Max Verstappen ist auch im zweitbesten Auto eine Macht. Der Red-Bull-Pilot hatte 53 Runden lang zwei McLaren im Rückspiegel. Der Weltmeister fuhr weltmeisterlich und gab sich keine Blöße. Da, wo er verwundbar gewesen wäre, stellte er sicher, dass er schneller war. "Max war beim Beschleunigen aus der Haarnadel und der Schikane besser", deutete Red-Bull-Teamchef Christian Horner die GPS-Charts.
Im Rückblick gab es nur zwei Möglichkeiten, Verstappen zu knacken. Die erste eröffnete sich beim Reifenwechsel. George Russell gab mit seinem Boxenstopp in der 19. Runde den Startschuss. Das zog alle anderen nach und genauso in den Verkehr. Russell stürzte vom fünften auf den zwölften Platz, direkt hinter Fernando Alonso, Pierre Gasly und Yuki Tsunoda.
Die Mercedes-Strategen erklärten, warum man trotzdem die Reißleine zog: "Es gab nirgendwo größere Lücken im Feld. Wenn wir gewartet hätten, wäre George hinter Albon und Bearman gefallen. Wegen der geringen Reifenabnutzung blieb auch das Verfolgerfeld lange auf der Strecke und damit in unserem Boxenstopp-Fenster."

Lando Norris wurde parallel zu Verstappen reingeholt. Eine Runde früher hätte es mit dem Undercut klappen können.
Piastris Polster betrug 4,9 Sekunden
In dem Moment, als Russell in die Boxen abbog, lag Lando Norris 1,4 Sekunden hinter Verstappen. Der Undercut von Medium-Gummis auf harte Reifen brachte 1,5 Sekunden. Es wäre also einen Versuch wert gewesen. McLaren aber holte zuerst Oscar Piastri an die Box.
"Um ihn gegen Russell zu schützen. George war auf den harten Reifen sofort schnell. Wir wollten nicht, dass Oscar ihn auf der Strecke überholen muss. Das wäre auch gegen einen Mercedes fast unmöglich gewesen", erklärte McLaren-Teamchef Andrea Stella. Das Überhol-Delta lag nach seiner Aussage bei acht Zehntel. Mercedes errechnete sogar 1,2 Sekunden.
Piastri hatte zum Zeitpunkt von Russells Boxenstopp einen Vorsprung von 4,9 Sekunden auf den Mercedes. Dazwischen lag noch Charles Leclerc. Das Polster des Ferrari-Piloten war mit 2,2 Sekunden deutlich geringer. Ferrari hätte also mehr Gründe gehabt, sofort auf Russells Reifenwechsel zu reagieren. Doch die Italiener ließen Leclerc eine weitere Runde auf der Strecke, weil schnell klar wurde, dass Russell im Verkehr Zeit verlieren würde. Als der Ferrari-Pilot in der 21. Runde seinen Boxenstopp abwickelte, lag er immer noch vor Russell.
Das hätte auch McLaren merken müssen. Piastri bis Runde 21 warten zu lassen und stattdessen mit Norris in der 20. Runde den Undercut gegen Verstappen zu versuchen, wäre ein Poker ohne Risiko gewesen. Und vermutlich hätte er auch funktioniert, wenn man bedenkt, wie knapp es eine Runde später wurde, als die beiden Spitzenreiter direkt hintereinander an die Box kamen.
Verstappen hatte an der Boxenausfahrt nur eine halbe Wagenlänge Vorsprung. McLaren wickelte seinen Reifenwechsel 1,2 Sekunden schneller ab. "In unserer Boxenstopp-Crew fehlten zwei Leute aus der Stammbesetzung", entschuldigte sich Horner. "Außerdem haben wir noch den Frontflügel verstellt."

McLaren feiert auch zweite und dritte Plätze. Im Konstrukteurspokal hat das Team aus Woking schon einen großen Vorsprung.
Warum kein Platztausch bei McLaren?
Dann lieferte das Trio an der Spitze 32 Runden lang ein Verfolgungsrennen. Man wartete vergeblich darauf, dass die McLaren ihre günstigere Reifenabnutzung ausspielen können. Der neue Asphalt hatte allen im Feld die Reifen-Sorgen genommen und aus einem Zweistopp-Rennen einen Einstopper gemacht.
Der Abstand zwischen Verstappen und Norris pendelte zwischen einer und zwei Sekunden. Piastri dagegen lag die meiste Zeit im DRS-Fenster seines Stallrivalen. Ein Angriff aber wäre zu riskant gewesen, wenn der Teamkollege nicht mitspielt. "Dafür hätte die Zielgerade 100 Meter länger sein müssen", bedauerte der Australier.
Die einzige Chance hätte darin gelegen, Plätze zu tauschen und zu schauen, ob Piastri den Red Bull überholen kann. McLaren hätte am Ende immer noch die alte Reihenfolge wiederherstellen können. Piastri fragte am Funk einmal vorsichtig nach, bekam aber eine Absage.
Stella verteidigt die Entscheidung seiner Strategen. "Lando war nicht langsamer als Oscar. Er hat mit dem Abstand zu Max gespielt. Immer wenn er auf eine Sekunde verkürzt hat, musste er wieder nachlassen, weil er in den Turbulenzen massiv Grip verloren hat. Das wäre Oscar auch passiert." Man könnte dagegenhalten, dass Piastri näher an Norris dran war als Norris an Verstappen und trotz verwirbelter Luft offenbar weniger Probleme hatte den Abstand zu halten.
Die sogenannten "Papaya-Regeln" gewinnen zwar einen Fairness-Preis, sind aber gegen Red Bull oft das falsche Mittel. Dort drehen sich alle Räder für Verstappen. Stella weiß, dass McLaren im Kampf um den Fahrer-Titel einen Nachteil hat. Red Bull dagegen kann die Konstrukteurs-WM praktisch schon abschreiben.
McLaren hat das Rennen in der Qualifikation verloren. Norris fehlten zwölf, Piastri 44 Tausendstel auf die Pole Position. "90 Prozent der Arbeit wurde am Samstag erledigt", gab Horner zu. Stella verteidigt seine Fahrer: "Bei Millisekunden kann man nicht wirklich von Niederlagen sprechen. Die Plätze zwei und drei sind immer noch ein solides Ergebnis für uns."