Die Qualifikation schien bereits gelaufen. Mit dem Ergebnis, das alle erwartet hatten. Eine Minute lang standen beide McLaren-Mercedes in der ersten Startreihe. Oscar Piastri vor Lando Norris. Doch dann packte Max Verstappen wieder einmal den Hammer aus. Mit seiner letzten Runde flog der Niederländer an seinen Konkurrenten vorbei.
Verstappen hatte zwar das Q1 gewonnen, sah aber zu Beginn des Q3 nicht mehr wie ein Kandidat für den besten Startplatz aus. Piastri hatte bereits eine Superrunde auf die Bahn gezaubert. Norris lag nur 15 Tausendstel dahinter. Und im Q2 hatten sich die am ganzen Wochenende so starken Ferrari an der Spitze zurückgemeldet.
Während Verstappen die komplette Qualifikation immer als Erster aus dem Spitzenpulk auf die Strecke ging, wartete er mit seinem letzten Q3-Versuch bis ganz zum Schluss. Die Bedingungen waren ideal für den Red Bull. Die Temperaturen moderat, der Grip so gut wie er nur sein konnte, die Windrichtung genau richtig. Verstappen begann die Runde mit zwei Sektor-Bestzeiten und gab im letzten Abschnitt weniger als ein Zehntel an die McLaren ab. Die Ferrari-Fahrer machten Fehler, der Weltmeister nicht.

Red Bull setzt in Silverstone auf deutlich kleinere Flügel als die Konkurrenz.
Kleiner Flügel, bessere Balance
Die vierte Pole-Position von Verstappen in diesem Jahr ging aber nicht nur auf das Konto des Fahrers. Die Ingenieure um Pierre Waché hatten sich ein Setup ausgedacht, das scheinbar ein großer Poker ist, tatsächlich aber bei der Bestzeit mithalf und auch im Rennen nicht schaden muss. Das hat Verstappens Longrun am Freitag gezeigt.
Red Bull hat normalerweise auf Strecken wie Silverstone ein Problem. Man hat keinen Frontflügel im Angebot, der den Abtrieb im Heck egalisieren kann. Würde man die Flaps steiler stellen, bekäme der Unterboden nicht die Strömung, die er braucht. Verstappen klagte am ersten Trainingstag wie so oft lautstark über massives Untersteuern.
Im zweiten Training packte Red Bull in seiner Not eine Heckflügel-Variante aus, die im Laufe der Saison nur einmal kurz getestet wurde, bislang aber nie zum Einsatz kam. Er wurde in der zweiten Trainingssitzung im Vergleich gegen die Standardversion getestet, die Yuki Tsunoda am Auto hatte. Mit dem Ergebnis, das man sich erhofft hatte.

Finden die Ferrari im Rennen in die Erfolgsspur?
Wind meint es gut mit Red Bull
Mit dem neuen Flügel schwächte sich das Untersteuern ab. Der Trick war ganz einfach: Der Heckflügel, der an seinem geraden Hauptblatt leicht zu erkennen ist, hat weniger Abtrieb. Vorne wenig und hinten wenig ergibt in Summe eine fast ausgeglichene Balance. Und den besten Topspeed. An beiden Messpunkten, wo DRS aktiviert sein durfte, lagen die Red Bull klar vorne. Am Samstag wurde auch Tsunodas RB21 mit dem neuen Flügel ausgerüstet.
Mit dem generell geringeren Anpressdruck konnten die Fahrer, speziell Verstappen, besser leben als mit dem Untersteuern. Der Grip der frischen Reifen kompensiert zum Teil, was von der Aerodynamik fehlt. Und in Silverstone wird man dafür nur in wenigen Kurven bestraft, wie Pierre Waché erklärt: "Die meisten schnellen Kurven gehen mit den Groundeffect-Autos problemlos voll. Da bleiben nur noch zwei mittelschnelle und fünf langsame Kurven, die man überleben muss." Die Windrichtung machte das Überleben einfacher, weil der Wind von Copse bis Stowe von vorne blies.
Die Gegner waren mit unterschiedlichen Abstimmungen angetreten. Ferrari wählte viel Abtrieb, McLaren einen Kompromiss. Tatsächlich verlor Verstappen den Großteil seiner Zeit im letzten Sektor, wo der Grip der Reifen schon fast aufgebraucht war. Bei genauer Analyse stellte der Weltmeister fest: "Die Ferrari waren in den Kurven die schnellsten, wir auf den Geraden. McLaren lag irgendwo mittendrin."

Einen Max Verstappen darf man nie abschreiben.
Kein Eigentor für das Rennen
Wer jetzt glaubt, Red Bull hätte sich für das Rennen ein Eigentor geschossen, weil weniger Abtrieb die Reifen mehr beansprucht, wird am Sonntag feststellen, dass diese Rechnung in Bezug auf Red Bull nicht zutrifft. "Im Rennen wird hauptsächlich mit geschlossenem Heckflügel gefahren. Da haben wir dann wieder mehr Abtrieb", erklärt Waché. McLaren-Teamchef Andrea Stella glaubt das auch: "Der Abtrieb hat in Silverstone keinen so großen Einfluss auf die Reifenabnutzung."
Mit mehr Anpressdruck im Heck durch das fehlende DRS könnte sich das Untersteuern wieder melden. Das aber ist aus Sicht von Red Bull für den Longrun durchaus gewollt. Wenn der Vorderreifen die Schwachstelle ist, wird der Hinterreifen geschont. Und der ist in Silverstone das schwache Glied in der Kette.
Die Vorderreifen lassen sich einfacher gegen Überhitzung schützen. Vor allem vom Spitzenreiter. Wenn Verstappen vorne liegt, bestimmt er in den Kurven das Tempo und ist auf den Geraden weniger verwundbar. Stella warnt davor, die McLaren in die Favoritenrolle zu schreiben: "Verstappen ist ein ernsthafter Kandidat auf den Sieg beim Grand Prix von England."