Der GP Australien lieferte viele Geschichten. Das Duell der McLaren-Piloten, die Unfälle der Rookies und Veteranen, drei Safety-Car-Phasen und der Strategie-Poker, als in Runde 44 ein kurzer heftiger Regenschauer über den Albert Park hereinbrach. Das erste Regenrennen in Melbourne seit 2010 reduzierte sich bei aller Spannung auf drei Runden, in denen die Entscheidung fiel.
Bis dahin hatten die McLaren-Piloten alles im Griff. Das erste Safety-Car schenkte ihrem einzigen Gegner 18 Sekunden. Doch in nur vier Runden nach dem Re-Start hatte sich Lando Norris mit Oscar Piastri als Puffer schon wieder um 3,7 Sekunden von Max Verstappen abgesetzt, obwohl die McLaren auf harten Reifen und ihr Gegner auf Medium-Gummis unterwegs waren.
In diesen vier Runden wurden die Piloten von ihren Kommandoständen mehrfach gewarnt, dass Regen der Kategorie 3 kurz bevorsteht. Er würde so stark sein, dass man ihn auf Slicks wahrscheinlich nicht übersteht. Der Regen kam in der 44. Runde, als sich die Spitze Kurve 12 näherte. Norris und Piastri nahmen den Umweg über Kiesbett und Wiese. Verstappen hielt seinen Red Bull auf der Strecke.

Max Verstappen zögerte seinen Stopp länger raus als die McLaren.
Piastri rettet sich im Rückwärtsgang
Während sich Norris gerade noch in die folgende Kurve 13 einfädeln konnte, drehte sich Piastri in die große Grünfläche auf der Außenseite und schien dort für immer gefangen. Der Australier fand mit seinen Slicks auf der nassen Wiese keinen Halt.
Erst nach 80 Sekunden konnte er sich mit einem Trick befreien, der schon Lewis Hamilton 2021 in Imola geholfen hatte. Er legte den Rückwärtsgang ein und machte so aus seinem McLaren einen Frontantrieb. Das rettete ihn auf ein Stück Asphalt, auf dem er sein Rennen fortsetzen konnte.
Teamkollege Norris bog sofort in die Boxengasse ab. Das war im Strategie-Briefing am Morgen so abgemacht worden. Als Spitzenreiter wollte man die konservative Karte spielen und den Fahrer entscheiden lassen, welche Reifen für die jeweiligen Bedingungen die besten sind.
McLaren war aus Schaden klug geworden. Im letzten Jahr hatte man in Montreal, Silverstone und Interlagos bei ähnlichen Bedingungen Punkte verschenkt. Da McLaren die harten Reifen gewählt hatte, musste Norris fürchten, gegen Verstappen auf Medium-Reifen auf feuchter Strecke im Nachteil zu sein. Zwei Gründe sprachen allerdings für McLarens Wahl. Die C3-Mischung ist nicht wirklich hart und kommt einigermaßen schnell auf Temperatur. Dagegen droht der weichere C4-Gummi bei kühlem Wetter schnell zu körnen.

Piastri konnte sich zum Glück aus eigener Kraft befreien und die Box ansteuern.
Eine Runde zu viel
Auch Red Bull verließ sich bei der Strategie auf seinen Mann im Cockpit. Verstappen wählte in letzter Sekunde die Risiko-Variante und blieb auf der Strecke. "Als ich die McLaren abfliegen sah, dachte ich: Lass uns weiterfahren. Die Strecke war nur in den letzten drei Kurven nass. Die ersten beiden Sektoren waren weitgehend trocken. Ich musste nur den letzten Sektor überleben. Die erste Runde war noch okay. Wenn es so geblieben wäre, wäre unser Plan aufgegangen, selbst wenn wir hinter Lando gefallen wären. Sie hätten ja wieder auf Slicks zurückwechseln müssen. Leider wurde der Regen in meiner zweiten Runde stärker und fiel nun auch im zweiten Streckenabschnitt."
Tatsächlich verlor Verstappen in der 47. Runde sieben Sekunden auf die Konkurrenz, die da schon mit Intermediates unterwegs war. Damit war ein Boxenstopp Pflicht. Es reichte trotzdem für den zweiten Platz. Verstappen rechnete im Rückblick vor: "Ob ich in der gleichen Runde wie Lando gestoppt hätte, eine Runde später oder zwei, ich wäre immer Zweiter geworden."
Da sind Zweifel angebracht. Bei einem gleichzeitigen Reifenwechsel trifft es zu. Hätte sich der Weltmeister eine Runde später zum Reifenwechsel entschieden, wäre es eine Sache von Zehntelsekunden geworden. Norris bog mit einem Vorsprung von 3,5 Sekunden in die Boxengasse ab. Bei der nächsten Zieldurchfahrt hatte er einen Rückstand von 18,6 Sekunden auf Verstappen. Das war genau das Fenster, das man brauchte, um mit einem perfekten Boxenstopp vorne zu bleiben.

Die Ferrari-Piloten warteten eine Runde zu lange und verloren mehrere Plätze.
Hätte ein Safety-Car Verstappen geholfen?
Noch interessanter aber ist die Frage, was passiert wäre, wenn Piastri steckengeblieben wäre. Das hätte mindestens eine VSC-Phase oder sogar ein Safety-Car ausgelöst. Hätte es dann für Verstappen gereicht? Die Antwort: Es wäre nahezu das gleiche Szenario gewesen wie bei einem Boxenstopp des Niederländers am Ende von Runde 45 statt 46.
Beide hätten bis Kurve 13 ihr Tempo fahren können. Beide hätten an Piastris Unfallstelle die gelben Flaggen respektieren müssen. Verstappen wäre in die Box abgebogen, und Norris hätte bis zum Zielstrich wieder Gas geben können, bis ihn das Safety-Car in der ersten Kurve eingefangen hätte. Es wäre ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen an der Boxenausfahrt geworden.
Die Ferrari-Piloten hielten noch eine Runde länger durch als Verstappen. Und sie bekamen das erhoffte Safety-Car durch die Unfälle von Liam Lawson und Gabriel Bortoleto. Lewis Hamilton und Charles Leclerc profitierten trotzdem nicht davon, weil der Regen in der 47. Runde so stark geworden war, dass zu viel Zeit auf der Strecke verloren ging. Andrea Kimi Antonelli hatte in Runde 46 einen Rückstand von 17,5 Sekunden auf Hamilton. Trotzdem lag er nach den Boxenstopps der Ferrari-Fahrer vier Plätze vor Hamilton und Leclerc.