativen? Keine! In Ross Brawns Kopf meldete sich jedoch sofort der Racer. Sofort prüfte er zahlreiche Optionen. Eine davon war schließlich sein goldenes Ticket. Durch Kündigungsfristen öffnete sich das Fenster für die anfangs erwähnten Konditionen. Trotzdem musste er das 750 Köpfe umfassende Team erstmal informieren, und das kurz vor der Adventszeit.
Offiziell wurde das erneute Honda-Aus am 5. Dezember. Während die Wirtschaftskrise nun voll auf die Formel 1 einschlug, arbeiteten Brawn und Fry am entscheidenden Meilenstein der Rettung: dem Motor. Zunächst sah es nach einer Einigung mit Ferrari- und Teamvertreter-Boss Luca di Montezemolo aus. Der vom Brawn-Abgang weiter zutiefst verletzte Manager aus Bologna schlug ihnen den regulären Preis vor. Laut Brawn waren es acht Millionen Euro.

Nick Fry (rechts) war der engste Vertraute von Ross Brawn bei der Rettung. Er hatte diesen vorher zu Honda gelotst.
Kriminelle, Bestechung und Treue
Auch dafür suchten die Retter nach einem Geldgeber, im besten Fall sogar als Eigentümer. Wenig überraschend klopften viele im Dezember und Januar an ihre Tür, nur die wenigsten präsentierten sich wirklich seriös. Der legendärste Scharlatan war ein aus Griechenland stammender Betrüger, dessen Helikopter zu groß für den Landeplatz von Brackley gewesen ist. In bester Krimi-Manier fand der Team-Finanzchef heraus, dass sich selbiger – vereinfacht zusammengefasst – mit gefälschten Bürgschaften Kredite für Immobilienprojekte erschlich.
Im Anschluss an ungestüme Ablenkungsmanöver erbat Achilleas Kallakis, der später als größter Hypotheken-Betrüger der britischen Geschichte titulierte wurde, ob man die ganze Angelegenheit nicht außerhalb der Einflusssphäre von Honda belassen könnte. Dem legendären UK-Magazin Motor Sport rekapituliert Nick Fry: "Wir haben gesagt, dass Honda davon nichts erfahren werde, als weihnachtliche Geste. Er wollte wissen, was diese ihn kostet. Wir stiegen nicht darauf ein, und wenig später kriegten die Behörden ihn dran." 2013 wurde Kallakis erstmals verurteilt, weiterer Ärger mit dem Staat folgte.
Nach über einem Dutzend Interessenten, das allesamt den hohen Ansprüchen Hondas nicht genügt hätte, stand Ross Brawn vor der wohl größten Frage seines Lebens. Im Zuge einer Versammlung fragte er: "Laufen wir mit eingezogenem Schwanz davon oder kämpfen wir?" Das Team entschied sich für den Kampf. Auch die Fahrer blieben treu – weil sie keine andere Option hatten.

Die warme Spätsommer-Sonne von Melbourne brachte in Brackley passende Motivation. Was dort passieren sollte, erahnte keiner.
Schmerzhafter Countdown für Melbourne
Das Team arbeitete daraufhin Tag und Nacht am neuen Auto. Nur wenige sprangen vom vermeintlich sinkenden Schiff. Die, die blieben, hatten nur einen Gedanken: Solange Ross an uns glaubt, tun wir es ebenfalls. Ein anderer, bestimmender Gedanke lautete, dass das alleinige Antreten in Melbourne am 29. März 2009 schon wie ein Sieg gewesen wäre. Trotzdem musste vorab die Finanzlage geklärt sein, denn Honda zahlte nur exakt drei Monate das Gehalt weiter.
Obendrauf gingen die Japaner weiter davon aus, dass ein Verkauf das Ziel sei. Nick Fry war schon einen Schritt voraus. Genervt von den Umständen reifte in ihm die Idee eines Management-Buyouts, also einer Übernahme von innen heraus. Der konservative Konzerngigant zeigte sich wenig überraschend kritisch. Doch der Respekt vor Ross Brawn überwog. Im Nachhinein streut der Hobby-Gärtner seinen japanischen Geschäftspartnern Rosen: "Es zeigt das Verantwortungsbewusstsein von Honda gegenüber uns. Ich habe mit meiner Frau darüber gesprochen, die meinte: Wenn ich nicht das Haus verliere, kann ich tun, was ich will."
Sechs Wochen vor dem Saisonstart war endlich BrawnGP geboren. Bezüglich des Namens gab es längere Debatten. Schließlich setzte sich die Gruppe rundum Team-Anwältin Caroline McGrory durch. Brawn fand als demütiger Brite wenig Freude, aber akzeptierte dankbar. Eine weitere Frage blieb jedoch: Wer treibt die zwei Renner an? Obwohl die Teamvereinigung die Rettung tatsächlich tatkräftig unterstützt hatte, brach hier die gute alte Politik der Königsklasse durch.

Wäre es nach Ross Brawn und seiner Frau gegangen, hätte das Team anders heißen sollen. Die Geschichte meinte es gut mit beiden.
Unmögliches wird Realität
Honda zeigte sich von Beginn an standfest. Unter keinen Umständen wollte man den Motor herausgeben. Di Montezemolos Angebot existierte zwar noch, aber brachte Ego-Fallstricke mit sich. Und so sprang eine letzte Zusage auf die Pole-Position. Mercedes zeigte sich ebenso interessiert und hatte dazu einen gewichtigen Vorteil. Mangels Werksteam konnte sich Brawn bessere Chancen ausmalen. Im Team galt die Überzeugung, dass Ferrari-Kunden nie den Hersteller herausfordern dürfen.
Norbert Haug gehörte zu den Hauptakteuren des Deals. Er wollte gerne helfen, aber verlangte dann passend zu Mercedes eine schwäbisch-korrekte zeitnahe Zahlung. Sowohl die Buchhalter als auch die Ingenieure hatten dadurch reichlich zu tun. Bei BrawnGP konnte keiner absolut sicher sagen, ob ein Fremdfabrikat halbwegs in das Heck passen würde. Besonders die Aerodynamiker standen vor der harten Wahrheit: Form follows function. Pragmatismus und eine im wahrsten Sinne durchgearbeitete Woche ließen die passende Lücke für den "Mercedes FO 108W" entstehen.
Die Vor-Saison-Tests, zu denen BrawnGP verspätet dazustieß, schockierten die Überlebenskünstler. Sie hatten ihren technischen Vorteil sogar unterschätzt. Und das, obwohl Toyota und Williams auf eine ähnliche Idee gekommen waren. Bei den Proben konnten und wollten die Underdogs ihre Karten nicht aufdecken. Jenson Button schmunzelt mittlerweile: "Ross kam zu mir und bat mich, es ruhig angehen zu lassen. Ich wisse ja, fehlende Teile..." Das fiel dem Briten aber erstaunlich schwer. Denn mit jedem Run wurde er schneller. Unter anderem beruhigte McLaren-Manager Ron Dennis die Szene: "Das Spiel ist doch so alt wie die Zeit. Kleine Teams laden bei den Tests Gewicht aus, um möglichen Sponsoren zu gefallen."

Die schlimmsten Scharlatane konnten Fry und Brawn abwimmeln. In der Person von Virgin-Gründer Richard Branson kaufte sich schließlich doch aber eine reiche Nervensäge ein.
Das Wunder vom Albert Park Lake
Christian Horner hatte bei Red Bull Racing derweil erste Zweifel. "Ja, sie sind spät dran. Aber das ist eine technische Basis, die seit einer Saison reift." Di Montezemolo wütete: "Kreativität und Ross Brawn? Schön und gut! Aber das System ist illegal." Nach einer längeren Untersuchung befand die FIA in Australien, dass noch das Gegenteil der Fall sei. Das Aufatmen in der damals komplett weißen Garage hallte durch das gesamte Paddock. Schnell sollte zum Weiß-grün-schwarz etwas Rot hinzustoßen. Virgin-Milliardär Richard Branson durfte nach einem gescheiterten Angebot vorher trotzdem Teil der Party werden. Fast amateurhaft wurden Sticker des knalligen Sponsors auf die Wände geklebt.
Jenson Button wusste Down-under weiter um die schwierige Ersatzteillage. Dennoch durfte er voll anheizen. Er belohnte das Team mit der Pole-Position, die dank Rubens Barrichello auf eine erste Startreihe anwuchs. Der erste Teil des ursprünglichen Märchens war geschafft. Derweil befand sich die Konkurrenz in einem Albtraum. Einer Legende nach schlich sich ein Ferrari-Mann zum BGP 001, leuchtete den Unterboden aus und wurde von Ross Brawn mit markigen italienischen Wörtern aufgeklaubt.
Spätestens der Doppelsieg am Sonntag ließ die vormals freundlich gestimmten Gegner endgültig zu erbitterten Rivalen werden. Aus den ausgestreckten Händen wurden protestierende Fäuste. Ross Brawn schob diese Realität erstmal zur Seite. Er feierte ein Kunststück, das nur zwei andere Teams bei ihrem ersten GP geschafft haben. Sein Motorpartner Mercedes gewann 1954 dank budgetärer Übermacht in Reims, das Nachfolge-Team der ersten Williams-Episode, Wolf, glänzte in Argentinien 1977.
Klempner hält davonfließenden Vorsprung auf
Die anfängliche Freude der Underdogs wich einer intensiven Fehleranalyse. Barrichellos schlechter Start, der nur durch einen Crash der Button-Gegner in P2 mündete, und mangels Trainings miese Boxenstopps hätten unter normalen Umständen vieles versaut. Damals spielte der Service durch Tanken eine noch größere Rolle. "Der Mann am Tankschlauch war völlig neu in diesem Job", erzählt Jenson Button. Zudem ließen Balance-Probleme die Konkurrenz zu nahe heran.
Die beginnende Wandlung vom David zum Goliath erhöhte den Druck massiv – von außerhalb, aber auch von innerhalb. Da sich kein Käufer gefunden hatte, musste die Hälfte des Teams nach dem Sieg ihre Stelle verlassen. Die emotionale Achterbahn war vom Höhe- in den Tiefpunkt gerauscht. Fry hält die Stimmung fest: "Es war wie ein Tod innerhalb der engsten Familie. Aber wir hatten keine andere Wahl. Die Kassen waren so leer, dass jede Ausgabe über 75 Pfund von Ross, dem Finanzdirektor oder mir abgenickt werden musste." Selbst die Piloten flogen mit Urlaubs-Fluggesellschaften.
Eine Investition konnte das sparsame Trio allerdings nicht umgehen. Gary Holland, der frühere Tankwart, kehrte für die Rennwochenenden zum Team zurück. Angesichts des zerfallenden Honda-Programms war dieser früh abgesprungen, um als Klempner zu arbeiten. Der "Weekend Warrior" wirkte direkt. Bei anderen Themen schadete der Geldmangel massiv. So konnte BrawnGP keine Ersatzautos fertigen.

2009 tobten hinter den Kulissen mehrere Polit-Thriller. Allen voran wollten F1-Zampano Bernie Ecclestone und FIA-Boss Max Mosley die Teams kommerziell ausbooten. Doch diese fanden in Form einer Piratenserie ein gutes Gegenmittel. Im Kreuzfeuer: BrawnGP.
50:50-Chance vor Gericht
Jenson Button gewann trotz Feuchtigkeit in seinem Lenkrad das nächste, rechtzeitig abgebrochene Rennen in Malaysia. Danach warf die Doppeldiffusor-Opposition alles in den Weg von Brawn, was sie finden konnte. Eine FIA-Verhandlung noch im April hätte die Underdogs komplett in den Abgrund stürzen können. Doch die Weltbehörde ließ in Paris die Argumentation von Brawn, Toyota und Williams durchgehen. "Wir waren klar in der Minderheit. Die Entscheidung hätte in beide Richtungen gehen können", erzählt Ross Brawn.
Die Ironie des Ganzen ist, dass parallel die Gegner bereits an ihrer technischen Antwort arbeiteten. Red-Bull-Debütant Sebastian Vettel schlug beim folgenden Großen Preis von China zurück. Danach marschierte Button in Bahrain, Spanien, Monaco und der Türkei. Hinter den Kulissen entstanden mehrere Grabenkämpfe. Die FIA, Teams und Bernie Ecclestone kämpften um die Herrschaft der Königsklasse. BrawnGP stritt sich um die kommerziellen Einnahmen, die Honda für die Saison 2008 ausgestanden wären, aber durch den Teamumbau vom F1-Managment einbehalten werden sollten. Und Rubens Barrichello, der ursprünglich nur einen Vertrag für vier Läufe hatte, sah sich im Team als Nicht-Brite benachteiligt.
Ab Silverstone, wo Sebastian Vettel auf allen Ebenen zauberte, geriet Brawn endgültig unter Druck. Sein Kollege Mark Webber gewann anschließend in Deutschland. Der Große Preis von Ungarn war auf mehreren Ebenen historisch. Erst verletzte sich Felipe Massa durch ein gelöstes Feder-Element aus dem Brawn von Barrichello schwer, dann feierte der amtierende Weltmeister Lewis Hamilton den ersten Sieg für einen Hybrid-Antrieb. Die folgende Sommerpause der 60. Formel-1-Saison wurde ungemütlich in Brackley. Das Selbstverständnis, der Zusammenhalt und die Sicherheit hatten Risse erhalten.
Brasilianische Tage und riesiges Misstrauen
Rubens Barrichello sorgte beim Großen Preis von Europa für Balsam. Sein erster BrawnGP-Sieg in Valencia, den er Massa widmete, wirbelte allerdings die Team-Dynamik weiter durcheinander. Stichwort Balsam: Kimi Räikkönen feierte danach in Spa den einzigen Saisonerfolg für Ferrari, BrawnGP musste in den Ardennen leiden. Mit dem Triumph in Italien erhöhte Barrichello die Brasilien-Gesamtsiegzahl auf 101. Dort jubelten ihm selbst die Tifosi aus alter Verbundenheit zu. "Ich fühlte, wie mir die WM stetig entglitt", schüttelt sich Button noch heute beim Gedanken an den knallharten Kollegen und die roten Bullen.
Das abschließende Renn-Quartett hätte kaum dramatischer sein können. In Singapur, Suzuka, São Paulo und beim Debüt von Abu Dhabi schien trotz des Brawn-Vorsprungs aus der Frühphase alles auf dem Spiel zu stehen. Mit beiden WM-Titeln vor Augen bekämpften sich die weiß-grünen Underdogs plötzlich innerhalb. Die Strategie-Truppen von Button und Barrichello trauten sich keine Sekunde mehr über den Weg. Vielleicht auch deswegen sollte Brawn kein Rennen mehr gewinnen. Lewis Hamilton legte beim Nachtrennen-Newcomer in Singapur nach. Buttons Nerven flattern in den Tropen so stark wie zuvor. Und Red Bull feilte unaufhaltsam am Punktepolster.
Passend zur Gefühlsachterbahn folgte die Hardcore-Strecke von Suzuka. Gridstrafen für beide Brawn ließen die Emotionen hochkochen, denn laut ihnen hätte auch Vettel für zu hohe Geschwindigkeit in der Quali bestraft werden müssen. Der Deutsche triumphierte, Barrichello wurde Siebter und Button haderte mit dem achten Rang. Dem Briten war da nun jedoch klar, dass er seinen Teamkollegen managen kann. Vettel fehlten damals, nach dem alten Punkteschlüssel, noch saftige 16 Zähler auf Button.

Sechs Siege reichten Jenson Button zum größten Erfolg seines Motorsport-Lebens. Doch zum Ende hin stand er psychisch am Anschlag.
"We are the Champions"
Regen ärgerte die WM-Kandidaten beim Qualifying zwischen den Seen São Paulos. Was vorher für die Red Bull ein Segen gegen die stärkeren Brawn gewesen ist, ließ Vettel verzweifeln. Aber auch Jenson Button tat sich durch einen falschen Reifendruck extrem schwer und stürzte auf P14 ab. "Wir haben es mit den Reifen einfach verhauen", ärgert sich Brawn. Auf der anderen Garagenseite explodierte kurz danach die Stimmung. Rubens Barrichello verwandelte "die beste Brasilien-Runde meines Lebens" in die Pole-Position. Hatte sich Button doppelt verschätzt?
Das Rennen selbst zeigte sich trocken. Button überlebte reichlich Chaos in der Startphase und sprang in die Top 10. Vorne blieb Barrichello dominant. Zügig drang der englische WM-Leader in die Punkte vor. Sebastian Vettel war zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger aus der Verlosung. Bei einem zu engen Duell zwischen Barrichello und Hamilton zog sich der Brasilianer einen Reifenschaden zu. Mit dem platten Pneu verschwand ebenfalls die WM-Hoffnung. Button war derweil auf Titelkurs. Der spätere Sieger Mark Webber interessierte niemanden mehr.
Ein Rennen vor Ende krönte sich Button durch den fünften Rang zum Weltmeister – und begann "wie Freddie Mercury" zu singen. Der parallele Erfolg in der Konstrukteurswertung brachte das Märchen nach einigen Umwegen sanft ins Ziel. Das Timing des Doppels ist bis heute einmalig. Die erste Umarmung bekam Button von Barrichello, der unterstrich, nie die Freundschaft vergessen zu haben. "Ich weinte zehn Minuten lang, aber feierte danach mit meinem Team." Die Rivalen der anderen Teams konnten ebenfalls nicht anders, als sich vor den Märchenhelden zu verneigen. Selbst Luca di Montezemolo zog den Hut. Sebastian Vettel durfte sich in Abu Dhabi auf der höchsten Podiumsstufe trösten.

James Vowles war als Chefstratege von BrawnGP hauptverantwortlich für das Wunder. Heute versucht der charismatische Brite, Williams ebenfalls zu mehr als nur Underdogs zu machen.
Mehr als ein One-hit-Wonder
Im Gegensatz zu Märchen musste dem Happy-End jedoch noch etwas folgen. Für die Zukunft in der mittlerweile durch ein neues Agreement gefestigten Formel 1 brauchte Brawn Hilfe. Das Wunder war durch eine schwere Kostenkur und eine fehlende Entwicklungs-Timeline für 2010 teuer erkauft worden. Die Lösung kam in Form des Mercedes-Konzerns, der das 130-Millionen-fache wie Ross Brawn für die Übernahme bezahlt haben soll. Der Wiederaufbau kostete Nerven und spielte in die Karten von Red Bull. Doch ab 2014 gewann man acht Mal in Folge die Konstrukteursehren. Zahlreiche Gesichter auf diesen Meisterfotos waren auch die von 2009. Die Spuren von Honda-Aero-Guru Masayuki Minagawa führten hingegen in die Industriesparte des Konzerns.
Brawn verließ Ende 2013 Mercedes und war von 2017 bis 2022 im Management-Team der Formel 1 tätig. Nick Fry arbeitete zuletzt für den Motorsport-Zulieferer McLaren Applied. Zwei Saisons bei Williams rundeten die F1-Karriere von Rubens Barrichello ab. Zusammen mit seinem Sohn Eduardo mischte er 2024 die brasilianische Tourenwagen-Szene auf. Von 2010 bis 2017 stand Jenson Button bei McLaren unter Vertrag, nun fährt er in der Sportwagen-WM für Cadillac.
Der Button-Renningenieur Andrew Shovlin und Ron Meadows sind bis heute hohe Tiere bei Mercedes. Jock Clear wechselte hingegen zu Ferrari. Noch prominenter ist der Werdegang des nun weltbekannten Chefstrategen. James Vowles leitet Williams. Wie seine Kollegen erzählt er in Formaten wie der Disney-Doku stolz über die unmögliche Geschichte, die aber genauso geschah.