Nach dem McLaren-Doppelsieg beim GP Miami fragten sich alle: Geht es noch überlegener? Es geht, wenn der erste Trainingstag in Imola der Maßstab für den Rest des Wochenendes sein sollte. Diesmal haben die McLaren auch auf eine Runde die Konkurrenz mit einem Vorsprung von fast drei Zehntel im Griff. Im Longrun sowieso. Da liegt eine Welt zwischen McLaren und dem Rest.
Das Rennen um den Sieg werden Lando Norris und Oscar Piastri unter sich ausmachen. Auf eine Runde schlug Piastri seinen Teamkollegen um 0,025 Sekunden. In der Rennsimulation hatte Norris mit 0,045 Sekunden die Nase vorn. Allerdings hat Piastri zwei Runden mehr auf dem Medium-Reifen zurückgelegt. Das enge Rennen der Papaya-Boys könnte für die Zuschauer durchaus reizvoll sein. Für die McLaren-Kommandobrücke vielleicht weniger. Kommt es in Imola zum ersten Schlagabtausch, der laut McLaren-Boss Zak Brown unausweichlich ist?
Auch hinter McLaren bleibt es spannend. Auf eine Runde hat Mercedes einen minimalen Vorsprung auf Red Bull und Ferrari. In den Longruns sieht es anders aus. Da glänzte Ferrari. Die Rundenzeiten von Charles Leclerc lagen in Schnitt nur zwei Zehntel über denen von McLaren. "Das hilf uns aber nur etwas, wenn wir in der Startaufstellung vor unseren Gegner stehen", beschwört Teamchef Frédéric Vasseur seine Mannschaft. Imola ist eine Strecke mit eingebautem Überholverbot.
Im Mittelfeld glänzte Alpine auf eine Runde mit dem neuen C6-Reifen. Auf der mittleren Mischung C5 war Williams stärker. Als Gesamtpaket muss man Williams mehr zutrauen. Der Longrun von Carlos Sainz war über eine halbe Sekunde pro Runde schneller als der von Pierre Gasly.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen:
1) Ist McLaren wieder unschlagbar?
Das erste Training endete mit einem Doppelsieg für McLaren. Oscar Piastri vor Lando Norris. Aber der Vorsprung auf den drittplatzierten Carlos Sainz war mit 52 Tausendstelsekunden nur hauchdünn. Alle waren auf der neuen C6-Mischung unterwegs. Im zweiten Training präsentierte sich auf den Medium-Gummis das gleiche Bild. Norris vor Sainz, nur durch 0,040 Sekunden getrennt. Da bestand noch Hoffnung, dass McLaren um die Pole Position wenigstens kämpfen muss.

Oscar Piastri war wieder einmal unschlagbar.
Doch auf den Soft-Reifen packte McLaren dann den Hammer aus. Piastri und Norris lagen innerhalb von nur 0,025 Sekunden. Alle anderen, mit Pierre Gasly an der Spitze, fehlten fast drei Zehntel. Das ist bei einer Zeitspanne von 1,127 Sekunden für das ganze Feld ein Klassenunterschied. In den Longruns kam es für die Gegner noch schlimmer. Nur Ferrari konnte halbwegs folgen. Alle anderen Fahrer waren im Schnitt eine halbe Sekunde pro Runde langsamer. Während die McLaren ihre Rundenzeiten konstant halten, steigen sie bei der Konkurrenz nach fünf Runden an.
2) Hat Red Bull seine Probleme gelöst?
Ja und nein. Auch das Imola-Upgrade kurierte die Schwachstellen des RB21 nur zur Hälfte. Max Verstappen rapportierte zunächst noch Untersteuern am Scheitelpunkt und Übersteuern am Kurvenausgang. Doch im zweiten Training war das Untersteuern verschwunden. "Trotzdem haben wir vier Zehntel auf die McLaren verloren. Das ist zu viel. Und im Rennen scheinen die McLaren wieder eine Klasse für sich", bedauerte Sportdirektor Helmut Marko. Im Vergleich zu den anderen Teams fällt das Urteil vorsichtig aus. "Wir sind unser normales Programm gefahren, haben aber das Gefühl, dass einige vielleicht ein bisschen leichter unterwegs waren."
Die jüngste Entwicklungsstufe hat ihre Wirkung nicht ganz verfehlt, sie brachte Red Bull aber auch nicht entscheidend näher an McLaren heran oder von seinen Leidensgenossen Mercedes und Ferrari weg. Außerdem hüpft das Auto über Bodenwellen und Randsteine. Das alte Problem, das Red Bull nun schon seit zwei Jahren verfolgt. Überraschend war der achte Platz von Yuki Tsunoda, mehr noch aber der geringe Zeitrückstand von 0,092 Sekunden. "So nah war schon lange keiner mehr am Max dran. Dem Yuki macht das Übersteuern nicht so viel aus. Er beschwert sich auch weniger", stellte Marko fest. Der geringe Zeitabstand könnte aber auch eine andere Geschichte erzählen. Nämlich die, dass Verstappen noch nicht optimal unterwegs war. Normalerweise schlägt der Weltmeister zu, wenn es ernst wird.

Maxx Verstappen war am Freitag noch nicht happy im Cockpit.
3) Wo stehen Mercedes und Ferrari?
Beide sind keine Siegkandidaten. George Russell fehlten in den schnellen Runden auf beiden Reifenmischungen – Soft wie Medium – vier Zehntel auf die McLaren-Bestzeit. Andrea Kimi Antonelli kam bei seinem Heimspiel auf eine Runde noch nicht so richtig in Schwung. Der Mercedes-Rookie versteckte sich auf den Plätzen 13 und 18. Mercedes konzentrierte sich am ersten Trainingstag auf Longruns, weil man die Performance am Sonntag verbessern will. Doch auch die Longruns der Silberpfeile waren keine Offenbarung. Hier machte Antonelli mit einem Schnitt von 1.20,334 Minuten die bessere Figur. Russell kam nur auf 1.20,675 Minuten.
Ferrari war auf eine Runde noch langsamer als Mercdes. Allerdings nur minimal. Charles Leclerc verlor 0,075 Sekunden auf Russell. Lewis Hamilton erzielte seine Rundenzeit erst im zweiten Anlauf. Im ersten lief er auf Verkehr auf. Franco Colapinto lieferte sich ein sinnloses Duell mit dem Weltmeister und wehrte sich auch mit mit offenem DRS gegen den Ferrari-Piloten. Erfreulich waren die Longruns der Ferrari-Piloten. Sie kamen als einzige in die Nähe der McLaren-Dauerläufe. Charles Leclerc legte sechs Runden in einem Mittel von 1.20,188 Minuten zurück. Hamilton war drei Zehntel langsamer. Vasseur hat die McLaren schon gar nicht mehr auf der Rechnung: "In der Gruppe dahinter geht es um Hundertstel. Unsere Longruns waren gut, aber sie helfen uns nur, wenn wir am Start auch vor den anderen stehen."

Mercedes hat noch Hausaufgaben.
4) Kann Gasly den Favoriten in die Suppe spucken?
Auf eine Runde kam Pierre Gasly den McLaren-Piloten am nächsten. Es sieht so aus, dass die zumeist langsamen Kurven dem Alpine entgegenkommen. Sein bislang bestes Rennen hatte Alpine in Bahrain, einem Kurs mit ähnlichen Kurven. Gasly jubelte: "Das Auto fühlte sich von der ersten Runde gut an. Wir haben einige Fragezeichen, die uns in den letzten Rennen beschäftigt haben, gelöst. Das Auto reagiert jetzt so wie ich will." Nach einer Kollision mit einem Hasen musste das Auto mit der Startnummer 10 zwischen den beiden Trainings repariert werden. Frontflügel und Unterboden hatten Blessuren davongetragen. Im Longrun dagegen hinkte Alpine hinterher. Gasly war mit einem Schnitt von 1.21,007 Minuten der langsamste im Feld. Er legte mit elf Runden allerdings auch die längste Distanz zurück.
Da machten die Williams-Piloten eine wesentlich bessere Figur, auch wenn sie am Ende nur auf den Plätzen 9 und 10 landeten. Carlos Sainz und Alexander Albon lobten die Fahrzeugbalance, rätseln aber noch, warum der Soft-Reifen im zweiten Training nicht mehr so gut für sie funktionierte wie im ersten. Und warum man auf eine Runde mit dem Medium-Gummi den McLaren praktisch ebenbürtig war. Sainz fordert deshalb: "Wir müssen verstehen, warum wir am Nachmittag nicht mehr das Maximum aus dem C6-Reifen herausholen konnten. Die Startaufstellung ist entscheidend hier."

Pierre Gasly war auf einer Runde die Überraschung.
5) Welcher Aston Martin ist schneller: Alt oder neu?
Kurze Antwort: Der Unterschied in der Rundenzeit ist gleich null. Lance Stroll fuhr den AMR25 mit den neuen Teilen, Fernando Alonso die alte Spezifikation. Am Abend will Aston Martin entscheiden, mit welcher Version es ab Samstag für beide Piloten weitergeht. Das Ergebnis war niederschmetternd. Alonso war auf Medium-Reifen 0,121 Sekunden schneller als Stroll mit Soft-Gummis. Allerdings fuhr Alonso seine Rundenzeit 20 Minuten später auf einer schnelleren Strecke.
Aston Martin hatte von allen Teams das größte Upgrade nach Imola gebracht: Der komplette Unterboden, von den Venturi-Kanälen bis zum Diffusor, die Motorabdeckung, der Beam-Wing und die Halo-Verkleidung waren neu. Teamchef Andy Cowell betonte, dass die Rundenzeit am ersten Trainingstag nicht im Vordergrund stand. Man wollte zuerst mal herausfinden, ob der neue Windkanal verlässliche Ergbnisse liefert, und ob die Schlüsse, die die Ingenieure aus diesen Daten gezogen haben, sie auf den wichtigen Weg brachten. Offenbar befinden sie sich noch immer in einem Irrgarten. Auch wenn es im Longrun etwas freundlicher für Stroll aussah.

Bei Aston Martin fuhr Lance Stroll das Upgrade.
6) Hält Pirellis Superkleber C6?
Der neue C6-Reifen von Pirelli war zuvor nur zwei Mal getestet worden. Vergangenes Jahr in Mexiko und Abu Dhabi. Deshalb war selbst Pirelli gespannt, wie sich der neue Superkleber im Ernstfall bewähren würde. Das Ergebnis war positiv. Die weichste Reifenmischung lieferte die komplette Runde Grip und brach im letzten Sektor nicht ein. Im Vergleich zum C5-Reifen waren die Zeiten sieben Zehntel schneller.
Allerdings war die Strecke in der Zwischenzeit durch mehr Gummiauflage schon wieder besser geworden. Die echte Differenz liegt bei vier Zehntel. Das ist mehr als Pirelli erwartet hatte. Da ging man von zwei bis drei Zehntel aus. Ferrari-Teamchef Vasseur lobte: "Der C6-Reifen hält sogar sechs bis sieben Runden. Das reicht aber nicht für einen Renneinsatz." Wer den Soft-Reifen am Start fahren will, legt sich von vornherein auf ein Zweistopp-Rennen fest. Und er fällt tief ins Feld zurück, weil bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Lücken entstanden sind.