Taktik-Chaos in Silverstone: Wo haben es Mercedes und Ferrari verpatzt?

Taktik-Chaos in Silverstone
Wo haben es Ferrari und Mercedes verpatzt?

GP Großbritannien 2025
Zuletzt aktualisiert am 08.07.2025

Nico Hülkenbergs Fahrt zu seinem ersten Podestplatz in der Formel 1 wird Geschichte schreiben. Berühmter ist nur noch John Watsons Husarenritt beim GP USA-West 1983 in Long Beach, der den McLaren-Piloten vom 22. Startplatz zum Sieg führte. Nico Hülkenberg machte in Silverstone 16 Positionen gut. Das ist Rekord für 2025.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 37-jährige Deutsche aus den Tiefen der Startaufstellung kam und in den Punkterängen landete. In Melbourne kämpfte er sich von Platz 17 auf Rang 7 vor. In Barcelona von 15 auf 5. Beim GP Österreich startete Hülkenberg von ganz hinten und wurde am Ende Neunter.

Die Krönung war nun aber der Sprung von 19 aufs Podium beim GP England. Hülkenberg musste 239 GP-Starts auf den ersten Pokal warten. Da verziehen selbst die englischen Fans dem langen Blonden, dass er ihren Lokalmatador Lewis Hamilton auf den vierten Platz verwies.

Richtige Reifen im richtigen Moment

Es war ein Triumph einer Fahrt, die Hülkenberg einen Überlebenskampf und einen Ritt auf der Rasierklinge nannte. "Du bist mit einem Fuß immer in der Mauer gewesen. Es war bei den wechselnden Bedingungen ganz leicht, einen Fehler zu machen." Der Sauber-Pilot kam fehlerlos über die 52 Runden. Für den Schlüssel zu dem sagenhaften Aufstieg durch das Feld hatte Hülkenberg drei Worte: "Die richtigen Boxenstopps, die richtigen Reifen, der richtige Moment."

Die persönlichen Glückszahlen des Drittplatzierten waren die "9" und die "42". Kein anderer Fahrer im Feld hatte diese Kombination für seine Boxenstopps von Intermediates auf Intermediates und später von Intermediates auf Slicks. Auch die Wahl der Medium-Reifen passte. Der harte Reifen brauchte auf der feuchten Strecke zu lange zum Aufwärmen. Der weiche Gummi neigte zuerst zum Körnen und baute nach sieben Runden stark ab.

Gabriel Bortoleto - Sauber - Formel 1 - GP England 2025
Zak Mauger via Getty Images

Lehrstunde für Bortoleto

Es gab in diesem Rennen genug Möglichkeiten, alles falsch zu machen. Zum Beispiel schon nach der Formationsrunde an die Boxen zu kommen und auf einer halbnassen Strecke mit Slicks zu pokern. George Russell, Charles Leclerc, Isack Hadjar, Oliver Bearman und Hülkenbergs Teamkollege Gabriel Bortoleto erlagen der Versuchung und bezahlten dafür. Hülkenberg riet seiner Crew, von einem so frühen Wechsel auf Trockenreifen ab.

Nur Russell schaffte es aus dieser Gruppe in die Punkteränge. Obwohl der Slick in den Runden 8 bis 10 deutlich schneller war, hatten die Pokerspieler in der Anfangsphase zu viel Zeit verloren und konnten diese dann wegen zwei VSC-Phasen nicht gleichwertig wettmachen. Bortoleto segelte sogar von der Strecke.

Der Brasilianer nutzte den Ausfall als Lehrstunde. Er hängte sich in den Funkverkehr zwischen Kommandostand und Hülkenberg und lauschte aufmerksam, welches Feedback der Veteran seinen Ingenieuren von der Strecke gab. Das legte dann die Basis für das Timing der Boxenstopps. Bortoleto war tief beeindruckt und schwärmte von seinem Teamkollegen: "Er ist echt eine Legende."

Lance Stroll - Nico Hülkenberg - GP England 2025 - Silverstone - Formel 1
xpb

Stroll mit einem Stopp mehr vor Hülkenberg

Den besten ersten Boxenstopp zeigte eigentlich Lance Stroll. Der Aston-Martin-Pilot holte sich in der sechsten Runde Soft-Reifen ab, war drei Runden lang richtig schnell und wechselte dann direkt auf frische Intermediates zurück, bevor es richtig zu schütten begann. Auch Hülkenberg hatte im Gespür, dass die Intermediates vom Start schon zu ausgelutscht sind und noch vor dem großen Regen besser durch frische ersetzt werden sollten.

Der Reifenwechsel in der neunten Runde passte perfekt. Nicht zu früh, nicht zu spät. Er brachte dem Rheinländer fünf Positionen ein. Und trotzdem hatte der Sauber-Pilot noch Strolls Aston Martin vor der Nase, der zu dem Zeitpunkt schon einmal mehr gestoppt hatte. Dafür lagen jetzt Pierre Gasly, Esteban Ocon, Lewis Hamilton, George Russell, Fernando Alonso, Carlos Sainz, Alexander Albon und Charles Leclerc hinter dem Duo.

Hülkenberg gab später zu, dass der erste Stopp zum Teil von den Umständen getrieben war. "Meine Intermediates waren schon ziemlich runter. Ich verlor Zeit. Dann wechselte der Himmel innerhalb von zwei Runden von blau auf pechschwarz. Als mir das Team sagte, dass wieder Regen kommt, bin ich einfach ohne groß nachzudenken in die Boxen rein. Und als ich wieder rauskam, hat es tatsächlich angefangen." Zum besseren Überblick, hier noch einmal die Runden der Serie der ersten Boxenstopps:

  • L9: Hülkenberg
  • L10: Stroll, Russell, Leclerc, Hadjar, Bearman
  • L11: Piastri, Norris, Verstappen, Hamilton, Gasly, Alonso, Sainz, Tsunoda
  • L12: Albon
  • L18: Ocon
George Russell & Kimi Antonelli - Mercedes - GP England 2025 - Silverstone - Formel 1
Andy Hone via Getty Images

Alonso und Russell pokern zu hoch

Stroll und Hülkenberg schlugen zu aller Überraschung ein Tempo an, mit dem sie auch 18 Runden nach den zwei Re-Starts immer noch vor der Meute lagen. Mittlerweile lag der Sauber vor dem Aston Martin. Hülkenberg hatte Stroll in der 34. Runde vor Stowe Corner ausgebremst.

Kurz darauf zeichneten sich auf der Ideallinie trockene Stellen ab. Das rief wieder die Risikospieler auf den Plan. In der Regenphase hatte sich Fernando Alonso beschwert, dass sein Team ihn zu spät an die Box geholt hatte. Jetzt wollte es Aston Martin wieder gutmachen und rief seinen Chefpiloten schon in der 37. Runde mit Medium-Reifen an die Box. Mercedes zog eine Runde später mit Russell nach.

Viel zu früh, wie beide Piloten feststellen sollten. "Die Strategie ist heute von Daten getrieben. Da kannst du ihnen tausendmal erzählen, wie es draußen auf der Strecke aussieht", klagte Alonso, der zuerst ans Ende des Feldes stürzte, dann aber wieder auf den neunten Platz kletterte. "Wenn dein Auto zu langsam ist, musst du mit der Taktik etwas anderes machen", nahm Russell seine Mannschaft in Schutz.

Oscar Piastri - McLaren - Formel 1 - GP England 2025
Clive Mason via Getty Images

Eine Runde machte fünf Sekunden aus

Auf die Frage, welche Runde für den Wechsel auf Slicks die beste gewesen wäre, meinte Alonso grimmig: "Schaut euch Hülkenberg an. Der hat heute alles richtig gemacht. Ich bin als Siebter gestartet und als Neunter ins Ziel gekommen." Hülkenberg ließ sich bis Runde 42 Zeit. Sauber zuckte auch nicht, als sein Gegner Hamilton eine Runde früher die Boxen ansteuerte und dabei auch noch Soft-Reifen anforderte.

Hier ein Überblick über die Runden der zweiten Boxenstopp-Welle:

  • L37: Alonso
  • L38: Russell
  • L41: Hamilton, Stroll, Verstappen, Gasly, Sainz, Bearman, Tsunoda
  • L42: Hülkenberg, Leclerc, Albon, Ocon
  • L43: Piastri
  • L44: Norris

Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur gab im Rückblick zu, dass man Hamiltons Boxenstopp eine Runde zu früh gewählt hatte. "Alonso hat mit schnellen Sektorzeiten angekündigt, dass die Zeit reif war." Doch auf einer feuchten Stelle kam Hamilton nach seinem Stopp auf kalten Reifen von der Strecke ab und ließ dabei im Vergleich zu Hülkenberg fünf Sekunden liegen.

Vor dem Boxenstopp hatte Hülkenberg 2,4 Sekunden Vorsprung auf Hamilton. Danach waren es 7,9 Sekunden. "Das war der entscheidende Moment, weil es mir etwas Luft zum Atmen gab", erinnerte sich der Drittplatzierte.

Lewis Hamilton - Ferrari - GP England 2025 - Silverstone - Formel 1
xpb

Hülkenberg-Speed trieb Ferrari in Fehler

Dabei leistete sich Sauber sogar noch einen mittelmäßigen Reifenwechsel. Teamchef Jonathan Wheatley begründete den 4,6 Sekunden-Stopp so: "Das Podium lag in greifbarer Nähe. Da waren die Jungs ein bisschen nervös." Wheatley legt Wert darauf, dass man nicht auf Hamiltons Boxenstopp reagierte. "Wir haben sogar kurz überlegt, Nico noch eine Runde länger draußen zu lassen. Doch dann sprachen Nicos Aussagen und die Beobachtungen der Konkurrenz dafür, ihn doch reinzuholen."

Für Audis Formel-1-Projektleiter Mattia Binotto war das Boxenstopp-Timing kein Zufall. "Nico hatte den Speed, Ferrari mit Lewis in einen Fehler zu treiben. Sie mussten den Undercut riskieren, um an uns vorbeizukommen."

Hülkenberg bestätigte: "Ich bin Lewis auf den alten Intermediates sogar wieder etwas davongefahren. Das war der Moment, an dem ich zum ersten Mal an das Podium geglaubt habe." Hamilton kam auch in den verbleibenden zehn Runden nicht viel näher an den Sauber heran. Hülkenberg flog ungefährdet mit fünf Sekunden Vorsprung über den Zielstrich.