Pirelli brachte seine drei weichsten Reifenmischungen nach Imola. Der Hintergedanke lautete, die Teams in ein Zweistopp-Rennen zu zwingen. Aber trotz des neuen Superklebers C6 im Angebot planten die meisten Teams mit nur einem Reifenwechsel. Diese Marschrouten wurden in den Runden 10 bis 13 über Bord geworfen. Manche pokerten mit zwei, manche wurden durch die Umstände gezwungen. Es zahlte sich in keinem Fall aus.
Am Ende standen bis auf Yuki Tsunoda und Nico Hülkenberg alle zwei Mal an der Box. Aber nur, weil eine VSC-Phase ein Geschenk von zehn Sekunden und später noch mal ein reales Safety-Car einen Gratis-Boxenstopp offerierte. Tatsächlich bestritten Sieger Max Verstappen, Lando Norris, Lewis Hamilton, Alexander Albon, Charles Leclerc und Isack Hadjar ein Einstopp-Rennen mit zwei Reifenwechseln.
Gegen zwei Stopps sprach schon die Verweildauer von mindestens 29 Sekunden in der extralangen Boxengasse. Da im Rennen alle die Finger vom neuen C6-Reifen ließen, ging man davon aus, dass der Medium-Reifen bis zu 30 Runden hält, der harte Gummi aber auf jeden Fall über 40. Reifenverschleiß war gar kein Thema. Thermische Abnutzung an der Hinterachse nur in schlimmen Fällen. Die aber traten auf.

Williams splittete die Strategie seiner Piloten. Sainz zog mit dem frühen Stopp eine Niete.
Sainz-Stopp war unnötig
Lewis Hamilton, Kimi Antonelli, Nico Hülkenberg, Oliver Bearman und Yuki Tsunoda wurden mit den harten Reifen auf die Reise geschickt. Da war ein Einstopp-Rennen Pflicht. Für Hamilton und Tsunoda zahlte sich die antizyklische Reifenfolge aus, für Hülkenberg fast. Hamilton machte gegenüber der Startaufstellung acht Positionen gut, Tsunoda zehn. Hülkenberg verfehlte den letzten Punkterang um 3,8 Sekunden.
Alle drei zählten automatisch zu den Fahrern, die lange genug auf der Strecke bleiben konnten, um die VSC-Phase zum Boxenstopp zu nutzen. Die Restdistanz von 34 Runden auf dem Medium-Reifen war zwar anspruchsvoll, aber machbar. Hamilton hatte bis zum Safety-Car in Runde 46 genug Vorsprung herausgefahren, um sich einen zweiten Satz harter Reifen für das Finale zu holen. Er verlor nur eine Position, machte dann aber dank der frischen Reifen wieder zwei gut.
Teamkollege Charles Leclerc eröffnete schon in der zehnten Runde die erste Boxenstopp-Phase. Der frühe Zeitpunkt war gewollt. Ferrari hoffte, mit einem aggressiven Undercut möglichst viele Plätze gutzumachen. Es war vom elften Startplatz die erfolgversprechendste Strategie. Und die Ferrari-Strategen erspähten eine große Lücke im Feld. Hinter Yuki Tsunoda gab es zwölf Sekunden Luft. Carlos Sainz hätte einen frühen Stopp nicht nötig gehabt. Williams reagierte mit dem Spanier auf die anderen Teams. "Ein Fehler", gab Teamchef James Vowles zu.

George Russell hatte sich bei der Verteidigungsschlacht gegen Norris die Reifen zerstört.
Mercedes hatte mit Russell keine Wahl
George Russell musste dagegen an die Box. Seine Hinterreifen hatten zu stark gelitten. Wie in Jeddah wurden sie zu heiß. Das Gleiche galt für die Aston Martin. Auch bei den überraschend gut platzierten grünen Autos näherten sich die Hinterreifen bereits dem roten Bereich.
Ob dieser Prozess dadurch beschleunigt wurde, dass George Russell, Fernando Alonso und Lance Stroll auf gebrauchten Medium-Reifen starten mussten, war nicht ganz klar. Pirelli-Sportchef Mario Isola meinte: "Eine schnelle Qualifikationsrunde sollte dem Reifensatz nicht zu viel Leben gekostet haben. Durch das Abkühlen danach hat sich der Reifen stabilisiert." Die Mercedes-Ingenieure sahen einen anderen Grund: "George ist den Stint zu aggressiv angegangen."
Auch McLaren ließ sich von der Ungeduld einiger Konkurrenten anstecken. Als bei Oscar Piastri der linke Vorderreifen zu körnen begann, der Abstand zu Verstappen auf 2,7 Sekunden wuchs und Leclerc im Vergleich zu seinem Umfeld zeigte, wie mächtig der Undercut war, zog der Kommandostand die Reißleine.
Teamchef Andrea Stella musste im Rückblick zugeben, dass man zu vorsichtig war. "Wir haben später festgestellt, dass sich der Medium-Reifen nach einer gewissen Schwäche-Phase wieder erholte. Außerdem war der harte Reifen nicht so gut wie erwartet. Oscar war auf frischen harten Reifen nicht schneller als seine Gegner auf alten Medium-Gummis."
Dieses Bild ist verfälscht. Piastri war schneller. Er konnte es nur nicht zeigen. Sein Rückstand auf Verstappen wuchs zwischen den Runden 14 und 29 von 31,2 nur auf 32,1 Sekunden. Doch während der spätere Sieger immer freie Fahrt hatte, musste Piastri in diesen 15 Runden sieben Autos überholen. Bis er durch war, hatte der harte Reifen schon zu stark gelitten. McLaren rechnete mit mehr frühen Boxenstopps. Elf der 20 Fahrer blieben jedoch auf der Strecke. Im Gegensatz zu Leclerc fiel Piastri unglücklich ins Feld.

Piastri wurde durch die guten Rundenzeiten von Leclerc zu einem frühen Stopp gelockt.
Norris eine Runde zu früh
Esteban Ocon zerstörte mit seinem Motorschaden in der 28. Runde viele Träume. Für Max Verstappen, Alexander Albon, Isack Hadjar, Lewis Hamilton und Nico Hülkenberg war die VSC-Phase ein Geschenk. Sie verloren beim Boxenstopp relativ zu allen anderen zehn Sekunden weniger Zeit.
Pech hatte Lando Norris, der ganz knapp vor Ocons Ausfall seinen Boxenstopp unter Renntempo abspulte. Für Leclerc, Russell, Piastri, Sainz und die Aston-Martin-Piloten kam der zweite Boxenstopp zu früh. Weil er den Einstoppern den perfekten Zeitpunkt zum Reifenwechsel mit Zeitgutschrift bot, verpuffte ihr Undercut.
Deshalb entschied Aston Martin seine beiden Fahrer auf der Strecke zu lassen, um Positionen im Feld gutzumachen. Doch Alonso und Stroll konnten sich danach mit den älteren Reifen nicht lange in den Top Ten halten. Es war wieder das alte Lied. Die Gummis auf der Hinterachse gingen in die Knie.
In der 46. Runde rollte der achtplatzierte Kimi Antonelli auf der Steigung Richtung Piratella-Kurve aus. Diesmal gab es eine echte Safety-Car-Phase, eine ziemlich lange dazu. Es dauerte acht Runden bis der Mercedes geborgen war und Oliver Bearman sich endlich zurückrunden durfte, um das Rennen wieder freizugeben.

Das Safety-Car blieb länger draußen als gedacht. Man hätte es im letzten Stint mit Softs probieren können.
Safety-Car bestraft Piastri
Die Neutralisation half McLaren nur bedingt. Der Rückstand von Lando Norris reduzierte sich zwar von 18 Sekunden auf Sichtkontakt, doch der Engländer hatte Oscar Piastri vor der Nase. Der Australier musste das Rennen mit harten Reifen zu Ende fahren, die beim Re-Start schon 23 Runden alt waren.
Verstappen und Norris konnten sich in der Safety-Car-Phase mit frischen harten Reifen eindecken. Ihr Vorsprung nach hinten war groß genug. Piastri hatte den Luxus nicht. "Oscar hätte weitere Plätze verloren", bedauerte Stella. Bis Norris an Piastri vorbei war, hatte Verstappen schon fünf Sekunden Vorsprung.
Leclerc hätte sich für das Finale frische Reifen gewünscht. Doch der Ferrari-Pilot hatte bis dahin bereits alle Garnituren Hart und Medium verbraucht. Teamchef Frédéric Vasseur ärgerte sich: "Wir hatten noch einen frischen Satz Soft. Das schien uns zu riskant, weil wir davon ausgingen, dass das Rennen viel früher wieder freigegeben wird. Hätten wir gewusst, dass die Restdistanz nur noch zehn Runden beträgt, hätte man es vielleicht riskieren können."