Monocoque, F-Schacht, Semi-Automatik: Ideen-Wettbewerb

Monocoque, F-Schacht, Semi-Automatik
Die cleversten F1-Ideen

1000. GP
Veröffentlicht am 26.02.2019
Brabham BT46 - Fan-Car - Goodwood 2017
Foto: Motorsport Images

Im Motorsport zählen Mensch und Maschine. Das ist gut so. Der technische Wettbewerb ist eine zweite Ebene, die fast genauso viele Fans fasziniert, wie der Kampf der Fahrer auf der Strecke. Eng gestrickte Reglements machen es allerdings immer schwerer, das Rennauto neu zu erfinden. Und viele Ideen verschwinden in der Mottenkiste, bevor sie ausprobiert werden. Das Werkzeug der Simulation kann grausam sein. Ein Projekt wie der Sechsrad-Tyrrell würde heute nicht mehr den Weg auf die Rennstrecke finden. Weil der Computer schon vor dem ersten Zeichenschritt sagt, dass man damit nicht Weltmeister werden kann.

Red Bull-Stardesigner Adrian Newey fasst das Problem mit klaren Worten zusammen. Es ist einfach schon fast alles einmal erfunden worden: „Natürlich hast du immer den Ehrgeiz, ein Schlupfloch zu finden oder die Angst, dass es ein anderer findet. Es ist sehr unwahrscheinlich, ein Design auszugraben, das alles auf den Kopf stellt. Im Vergleich zu den 70er Jahren gibt es da mehrere Gründe. Damals gab es ein simples Regelbuch. Vielleicht fünf Seiten. Es gab nur kleine Teams mit zwei bis drei Designern und sehr simplen Werkzeugen. Sie hatten die große Freiheit vom Reglement, aber sehr limitierte Ressourcen. Sie mussten also alles im Kopf erfinden. Das Regelbuch hat sie dazu ermutigt. Das führte zu vielen Formen und Ideen. Mit mehr Werkzeugen und Wissen kam alles wieder zusammen.“

Colin Chapman: Fundgrube für Ideen

Die meisten Beispiele für den Erfindergeist der Ingenieure datiert deshalb aus früheren Jahren. Der umtriebigste Konstrukteur der ersten drei Jahrzehnte war Lotus-Gründer Colin Chapman. Der hatte schon in den 50er Jahren die Aerodynamik auf dem Schirm. Er trimmte für Vanwall das Chassis derart auf geringen Luftwiderstand, dass die grünen Autos aus Acton auf den Geraden unschlagbar wurden.

Cooper machte mit den Typen T43 und T45 den Mittelmotor salonfähig. Er fuhr ab 1959 die Frontmotor-Monster an die Wand. 1961 hatten alle den Motor hinter dem Fahrer. Renault traute sich ab 1977 an den Turbo-Motor heran. Motorenpapst Keith Duckworth hatte zu Beginn der Dreiliter-Ära dem aufgeladenen Triebwerk mit dem halben Hubraum keine Chance gegeben. Später empfand er den Hubraumfaktor als ungerecht. Für die Saugmotor-Liga. Michelin zwang mit seinen Radialreifen die Konkurrenz zum Nachdenken. Goodyear musste nachziehen.

Cooper T58 Climax V8 - GP Italien 1961
sutton-images.com

Ab 1958 setzte Chapman seine Ideen für die eigenen Rennautos um. 1962 erfand Mister Lotus mit dem Modell 25 das Monocoque. Eine Aluminiumschale löste den Gitterrohrrahmen ab. Sie war verwindungssteifer, kleiner, leichter. Zehn Jahre später konstruierte jeder seine Rennautos nach diesem Prinzip. Zunächst aus genieteten Aluminiumblechen, später in Verbundbauweise, schließlich aus Karbon. Kohlefaser als Werkstoff revolutionierte den Rennwagenbau. Die Autos waren leicht und stabil wie Panzer. McLaren-Konstrukteur John Barnard traute sich als erster, ein ganzes Chassis aus dem Wunderstoff zu fertigen.

Colin Chapman brachte auch die Keilform auf die Rennstrecke. Er erprobte sie in Indianapolis und perfektionierte sie mit dem Lotus 72 für die Formel 1. 1977 kam ihm die Idee, das ganze Auto als Flügel zu nutzen. Der erste Schritt war das Wing Car. Doch der Lotus 78 hatte wegen seiner breiten Seitenkästen eine zu große Stirnfläche und war deshalb auf der Gerade eine Schnecke. Der Lotus 79 optimierte die Idee. Chapman hatte links und rechts von der Fahrgastzelle rigoros aufgeräumt und sogar den Tank zentral hinter dem Fahrer platziert. Damit stand der gesamte Platz unter den Seitenkästen für Flügelprofile zur Verfügung. Das Auto wurde insgesamt schmaler. Bewegliche Schürzen dichteten das Auto zur Seite hin ab. Aus dem Wing Car wurde ein Groundeffect Car.

Brabham gräbt Chaparral-Coup aus

Brabham erinnerte sich 1978 an den alten Chaparral-Coup und installierte im Heck einen Ventilator, der die Luft unter dem Auto absaugte und so für noch mehr Anpressdruck sorgte, als es der Lotus und seine Kopien auf natürlichem Wege konnten. Der Brabham BT46B fuhr nur ein Rennen. Nach dem Sieg beim GP Schweden 1978 zog Bernie Ecclestone sein Wunderauto wegen Protesten der Konkurrenz zurück. Interessanterweise wird diese Idee im Zuge der Überholdiskussion gerade wieder aufgegriffen. Mercedes-Technikchef James Allison glaubt, dass Staubsauger die Lösung für das Überholproblem wären. Weil sie nicht davon abhängig sind, dass saubere Luft auf das Auto trifft.

Auch die Groundeffect Cars hatten nur eine kurze Halbwertszeit. Die FIA verbot Unterböden mit Profil und seitliche Abdichtleisten. Chapmans Versuch, die Verbote mit einem Doppelchassis auszutricksen, scheiterten, bevor das Auto an einem Rennen teilnehmen konnte. Die Sportbehörde erteilte dem Lotus 88 Startverbot. Der Lotus-Gründer schmollte.

Halbautomatische Getriebe und aktive Fahrwerke

1989 war wieder John Barnard an der Reihe, die Formel 1 zu revolutionieren. Diesmal mit einem halbautomatischen Getriebe. Die Fahrer des Ferrari 640 wechselten die Gänge über Handwippen, die elektrohydraulisch die Schaltgabeln verschoben. Barnards Idee war richtig, aber zu kompliziert. Williams grub eine alte Motorradtechnik aus und vereinfachte damit das System. Statt jedes Gangpaar direkt anzusteuern, wurde nur einen Schaltwalze mit Kurvenbahnen gedreht. Die führte die Schaltgabeln in die entsprechende Position. Inzwischen wurde die Technik so weit entwickelt, dass die Piloten ohne Zugkraftunterbrechung hochschalten können.

Lotus debütierte 1987 mit einer aktiven Aufhängung. Hydraulische Stellglieder hielten den Fahrzeugkörper idealerweise immer in der gleichen Position. Damit herrschten für die Aerodynamik Verhältnisse wie im Windkanal. Das Lotus-System war zu schwer, zu kompliziert und damit zu defektanfällig. Wieder war es Williams, die den Gedanken zu Ende dachten. Ausgehend von einer Bodenfreiheitskontrolle entwickelten die Techniker unter Patrick Head eine computergesteuerte Aufhängung, die bei Wetterwechsel vom Fahrer aus dem Cockpit heraus neu eingestellt werden konnte. Ende 1993 verbot die FIA den Zauber.

Ayrton Senna - Lotus-Honda 99T Turbo - GP Italien 1987
Wilhelm

Seit 1991 arbeitete bei Williams ein junger Ingenieur, der von March gekommen war. Dieser Adrian Newey hatte viele gute Ideen im Gepäck, die der bodenständige Patrick Head in vernünftige Bahnen lenkte. Einen dieser Geistesblitze sah man dem Auto von außen kaum an. Newey stellte seine Autos von vorne nach hinten stark an. Er begann damit in den 90er Jahren und legte das Konzept bei Red Bull immer extremer aus. Weil er in der Zwischenzeit Hilfsmittel erfunden hatte, die halfen, den Boden zur Seite hin abzudichten. Leitbleche generieren Luftwirbel, die schädliche Turbulenzen gezielt abwehren.

Tyrrell erfand die hohe Nase

Der Ferrari 312T trug den Frontflügel separat auf der Nase. Der March 711 hatte 1971 das gleiche Prinzip verfolgt, nur extremer. Im Prinzip ist es heute noch so, nur andersherum. Die Flügel hängen unter der Nase. Und die Nasen recken sich hoch in den Wind, um möglichst viel Luft unter das Auto zu bringen. Tyrrell hat mit seinem Modell 019 den Anfang gemacht, Benetton hat den Gedanken mit dem B191 weitergeführt. Auch wieder ein Werk von John Barnard.

Für eine saubere Strömung mussten auch die Fahrwerks-Ingenieure Opfer bringen. Nicht mehr die beste Geometrie war gefragt, sondern möglichst wenig Querlenker im Wind. Sauber erfand 2000 mit dem C19 den Twin-Kiel, bei dem die unteren Querlenker der Vorderachse an zwei Zapfen hingen, die aus dem Chassis wuchsen. Adrian Newey gefiel der Trick. Er machte die Nullkiel-Aufhängung daraus. Die unteren Querlenker beim McLaren MP4-20 wurden so hoch angebracht, dass sie gleich direkt an das Chassis angebunden werden konnten.

Newey grub 2009 an der Hinterachse wieder die Pullrod-Technik aus. So ließ sich das Getriebe flacher und schmaler bauen. Den gewonnen Platz nutzte Newey zur Verbesserung der Strömung zum Diffusor. McLaren prägte 2010 einen neuen Begriff. Mit dem Wort F-Schacht war ein pneumatischer Schalter gemeint. Der Fahrer schloss oder öffnete auf der Geraden mit dem Fuß, dem Knie oder der Hand eine Schleuse, was dazu führte, dass vorne angesaugte Luft über einen Schacht auf den Heckflügel geblasen wurde. Mit dem Ziel, dass dort die Strömung abriss. Das brachte bis zu 10 km/h auf der Geraden oder 0,6 Sekunden pro Runde auf der Uhr.

F-Schacht und angeblasener Diffusor

Red Bull setzte mehr auf Abtrieb und erfand den angeblasenen Diffusor. Neweys RB6 sah man seine Qualitäten erst auf den zweiten Blick an. Keiner hatte ein so schlankes Heck, keiner so hohe Querlenker an der Hinterachse, keiner einen so biegsamen Frontflügel. Newey längte hinten den Radstand, um Platz für den Doppeldiffusor zu schaffen. Und er stellte sein Auto im Verlauf der Saison immer stärker von vorne nach hinten an. Das wurde möglich, weil ab dem GP Deutschland die Auspuffrohre in die Spalte zwischen Bodenplatte und Hinterrad bliesen und so den Diffusor seitlich versiegelten. Renault programmierte die Motorsoftware so, dass der V8 auch beim Gaswegnehmen Auspuffgase produzierte. Das sorgte für gleichbleibend hohen Abtrieb an der Hinterachse. Ein Frontflügel, dessen Endplatten sich ab einer bestimmten Belastung nach unten auf die Straße bogen, schaffte auch vorne einen Tunnel, der die Luft bis zum Heck kanalisierte.

Das Prinzip wurde trotz Störfeuer von der FIA bis 2013 perfektioniert. Dann war Schluss mit dem Anblasen. Die Hybrid-Antrieb haben nur ein Auspuffrohr, und das muss unter dem Heckflügel münden. Auch der F-Schacht war längst Geschichte. Aber er war aus Sicht der Fans eine gute Story.

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