Auf dem Papier ist das neue Motorenreglement der Formel 1, das 2026 in Kraft tritt, das klimafreundlichste, das es je gab. Fast 50 Prozent der Leistung wird elektrisch erbracht. Der Verbrenner läuft mit klimaneutralem Kraftstoff. Eigentlich ein Fest für Sebastian Vettel, der mit seinen Umwelt-Kampagnen für eine grünere Welt wirbt.
Und trotzdem kritisiert der vierfache Weltmeister den Antrieb der Zukunft. Weil die Formel 1 dabei ist, den gleichen Fehler zu machen wie 2014, als auf einen Hybridantrieb umgestellt wurde. Die neue Technik sollte vor elf Jahren Automobilhersteller in den Sport locken. Technisch wurden die Ziele erreicht. Die aktuellen Antriebseinheiten sind mit einem Wirkungsgrad von über 50 Prozent die effizientesten Motoren, die es je gab.
Es sind aber auch die komplexesten. So hochgestochen, dass nur ein geringer Anteil der darin versteckten Technologien serientauglich ist. So sieht es auch Vettel: "Das 2014er-Reglement war vom Ansatz gut. Die Idee dahinter stimmte. Aber die Umsetzung passte nicht. Es hat viel zu viel Geld gekostet und der Serie nichts gebracht."
Elektromotor ist keine Alternative
Die 2026er-Regeln sind laut Vettel das Erbgut des aktuellen Reglements. "Man verzichtet auf innovative Lösungen des vorherigen Motoren-Reglements mit dem Ziel, es weniger teuer zu machen. Das soll neue Hersteller anlocken. Die elektrische Komponente ist generell gut und die braucht es auch in der Mobilität. Auf der Straße ist man aber schon weiter bei 100 Prozent Elektromobilität, aufgrund der unschlagbaren Effizienz."
Batteriebetriebene Rennautos haben jedoch ihr Ziel verfehlt. Die Formel E ist eine Randerscheinung, die sich nie richtig durchgesetzt hat. Auch für Vettel ist der E-Motor im Rennsport keine Alternative: "Der Motorsport hat unterschiedliche Anforderungsprofile. Bei den 24 Stunden von Le Mans sind die ganz anders als in der Formel 1 oder in den Nachwuchsklassen. So oder so geht das nicht mit vollelektrischen Antrieben."
Dann geht der 38-jährige Deutsche ins Detail. "Das neue Reglement ist mir noch nicht ganz schlüssig. Energie zurückgewinnen ist super, aber das nur an der Hinterachse zu machen und die Vorderachse zu ignorieren, macht für mich keinen Sinn."

Reine Elektro-Antriebe, wie in der Formel E, sind für die Formel 1 nicht geeignet.
Die Gefahr mit den neuen Kraftstoffen
Auch bei den synthetischen Kraftstoffen differenziert Vettel. "Ich finde die klimaneutralen Kraftstoffe gut, weil es in der Welt außerhalb des Motorsports den Bedarf dafür gibt. Für die vielen Fahrzeuge, die jetzt schon auf der Straße herumfahren. Für die Schifffahrt und Flugzeuge. Womit man vorsichtig sein muss, ist die Herkunft dieser Kraftstoffe. Wenn man darauf den Formel-1-typischen Entwicklungswettlauf loslässt, kann sich das schnell in die falsche Richtung entwickeln, so wie das 2014 der Fall war."
Mit anderen Worten. Die Formel 1 geht mit ihrem Entwicklungswettlauf so ins Extrem, dass die Produkte für die Serie nicht nutzbar sind. Vettels Vorschlag: "Bei den Kraftstoffen sollte man die Tür so weit schließen, indem man die Herkunft der Moleküle begrenzt und eine gewisse Serienrelevanz herstellt."
Ein weiteres Thema ist das Gewicht der Autos. Nicht nur wegen des Themas Fahrspaß. Wer weniger Masse bewegen muss, verbraucht weniger Kraftstoff. "Man geht jetzt ein bisschen in die Richtung, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", fürchtet Vettel. "Die Autos sind viel zu schwer. Sie müssten eigentlich 200 Kilogramm leichter sein."

Als Vettel 2008 in die Formel 1 kam, waren die Autos noch deutlich leichter.
Unterhaltung nicht aus dem Auge lassen
Das führt automatisch zu der Frage, wie der perfekte Formel-1-Motor aussehen muss. "Es geht doch immer darum: Was versucht man zu erreichen? Wie erreicht man es? Woher kommen die Mittel?" Bei dieser Bestandsaufnahme kommt heraus: "Der aktuelle Motor ist zu teuer. Transfer in die Serie gab es bis auf den Sticker Hybrid nicht, weil zu komplex und zu teuer."
Man darf nach Meinung von Vettel neben der ganzen Technik-Verliebtheit auch das Thema Unterhaltung nicht aus den Augen lassen. "Aus sportlicher Sicht muss der Wettkampf so eng wie möglich sein, ohne dabei den Geist der Formel 1 zu beschädigen. Und die Leute müssen sich den Sport auch noch leisten können."
Es geht, so Vettel, nicht mehr nur darum, so schnell wie möglich im Kreis zu fahren. "Ein Grand Prix ist eine große Veranstaltung mit viel Publikum. Damit kann ich viele neue Themen erschließen. Wie bringe ich die Zuschauer an die Strecke und wie wieder weg? Was konsumieren die Leute an der Strecke? Wo kommen die Sachen her? Was tragen sie dazu bei, dass es eine tolle Veranstaltung wird?"
Vettels Plädoyer für den V10
Die Formel 1 sollte nicht nur ein Event für eine Handvoll von Automobilherstellern sein. Das Produkt muss technisch anspruchsvoll sein und klimaneutral betrieben werden, mit vertretbaren Kosten und außerdem noch Begeisterung schaffen. "Ich durfte noch erleben, wie sich ein V10 anfühlt und anhört. Und das gehört ja mit zu dieser Show und dem Erlebnis Formel 1. Man ist früher ja nicht nur an die Rennstrecke gegangen, um zu schauen, wer gewinnt. Man wollte auch die ganze Faszination drumherum einatmen", erinnert sich Vettel an seine Zeit als Fan.
Doch könnten sich Vettels Kinder noch für einen laut kreischenden V10 begeistern? "Ich glaube schon, dass da eine Generation heranwächst, für die der V10-Sound nicht mehr so wichtig ist wie für uns, die sich aber trotzdem dafür begeistern könnte. Die Frage lautet, ob die Motorenformel serienrelevant sein muss. Das glaube ich nicht."
Aus Vettels Sicht hat die Serie die Formel 1 längst überholt. "Es wird weggehen von diesem Transfer und mehr Richtung Unterhaltung. Man sollte festhalten an dem, was man kennt, aber es muss im Sinne der Umwelt besser gemacht werden. Der Schuh, den ich kaufe, muss so hergestellt werden, dass er keinen Schaden für die Umwelt anrichtet und die Produktion faire Arbeitsbedingungen erfüllt. Das Gleiche trifft auf Autos und Motorsport-Veranstaltungen zu. Es wäre schade, wenn der Motorsport, den wir kennen, aufhören würde zu existieren. Dass er sich wandelt, ist ganz normal."